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Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845.

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Verhältnisse irgend einzugehen, ohne Geneigtheit von den
unzähligen Misgriffen der französischen Regierung, welche
die Nation mit der Umwälzung vertraut machten, auch
nur einen einzigen aufzudecken, bürdete er diesem leichtsin-
nigen Volk und der Bosheit seiner Verführer Alles auf,
stellte das Englische 1688 und 89 dem Französischen 1788
und 89 triumphirend gegenüber, und ließ den Gedanken
gar nicht aufkommen daß seine Landsleute denn doch wirk-
lich anderthalb Jahrhunderte gebraucht haben, um von ei-
ner Verwirrung in Staats- und Kirchensachen ohne Glei-
chen, von Bürgerkrieg und Königsmord zu dieser mit Recht
gepriesenen Mäßigung zu genesen. Er aber will nicht ein-
mal durch das Blutgerüst Karls I. gestört seyn, schilt den
Doctor Price, weil er zusammenwerfe was man unter-
scheiden müsse. Kein Gedanke daran, den Franzosen auch
nur einigermaßen zu Gute kommen zu lassen daß bei ihnen
die kirchliche Umwälzung mit der politischen unvermeidlich
zusammenfiel, und das in einem Zeitalter überhaupt ge-
schwächter Gewalt des Herkommens, und das in einem
Volk, dessen politische Organe kläglich zerbrochen waren.
Burke, der mit edler Wärme die in der Geschichte wal-
tende Vorsehung verehrt, richtet gleichwohl keinen Blick
auf die vielen durch Unumschränktheit morsch gewordenen
Throne unseres Welttheils, die keine vorwitzige Volks-
hand zum Wanken brachte; ihn ficht nicht an die tragische
Bedeutung Dännemarks, wo ein Arzt das königliche Scepter
ergriff und man es litt, und er es wieder verlor und Hin-

Verhältniſſe irgend einzugehen, ohne Geneigtheit von den
unzähligen Misgriffen der franzöſiſchen Regierung, welche
die Nation mit der Umwälzung vertraut machten, auch
nur einen einzigen aufzudecken, bürdete er dieſem leichtſin-
nigen Volk und der Bosheit ſeiner Verführer Alles auf,
ſtellte das Engliſche 1688 und 89 dem Franzöſiſchen 1788
und 89 triumphirend gegenüber, und ließ den Gedanken
gar nicht aufkommen daß ſeine Landsleute denn doch wirk-
lich anderthalb Jahrhunderte gebraucht haben, um von ei-
ner Verwirrung in Staats- und Kirchenſachen ohne Glei-
chen, von Bürgerkrieg und Königsmord zu dieſer mit Recht
geprieſenen Mäßigung zu geneſen. Er aber will nicht ein-
mal durch das Blutgerüſt Karls I. geſtört ſeyn, ſchilt den
Doctor Price, weil er zuſammenwerfe was man unter-
ſcheiden müſſe. Kein Gedanke daran, den Franzoſen auch
nur einigermaßen zu Gute kommen zu laſſen daß bei ihnen
die kirchliche Umwälzung mit der politiſchen unvermeidlich
zuſammenfiel, und das in einem Zeitalter überhaupt ge-
ſchwächter Gewalt des Herkommens, und das in einem
Volk, deſſen politiſche Organe kläglich zerbrochen waren.
Burke, der mit edler Wärme die in der Geſchichte wal-
tende Vorſehung verehrt, richtet gleichwohl keinen Blick
auf die vielen durch Unumſchränktheit morſch gewordenen
Throne unſeres Welttheils, die keine vorwitzige Volks-
hand zum Wanken brachte; ihn ficht nicht an die tragiſche
Bedeutung Dännemarks, wo ein Arzt das königliche Scepter
ergriff und man es litt, und er es wieder verlor und Hin-

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[424/0434] Verhältniſſe irgend einzugehen, ohne Geneigtheit von den unzähligen Misgriffen der franzöſiſchen Regierung, welche die Nation mit der Umwälzung vertraut machten, auch nur einen einzigen aufzudecken, bürdete er dieſem leichtſin- nigen Volk und der Bosheit ſeiner Verführer Alles auf, ſtellte das Engliſche 1688 und 89 dem Franzöſiſchen 1788 und 89 triumphirend gegenüber, und ließ den Gedanken gar nicht aufkommen daß ſeine Landsleute denn doch wirk- lich anderthalb Jahrhunderte gebraucht haben, um von ei- ner Verwirrung in Staats- und Kirchenſachen ohne Glei- chen, von Bürgerkrieg und Königsmord zu dieſer mit Recht geprieſenen Mäßigung zu geneſen. Er aber will nicht ein- mal durch das Blutgerüſt Karls I. geſtört ſeyn, ſchilt den Doctor Price, weil er zuſammenwerfe was man unter- ſcheiden müſſe. Kein Gedanke daran, den Franzoſen auch nur einigermaßen zu Gute kommen zu laſſen daß bei ihnen die kirchliche Umwälzung mit der politiſchen unvermeidlich zuſammenfiel, und das in einem Zeitalter überhaupt ge- ſchwächter Gewalt des Herkommens, und das in einem Volk, deſſen politiſche Organe kläglich zerbrochen waren. Burke, der mit edler Wärme die in der Geſchichte wal- tende Vorſehung verehrt, richtet gleichwohl keinen Blick auf die vielen durch Unumſchränktheit morſch gewordenen Throne unſeres Welttheils, die keine vorwitzige Volks- hand zum Wanken brachte; ihn ficht nicht an die tragiſche Bedeutung Dännemarks, wo ein Arzt das königliche Scepter ergriff und man es litt, und er es wieder verlor und Hin-

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Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845, S. 424. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845/434>, abgerufen am 14.05.2024.