Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Funfzehntes Capitel.
rächten die Übertretung. Die Preßfreiheit verlor die
Stimme aus Mangel an Nahrung. Man durfte über die
Wolken vom vorigen Jahre, über den Nutzen der Glück-
seligkeit und des Kartoffelbaues schreiben. Es war die
Preßfreiheit des Figaro. On me dit que pourvu que je
ne parle ni de l'autorite, ni du culte, ni de la politi-
que, ni de la morale, ni des gens en place, ni de l'o-
pera, ni des autres spectacles, ni de personne qui tien-
ne a quelque chose, je puis tout imprimer librement
.
Man verdient keinen Tadel, wenn man das nicht leistet
was unmöglich ist. Die Preßfreiheit gehört in einen
wohlumhegten Garten von blühenden Freiheiten, isolirt ge-
deiht sie nicht. Eine Zeit lang wohl mag Zeus mit dem
schwachen Menschen sich über Himmel und Erde bespre-
chen und der Gott läßt recht verständig mit sich reden,
aber als ihm der Philosoph doch ein allzu arger Zweifler
wird, auf das allmächtige Schicksal kommt und die eben-
falls allmächtigen Götter (den wunden Fleck, die Polnische
Theilung der Mythologie), greift er zum Donnerkeile. Frei-
lich hat der Andere in seiner Art auch Recht, wenn er der
verlorenen Redefreiheit beim Abschiede noch die Worte nach-
schickt: "Jetzt gerade sehe ich, Zeus, daß du Unrecht hast,
weil du deinen Donner zu Hülfe nimmst".

287. Die Deutschen constitutionellen Staaten sind
nicht in der Lage von Dännemark. Sie bauen auf einem
Grunde politischer Freiheit, allein die Macht fehlt. Sie
geben keinen Ausschlag in Europa, keinen im Deutschen
Bunde. Österreich kann keine Preßfreiheit haben, Preußen
hat keine. Warum nicht? Die Preßfreiheit kann nicht
allein stehen. Ein Versuch mit der Preßfreiheit in Preußen
würde entweder ihre Zurücknahme im ersten Monat, oder

Funfzehntes Capitel.
raͤchten die Übertretung. Die Preßfreiheit verlor die
Stimme aus Mangel an Nahrung. Man durfte uͤber die
Wolken vom vorigen Jahre, uͤber den Nutzen der Gluͤck-
ſeligkeit und des Kartoffelbaues ſchreiben. Es war die
Preßfreiheit des Figaro. On me dit que pourvu que je
ne parle ni de l’autorité, ni du culte, ni de la politi-
que, ni de la morale, ni des gens en place, ni de l’o-
pera, ni des autres spectacles, ni de personne qui tien-
ne à quelque chose, je puis tout imprimer librement
.
Man verdient keinen Tadel, wenn man das nicht leiſtet
was unmoͤglich iſt. Die Preßfreiheit gehoͤrt in einen
wohlumhegten Garten von bluͤhenden Freiheiten, iſolirt ge-
deiht ſie nicht. Eine Zeit lang wohl mag Zeus mit dem
ſchwachen Menſchen ſich uͤber Himmel und Erde beſpre-
chen und der Gott laͤßt recht verſtaͤndig mit ſich reden,
aber als ihm der Philoſoph doch ein allzu arger Zweifler
wird, auf das allmaͤchtige Schickſal kommt und die eben-
falls allmaͤchtigen Goͤtter (den wunden Fleck, die Polniſche
Theilung der Mythologie), greift er zum Donnerkeile. Frei-
lich hat der Andere in ſeiner Art auch Recht, wenn er der
verlorenen Redefreiheit beim Abſchiede noch die Worte nach-
ſchickt: “Jetzt gerade ſehe ich, Zeus, daß du Unrecht haſt,
weil du deinen Donner zu Huͤlfe nimmſt”.

287. Die Deutſchen conſtitutionellen Staaten ſind
nicht in der Lage von Daͤnnemark. Sie bauen auf einem
Grunde politiſcher Freiheit, allein die Macht fehlt. Sie
geben keinen Ausſchlag in Europa, keinen im Deutſchen
Bunde. Öſterreich kann keine Preßfreiheit haben, Preußen
hat keine. Warum nicht? Die Preßfreiheit kann nicht
allein ſtehen. Ein Verſuch mit der Preßfreiheit in Preußen
wuͤrde entweder ihre Zuruͤcknahme im erſten Monat, oder

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0314" n="302"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Funfzehntes Capitel</hi>.</fw><lb/>
ra&#x0364;chten die Übertretung. Die Preßfreiheit verlor die<lb/>
Stimme aus Mangel an Nahrung. Man durfte u&#x0364;ber die<lb/>
Wolken vom vorigen Jahre, u&#x0364;ber den Nutzen der Glu&#x0364;ck-<lb/>
&#x017F;eligkeit und des Kartoffelbaues &#x017F;chreiben. Es war die<lb/>
Preßfreiheit des Figaro. <hi rendition="#aq">On me dit que pourvu que je<lb/>
ne parle ni de l&#x2019;autorité, ni du culte, ni de la politi-<lb/>
que, ni de la morale, ni des gens en place, ni de l&#x2019;o-<lb/>
pera, ni des autres spectacles, ni de personne qui tien-<lb/>
ne à quelque chose, je puis tout imprimer librement</hi>.<lb/>
Man verdient keinen Tadel, wenn man das nicht lei&#x017F;tet<lb/>
was unmo&#x0364;glich i&#x017F;t. Die Preßfreiheit geho&#x0364;rt in einen<lb/>
wohlumhegten Garten von blu&#x0364;henden Freiheiten, i&#x017F;olirt ge-<lb/>
deiht &#x017F;ie nicht. Eine Zeit lang wohl mag Zeus mit dem<lb/>
&#x017F;chwachen Men&#x017F;chen &#x017F;ich u&#x0364;ber Himmel und Erde be&#x017F;pre-<lb/>
chen und der Gott la&#x0364;ßt recht ver&#x017F;ta&#x0364;ndig mit &#x017F;ich reden,<lb/>
aber als ihm der Philo&#x017F;oph doch ein allzu arger Zweifler<lb/>
wird, auf das allma&#x0364;chtige Schick&#x017F;al kommt und die eben-<lb/>
falls allma&#x0364;chtigen Go&#x0364;tter (den wunden Fleck, die Polni&#x017F;che<lb/>
Theilung der Mythologie), greift er zum Donnerkeile. Frei-<lb/>
lich hat der Andere in &#x017F;einer Art auch Recht, wenn er der<lb/>
verlorenen Redefreiheit beim Ab&#x017F;chiede noch die Worte nach-<lb/>
&#x017F;chickt: &#x201C;Jetzt gerade &#x017F;ehe ich, Zeus, daß du Unrecht ha&#x017F;t,<lb/>
weil du deinen Donner zu Hu&#x0364;lfe nimm&#x017F;t&#x201D;.</p><lb/>
                <p>287. Die Deut&#x017F;chen con&#x017F;titutionellen Staaten &#x017F;ind<lb/>
nicht in der Lage von Da&#x0364;nnemark. Sie bauen auf einem<lb/>
Grunde politi&#x017F;cher Freiheit, allein die Macht fehlt. Sie<lb/>
geben keinen Aus&#x017F;chlag in Europa, keinen im Deut&#x017F;chen<lb/>
Bunde. Ö&#x017F;terreich kann keine Preßfreiheit haben, Preußen<lb/>
hat keine. Warum nicht? Die Preßfreiheit kann nicht<lb/>
allein &#x017F;tehen. Ein Ver&#x017F;uch mit der Preßfreiheit in Preußen<lb/>
wu&#x0364;rde entweder ihre Zuru&#x0364;cknahme im er&#x017F;ten Monat, oder<lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[302/0314] Funfzehntes Capitel. raͤchten die Übertretung. Die Preßfreiheit verlor die Stimme aus Mangel an Nahrung. Man durfte uͤber die Wolken vom vorigen Jahre, uͤber den Nutzen der Gluͤck- ſeligkeit und des Kartoffelbaues ſchreiben. Es war die Preßfreiheit des Figaro. On me dit que pourvu que je ne parle ni de l’autorité, ni du culte, ni de la politi- que, ni de la morale, ni des gens en place, ni de l’o- pera, ni des autres spectacles, ni de personne qui tien- ne à quelque chose, je puis tout imprimer librement. Man verdient keinen Tadel, wenn man das nicht leiſtet was unmoͤglich iſt. Die Preßfreiheit gehoͤrt in einen wohlumhegten Garten von bluͤhenden Freiheiten, iſolirt ge- deiht ſie nicht. Eine Zeit lang wohl mag Zeus mit dem ſchwachen Menſchen ſich uͤber Himmel und Erde beſpre- chen und der Gott laͤßt recht verſtaͤndig mit ſich reden, aber als ihm der Philoſoph doch ein allzu arger Zweifler wird, auf das allmaͤchtige Schickſal kommt und die eben- falls allmaͤchtigen Goͤtter (den wunden Fleck, die Polniſche Theilung der Mythologie), greift er zum Donnerkeile. Frei- lich hat der Andere in ſeiner Art auch Recht, wenn er der verlorenen Redefreiheit beim Abſchiede noch die Worte nach- ſchickt: “Jetzt gerade ſehe ich, Zeus, daß du Unrecht haſt, weil du deinen Donner zu Huͤlfe nimmſt”. 287. Die Deutſchen conſtitutionellen Staaten ſind nicht in der Lage von Daͤnnemark. Sie bauen auf einem Grunde politiſcher Freiheit, allein die Macht fehlt. Sie geben keinen Ausſchlag in Europa, keinen im Deutſchen Bunde. Öſterreich kann keine Preßfreiheit haben, Preußen hat keine. Warum nicht? Die Preßfreiheit kann nicht allein ſtehen. Ein Verſuch mit der Preßfreiheit in Preußen wuͤrde entweder ihre Zuruͤcknahme im erſten Monat, oder

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/314
Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/314>, abgerufen am 03.05.2024.