Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweites Capitel.
hinwegriß, duldete die neue Volksart auch kein Heraklidi-
sches Erb-Königthum mehr. Seit die überstarre Form
zerbrochen, blieb nun nichts Festes mehr, oft kein Ephorat,
ein unordentlicher Wechsel von Gewalthabern, einer darun-
ter, der für ein Talent an jeden der Ephoren bezahlt,
Heraklide und König ward; der Wütherich Nabis nahm
die Herrschaft aus seiner ausländischen Söldner Hand.

Athen.

37. Auch in Attika erwuchs der Staat in jener drei-
fachen Gliederung der Natur-Verfassung: Königthum,
Rath
und Volksversammlung, aber er ging durch
einen großen Wechsel der Bedeutung dieser Formen, und
zu einer Abgeschlossenheit des Daseyns, die nun keine
Änderungen weiter zuließe, wie in Sparta, kam es nie.
Athens Natur-Anlage wies schon in den alten Tagen der
Stamm-Aristokratie auf ein anderes Ziel hin.

38. Keine Bevölkerung hier von Siegern und Be-
siegten, frühzeitig milde Weisen jenes Sclaventhums, des-
sen Fluch einmahl an allen alten Verfassungen haftet,
nichts von spröder Ausschließung alles Fremdenwesens,
vielmehr das Staatsvolk selber eine Gesellschaft verschie-
denartiger Griechischer Völkerschaften, die sich unter dem
Landeskönige allmählig zusammenfinden, keine zum Nach-
theil der anderen berechtigt. Die Gesammt-Bevölkerung
zerfiel in vier Stämme von je dreimal dreißig Geschlech-
tern, also daß jedes Geschlechter-Dreißig wieder als
Stammlinie eine engere Brüderschaft bildete, welcher
Phratrien mithin zwölfe waren. In jeder dieser Phratrien
stand ein regierendes Geschlecht an der Spitze, das Kö-
nigshaus freilich höher als alle, aber die andern eilf Ge-

Zweites Capitel.
hinwegriß, duldete die neue Volksart auch kein Heraklidi-
ſches Erb-Koͤnigthum mehr. Seit die uͤberſtarre Form
zerbrochen, blieb nun nichts Feſtes mehr, oft kein Ephorat,
ein unordentlicher Wechſel von Gewalthabern, einer darun-
ter, der fuͤr ein Talent an jeden der Ephoren bezahlt,
Heraklide und Koͤnig ward; der Wuͤtherich Nabis nahm
die Herrſchaft aus ſeiner auslaͤndiſchen Soͤldner Hand.

Athen.

37. Auch in Attika erwuchs der Staat in jener drei-
fachen Gliederung der Natur-Verfaſſung: Koͤnigthum,
Rath
und Volksverſammlung, aber er ging durch
einen großen Wechſel der Bedeutung dieſer Formen, und
zu einer Abgeſchloſſenheit des Daſeyns, die nun keine
Änderungen weiter zuließe, wie in Sparta, kam es nie.
Athens Natur-Anlage wies ſchon in den alten Tagen der
Stamm-Ariſtokratie auf ein anderes Ziel hin.

38. Keine Bevoͤlkerung hier von Siegern und Be-
ſiegten, fruͤhzeitig milde Weiſen jenes Sclaventhums, deſ-
ſen Fluch einmahl an allen alten Verfaſſungen haftet,
nichts von ſproͤder Ausſchließung alles Fremdenweſens,
vielmehr das Staatsvolk ſelber eine Geſellſchaft verſchie-
denartiger Griechiſcher Voͤlkerſchaften, die ſich unter dem
Landeskoͤnige allmaͤhlig zuſammenfinden, keine zum Nach-
theil der anderen berechtigt. Die Geſammt-Bevoͤlkerung
zerfiel in vier Staͤmme von je dreimal dreißig Geſchlech-
tern, alſo daß jedes Geſchlechter-Dreißig wieder als
Stammlinie eine engere Bruͤderſchaft bildete, welcher
Phratrien mithin zwoͤlfe waren. In jeder dieſer Phratrien
ſtand ein regierendes Geſchlecht an der Spitze, das Koͤ-
nigshaus freilich hoͤher als alle, aber die andern eilf Ge-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0038" n="26"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweites Capitel</hi>.</fw><lb/>
hinwegriß, duldete die neue Volksart auch kein Heraklidi-<lb/>
&#x017F;ches Erb-Ko&#x0364;nigthum mehr. Seit die u&#x0364;ber&#x017F;tarre Form<lb/>
zerbrochen, blieb nun nichts Fe&#x017F;tes mehr, oft kein Ephorat,<lb/>
ein unordentlicher Wech&#x017F;el von Gewalthabern, einer darun-<lb/>
ter, der fu&#x0364;r ein Talent an jeden der Ephoren bezahlt,<lb/>
Heraklide und Ko&#x0364;nig ward; der Wu&#x0364;therich Nabis nahm<lb/>
die Herr&#x017F;chaft aus &#x017F;einer ausla&#x0364;ndi&#x017F;chen So&#x0364;ldner Hand.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head><hi rendition="#g">Athen</hi>.</head><lb/>
              <p>37. Auch in Attika erwuchs der Staat in jener drei-<lb/>
fachen Gliederung der Natur-Verfa&#x017F;&#x017F;ung: <hi rendition="#g">Ko&#x0364;nigthum,<lb/>
Rath</hi> und <hi rendition="#g">Volksver&#x017F;ammlung</hi>, aber er ging durch<lb/>
einen großen Wech&#x017F;el der Bedeutung die&#x017F;er Formen, und<lb/>
zu einer Abge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;enheit des Da&#x017F;eyns, die nun keine<lb/>
Änderungen weiter zuließe, wie in Sparta, kam es nie.<lb/>
Athens Natur-Anlage wies &#x017F;chon in den alten Tagen der<lb/>
Stamm-Ari&#x017F;tokratie auf ein anderes Ziel hin.</p><lb/>
              <p>38. Keine Bevo&#x0364;lkerung hier von Siegern und Be-<lb/>
&#x017F;iegten, fru&#x0364;hzeitig milde Wei&#x017F;en jenes Sclaventhums, de&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en Fluch einmahl an allen alten Verfa&#x017F;&#x017F;ungen haftet,<lb/>
nichts von &#x017F;pro&#x0364;der Aus&#x017F;chließung alles Fremdenwe&#x017F;ens,<lb/>
vielmehr das Staatsvolk &#x017F;elber eine Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft ver&#x017F;chie-<lb/>
denartiger Griechi&#x017F;cher Vo&#x0364;lker&#x017F;chaften, die &#x017F;ich unter dem<lb/>
Landesko&#x0364;nige allma&#x0364;hlig zu&#x017F;ammenfinden, keine zum Nach-<lb/>
theil der anderen berechtigt. Die Ge&#x017F;ammt-Bevo&#x0364;lkerung<lb/>
zerfiel in vier Sta&#x0364;mme von je dreimal dreißig Ge&#x017F;chlech-<lb/>
tern, al&#x017F;o daß jedes Ge&#x017F;chlechter-Dreißig wieder als<lb/>
Stammlinie eine engere Bru&#x0364;der&#x017F;chaft bildete, welcher<lb/>
Phratrien mithin zwo&#x0364;lfe waren. In jeder die&#x017F;er Phratrien<lb/>
&#x017F;tand ein regierendes Ge&#x017F;chlecht an der Spitze, das Ko&#x0364;-<lb/>
nigshaus freilich ho&#x0364;her als alle, aber die andern eilf Ge-<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[26/0038] Zweites Capitel. hinwegriß, duldete die neue Volksart auch kein Heraklidi- ſches Erb-Koͤnigthum mehr. Seit die uͤberſtarre Form zerbrochen, blieb nun nichts Feſtes mehr, oft kein Ephorat, ein unordentlicher Wechſel von Gewalthabern, einer darun- ter, der fuͤr ein Talent an jeden der Ephoren bezahlt, Heraklide und Koͤnig ward; der Wuͤtherich Nabis nahm die Herrſchaft aus ſeiner auslaͤndiſchen Soͤldner Hand. Athen. 37. Auch in Attika erwuchs der Staat in jener drei- fachen Gliederung der Natur-Verfaſſung: Koͤnigthum, Rath und Volksverſammlung, aber er ging durch einen großen Wechſel der Bedeutung dieſer Formen, und zu einer Abgeſchloſſenheit des Daſeyns, die nun keine Änderungen weiter zuließe, wie in Sparta, kam es nie. Athens Natur-Anlage wies ſchon in den alten Tagen der Stamm-Ariſtokratie auf ein anderes Ziel hin. 38. Keine Bevoͤlkerung hier von Siegern und Be- ſiegten, fruͤhzeitig milde Weiſen jenes Sclaventhums, deſ- ſen Fluch einmahl an allen alten Verfaſſungen haftet, nichts von ſproͤder Ausſchließung alles Fremdenweſens, vielmehr das Staatsvolk ſelber eine Geſellſchaft verſchie- denartiger Griechiſcher Voͤlkerſchaften, die ſich unter dem Landeskoͤnige allmaͤhlig zuſammenfinden, keine zum Nach- theil der anderen berechtigt. Die Geſammt-Bevoͤlkerung zerfiel in vier Staͤmme von je dreimal dreißig Geſchlech- tern, alſo daß jedes Geſchlechter-Dreißig wieder als Stammlinie eine engere Bruͤderſchaft bildete, welcher Phratrien mithin zwoͤlfe waren. In jeder dieſer Phratrien ſtand ein regierendes Geſchlecht an der Spitze, das Koͤ- nigshaus freilich hoͤher als alle, aber die andern eilf Ge-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/38
Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/38>, abgerufen am 23.11.2024.