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Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835.

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Religion und Kirche im Staate.
in der Schweiz, den Niederlanden, Schottland, auch ein-
zelnen kleinen Theilen der Deutschen Bundesstaaten. Die
Presbyterial-Verfassung, wo sie allein steht, ist die Re-
publik des Kirchenwesens.

Nichts zwar hindert den Landesherrn auch unbeschadet
seiner Kirchengewalt die in der Reformation tief begründe-
ten Ansprüche der Laien durch Rathserholung zu ehren.
In diesem Sinne wurden auf den Rath der Reformatoren
Consistorien aus Geistlichen und kundigen Laien berufen
welche den Landesherrn, der sie ernannte, in kirchlichen
Dingen beriethen. Diese Einrichtung hat in unsern Ta-
gen manche Umgestaltung erfahren, ohne daß doch ihr
Grundsatz verändert wäre. Gegenwärtig hat im König-
reiche Preußen ein Provincial-Consistorium die Aufsicht
über das Kirchenwesen und die ganze Amtsführung der
Geistlichkeit, welche letztere bis zur Suspension geht; über
Remotion entscheidet auf Antrag des Consistoriums die
Regierung durch eine für jeden Regierungsbezirk der Pro-
vinz bestellte Kirchen- und Schul-Commission, welche
einen Theil des Regierungs-Collegiums ausmacht, die
königlichen Prediger- und Schulstellen besetzt, imgleichen
die Prüfungen der Anzustellenden besorgt *). Im Allge-
meinen pflegt den Consistorien auch die Aufsicht oder Mit-
aufsicht auf das Volksschulwesen vertraut zu seyn, nicht
minder eine Jurisdiction, welche sich auch auf Nicht-Geist-
liche durch Kirchenstrafen bei Vergehungen gegen die kirch-
liche Ordnung und in Ehesachen ausdehnen kann; nur daß
die Kirchenstrafen außer Übung getreten sind und Ehesachen
oft einem eigenen aus Geistlichen und Weltlichen gemisch-
ten Ehegerichte übergeben werden. Das allgemeine Resul-
tat bleibt: Wo die reine Consistorial-Verfassung stattfin-
det, und überhaupt wo in der evangelischen Kirche der

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Religion und Kirche im Staate.
in der Schweiz, den Niederlanden, Schottland, auch ein-
zelnen kleinen Theilen der Deutſchen Bundesſtaaten. Die
Presbyterial-Verfaſſung, wo ſie allein ſteht, iſt die Re-
publik des Kirchenweſens.

Nichts zwar hindert den Landesherrn auch unbeſchadet
ſeiner Kirchengewalt die in der Reformation tief begruͤnde-
ten Anſpruͤche der Laien durch Rathserholung zu ehren.
In dieſem Sinne wurden auf den Rath der Reformatoren
Conſiſtorien aus Geiſtlichen und kundigen Laien berufen
welche den Landesherrn, der ſie ernannte, in kirchlichen
Dingen beriethen. Dieſe Einrichtung hat in unſern Ta-
gen manche Umgeſtaltung erfahren, ohne daß doch ihr
Grundſatz veraͤndert waͤre. Gegenwaͤrtig hat im Koͤnig-
reiche Preußen ein Provincial-Conſiſtorium die Aufſicht
uͤber das Kirchenweſen und die ganze Amtsfuͤhrung der
Geiſtlichkeit, welche letztere bis zur Suspenſion geht; uͤber
Remotion entſcheidet auf Antrag des Conſiſtoriums die
Regierung durch eine fuͤr jeden Regierungsbezirk der Pro-
vinz beſtellte Kirchen- und Schul-Commiſſion, welche
einen Theil des Regierungs-Collegiums ausmacht, die
koͤniglichen Prediger- und Schulſtellen beſetzt, imgleichen
die Pruͤfungen der Anzuſtellenden beſorgt *). Im Allge-
meinen pflegt den Conſiſtorien auch die Aufſicht oder Mit-
aufſicht auf das Volksſchulweſen vertraut zu ſeyn, nicht
minder eine Jurisdiction, welche ſich auch auf Nicht-Geiſt-
liche durch Kirchenſtrafen bei Vergehungen gegen die kirch-
liche Ordnung und in Eheſachen ausdehnen kann; nur daß
die Kirchenſtrafen außer Übung getreten ſind und Eheſachen
oft einem eigenen aus Geiſtlichen und Weltlichen gemiſch-
ten Ehegerichte uͤbergeben werden. Das allgemeine Reſul-
tat bleibt: Wo die reine Conſiſtorial-Verfaſſung ſtattfin-
det, und uͤberhaupt wo in der evangeliſchen Kirche der

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[323/0335] Religion und Kirche im Staate. in der Schweiz, den Niederlanden, Schottland, auch ein- zelnen kleinen Theilen der Deutſchen Bundesſtaaten. Die Presbyterial-Verfaſſung, wo ſie allein ſteht, iſt die Re- publik des Kirchenweſens. Nichts zwar hindert den Landesherrn auch unbeſchadet ſeiner Kirchengewalt die in der Reformation tief begruͤnde- ten Anſpruͤche der Laien durch Rathserholung zu ehren. In dieſem Sinne wurden auf den Rath der Reformatoren Conſiſtorien aus Geiſtlichen und kundigen Laien berufen welche den Landesherrn, der ſie ernannte, in kirchlichen Dingen beriethen. Dieſe Einrichtung hat in unſern Ta- gen manche Umgeſtaltung erfahren, ohne daß doch ihr Grundſatz veraͤndert waͤre. Gegenwaͤrtig hat im Koͤnig- reiche Preußen ein Provincial-Conſiſtorium die Aufſicht uͤber das Kirchenweſen und die ganze Amtsfuͤhrung der Geiſtlichkeit, welche letztere bis zur Suspenſion geht; uͤber Remotion entſcheidet auf Antrag des Conſiſtoriums die Regierung durch eine fuͤr jeden Regierungsbezirk der Pro- vinz beſtellte Kirchen- und Schul-Commiſſion, welche einen Theil des Regierungs-Collegiums ausmacht, die koͤniglichen Prediger- und Schulſtellen beſetzt, imgleichen die Pruͤfungen der Anzuſtellenden beſorgt *). Im Allge- meinen pflegt den Conſiſtorien auch die Aufſicht oder Mit- aufſicht auf das Volksſchulweſen vertraut zu ſeyn, nicht minder eine Jurisdiction, welche ſich auch auf Nicht-Geiſt- liche durch Kirchenſtrafen bei Vergehungen gegen die kirch- liche Ordnung und in Eheſachen ausdehnen kann; nur daß die Kirchenſtrafen außer Übung getreten ſind und Eheſachen oft einem eigenen aus Geiſtlichen und Weltlichen gemiſch- ten Ehegerichte uͤbergeben werden. Das allgemeine Reſul- tat bleibt: Wo die reine Conſiſtorial-Verfaſſung ſtattfin- det, und uͤberhaupt wo in der evangeliſchen Kirche der 21*

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Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835, S. 323. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/335>, abgerufen am 03.05.2024.