Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845.

Bild:
<< vorherige Seite

in England lange Zeit verdächtig? Es giebt keine Reli-
gionsverfolgung, die man nicht unter diesem Vorwande
rechtfertigen kann. Soll denn ein ganzes Jahrhundert von
Philosophie nur dazu gedient haben uns zu der Unduld-
samkeit des sechzehnten Jahrhunderts zurückzuführen, und
das auf der Straße der Freiheit? Überwache man immer-
hin die unbeeidigten Priester, treffe man sie ohne Erbar-
men mit der ganzen Schärfe des Gesetzes, wenn sie es
verletzen oder das Volk zum Ungehorsam aufreizen: nichts
ist gerechter, nichts ist nothwendiger als das; allein bis
das geschieht, achte man ihren Cultus wie jeden anderen
und beunruhige sie nicht in ihren Überzeugungen. Weil keine
Religion Gesetz ist, so sey auch keine Religion Verbrechen.

"Sire, das Departement von Paris hat sich von jeher
eine Ehre daraus gemacht, diese Principien standhaft be-
kannt zu haben; wir sind überzeugt daß dasselbe ihnen
zum Theil den kirchlichen Frieden verdankt, dessen es sich
jetzt erfreut. Wohl freilich wissen wir daß es systematische
Unruhstifter giebt, deren Treiben so bald nicht endet, und
die man vergeblich hoffen würde zu patriotischen Gesinnun-
gen zurückzuführen; aber die Vernunft und die Erfahrung
aller Jahrhunderte bezeugen daß das wahre Mittel sie in
Schranken zu halten darin besteht, daß man sich völlig ge-
recht gegen sie beweist und daß die Unduldsamkeit und die
Verfolgung, weit entfernt den Fanatismus zu ersticken,
seine Wuth nur mehr entflammen.

"Aus allen diesen Beweggründen und im heiligen

in England lange Zeit verdächtig? Es giebt keine Reli-
gionsverfolgung, die man nicht unter dieſem Vorwande
rechtfertigen kann. Soll denn ein ganzes Jahrhundert von
Philoſophie nur dazu gedient haben uns zu der Unduld-
ſamkeit des ſechzehnten Jahrhunderts zurückzuführen, und
das auf der Straße der Freiheit? Überwache man immer-
hin die unbeeidigten Prieſter, treffe man ſie ohne Erbar-
men mit der ganzen Schärfe des Geſetzes, wenn ſie es
verletzen oder das Volk zum Ungehorſam aufreizen: nichts
iſt gerechter, nichts iſt nothwendiger als das; allein bis
das geſchieht, achte man ihren Cultus wie jeden anderen
und beunruhige ſie nicht in ihren Überzeugungen. Weil keine
Religion Geſetz iſt, ſo ſey auch keine Religion Verbrechen.

„Sire, das Departement von Paris hat ſich von jeher
eine Ehre daraus gemacht, dieſe Principien ſtandhaft be-
kannt zu haben; wir ſind überzeugt daß dasſelbe ihnen
zum Theil den kirchlichen Frieden verdankt, deſſen es ſich
jetzt erfreut. Wohl freilich wiſſen wir daß es ſyſtematiſche
Unruhſtifter giebt, deren Treiben ſo bald nicht endet, und
die man vergeblich hoffen würde zu patriotiſchen Geſinnun-
gen zurückzuführen; aber die Vernunft und die Erfahrung
aller Jahrhunderte bezeugen daß das wahre Mittel ſie in
Schranken zu halten darin beſteht, daß man ſich völlig ge-
recht gegen ſie beweiſt und daß die Unduldſamkeit und die
Verfolgung, weit entfernt den Fanatismus zu erſticken,
ſeine Wuth nur mehr entflammen.

„Aus allen dieſen Beweggründen und im heiligen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0422" n="412"/>
in England lange Zeit verdächtig? Es giebt keine Reli-<lb/>
gionsverfolgung, die man nicht unter die&#x017F;em Vorwande<lb/>
rechtfertigen kann. Soll denn ein ganzes Jahrhundert von<lb/>
Philo&#x017F;ophie nur dazu gedient haben uns zu der Unduld-<lb/>
&#x017F;amkeit des &#x017F;echzehnten Jahrhunderts zurückzuführen, und<lb/>
das auf der Straße der Freiheit? Überwache man immer-<lb/>
hin die unbeeidigten Prie&#x017F;ter, treffe man &#x017F;ie ohne Erbar-<lb/>
men mit der ganzen Schärfe des Ge&#x017F;etzes, wenn &#x017F;ie es<lb/>
verletzen oder das Volk zum Ungehor&#x017F;am aufreizen: nichts<lb/>
i&#x017F;t gerechter, nichts i&#x017F;t nothwendiger als das; allein bis<lb/>
das ge&#x017F;chieht, achte man ihren Cultus wie jeden anderen<lb/>
und beunruhige &#x017F;ie nicht in ihren Überzeugungen. Weil keine<lb/>
Religion Ge&#x017F;etz i&#x017F;t, &#x017F;o &#x017F;ey auch keine Religion Verbrechen.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Sire, das Departement von Paris hat &#x017F;ich von jeher<lb/>
eine Ehre daraus gemacht, die&#x017F;e Principien &#x017F;tandhaft be-<lb/>
kannt zu haben; wir &#x017F;ind überzeugt daß das&#x017F;elbe ihnen<lb/>
zum Theil den kirchlichen Frieden verdankt, de&#x017F;&#x017F;en es &#x017F;ich<lb/>
jetzt erfreut. Wohl freilich wi&#x017F;&#x017F;en wir daß es &#x017F;y&#x017F;temati&#x017F;che<lb/>
Unruh&#x017F;tifter giebt, deren Treiben &#x017F;o bald nicht endet, und<lb/>
die man vergeblich hoffen würde zu patrioti&#x017F;chen Ge&#x017F;innun-<lb/>
gen zurückzuführen; aber die Vernunft und die Erfahrung<lb/>
aller Jahrhunderte bezeugen daß das wahre Mittel &#x017F;ie in<lb/>
Schranken zu halten darin be&#x017F;teht, daß man &#x017F;ich völlig ge-<lb/>
recht gegen &#x017F;ie bewei&#x017F;t und daß die Unduld&#x017F;amkeit und die<lb/>
Verfolgung, weit entfernt den Fanatismus zu er&#x017F;ticken,<lb/>
&#x017F;eine Wuth nur mehr entflammen.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Aus allen die&#x017F;en Beweggründen und im heiligen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[412/0422] in England lange Zeit verdächtig? Es giebt keine Reli- gionsverfolgung, die man nicht unter dieſem Vorwande rechtfertigen kann. Soll denn ein ganzes Jahrhundert von Philoſophie nur dazu gedient haben uns zu der Unduld- ſamkeit des ſechzehnten Jahrhunderts zurückzuführen, und das auf der Straße der Freiheit? Überwache man immer- hin die unbeeidigten Prieſter, treffe man ſie ohne Erbar- men mit der ganzen Schärfe des Geſetzes, wenn ſie es verletzen oder das Volk zum Ungehorſam aufreizen: nichts iſt gerechter, nichts iſt nothwendiger als das; allein bis das geſchieht, achte man ihren Cultus wie jeden anderen und beunruhige ſie nicht in ihren Überzeugungen. Weil keine Religion Geſetz iſt, ſo ſey auch keine Religion Verbrechen. „Sire, das Departement von Paris hat ſich von jeher eine Ehre daraus gemacht, dieſe Principien ſtandhaft be- kannt zu haben; wir ſind überzeugt daß dasſelbe ihnen zum Theil den kirchlichen Frieden verdankt, deſſen es ſich jetzt erfreut. Wohl freilich wiſſen wir daß es ſyſtematiſche Unruhſtifter giebt, deren Treiben ſo bald nicht endet, und die man vergeblich hoffen würde zu patriotiſchen Geſinnun- gen zurückzuführen; aber die Vernunft und die Erfahrung aller Jahrhunderte bezeugen daß das wahre Mittel ſie in Schranken zu halten darin beſteht, daß man ſich völlig ge- recht gegen ſie beweiſt und daß die Unduldſamkeit und die Verfolgung, weit entfernt den Fanatismus zu erſticken, ſeine Wuth nur mehr entflammen. „Aus allen dieſen Beweggründen und im heiligen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845/422
Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845, S. 412. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845/422>, abgerufen am 22.12.2024.