Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845.

Bild:
<< vorherige Seite

gleich geschützt durch die Würde des Abgeordneten, hielt
sich eine Zeit lang nicht sicher in seinem Hause. Man
fürchtete die Schließung des Jacobinerclubs und des noch
ausschweifenderen der Cordeliers. Vergebliche Furcht!
Die Nationalversammlung verfolgte ihren Sieg nicht. Von
der großen Mehrzahl derselben ward die Krone nicht aus
politischer Überzeugung, auch nicht aus Treue gegen Lud-
wig XVI. geschützt, sondern weil sie einen integrirenden
Theil des Verfassungspalastes ausmachte, welcher nach
mehr als zweijähriger Arbeit nun doch endlich fertig wer-
den mußte, an dem man vor allen Dingen nicht wieder
einreißen durfte, ohne den Verdacht decemviralischer Usur-
pationsplane auf sich zu laden.

Um so widersinniger war es freilich daß die Versamm-
lung unlängst den schwachen Hoffnungsfaden durchschnit-
ten hatte, welcher den Bestand ihres Werks an die Eigen-
liebe seiner Schöpfer knüpfte. Bereits am 16ten Mai ver-
zichtete die Versammlung fast mit Einstimmigkeit auf die
Wählbarkeit ihrer Mitglieder zu der gesetzgebenden Natio-
nalversammlung, welche der sogenannten constituirenden
auf dem Fuß folgen soll; der Taumel der fünften August-
nacht schien wiedergekehrt, man wollte vor aller Welt den
Beweis der völligsten Selbstverläugnung geben. Vor aller
Welt vielleicht, aber gewiß nicht im verschwiegenen In-
nern des sich selbst prüfenden Gemüthes. Ohne Zweifel
hat uns Mirabeau's Tod hier eines Meisterstückes der
Rede beraubt. Wie würde er den Unverstand, der sich

gleich geſchützt durch die Würde des Abgeordneten, hielt
ſich eine Zeit lang nicht ſicher in ſeinem Hauſe. Man
fürchtete die Schließung des Jacobinerclubs und des noch
ausſchweifenderen der Cordeliers. Vergebliche Furcht!
Die Nationalverſammlung verfolgte ihren Sieg nicht. Von
der großen Mehrzahl derſelben ward die Krone nicht aus
politiſcher Überzeugung, auch nicht aus Treue gegen Lud-
wig XVI. geſchützt, ſondern weil ſie einen integrirenden
Theil des Verfaſſungspalaſtes ausmachte, welcher nach
mehr als zweijähriger Arbeit nun doch endlich fertig wer-
den mußte, an dem man vor allen Dingen nicht wieder
einreißen durfte, ohne den Verdacht decemviraliſcher Uſur-
pationsplane auf ſich zu laden.

Um ſo widerſinniger war es freilich daß die Verſamm-
lung unlängſt den ſchwachen Hoffnungsfaden durchſchnit-
ten hatte, welcher den Beſtand ihres Werks an die Eigen-
liebe ſeiner Schöpfer knüpfte. Bereits am 16ten Mai ver-
zichtete die Verſammlung faſt mit Einſtimmigkeit auf die
Wählbarkeit ihrer Mitglieder zu der geſetzgebenden Natio-
nalverſammlung, welche der ſogenannten conſtituirenden
auf dem Fuß folgen ſoll; der Taumel der fünften Auguſt-
nacht ſchien wiedergekehrt, man wollte vor aller Welt den
Beweis der völligſten Selbſtverläugnung geben. Vor aller
Welt vielleicht, aber gewiß nicht im verſchwiegenen In-
nern des ſich ſelbſt prüfenden Gemüthes. Ohne Zweifel
hat uns Mirabeau’s Tod hier eines Meiſterſtückes der
Rede beraubt. Wie würde er den Unverſtand, der ſich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0398" n="388"/>
gleich ge&#x017F;chützt durch die Würde des Abgeordneten, hielt<lb/>
&#x017F;ich eine Zeit lang nicht &#x017F;icher in &#x017F;einem Hau&#x017F;e. Man<lb/>
fürchtete die Schließung des Jacobinerclubs und des noch<lb/>
aus&#x017F;chweifenderen der Cordeliers. Vergebliche Furcht!<lb/>
Die Nationalver&#x017F;ammlung verfolgte ihren Sieg nicht. Von<lb/>
der großen Mehrzahl der&#x017F;elben ward die Krone nicht aus<lb/>
politi&#x017F;cher Überzeugung, auch nicht aus Treue gegen Lud-<lb/>
wig <hi rendition="#aq">XVI.</hi> ge&#x017F;chützt, &#x017F;ondern weil &#x017F;ie einen integrirenden<lb/>
Theil des Verfa&#x017F;&#x017F;ungspala&#x017F;tes ausmachte, welcher nach<lb/>
mehr als zweijähriger Arbeit nun doch endlich fertig wer-<lb/>
den mußte, an dem man vor allen Dingen nicht wieder<lb/>
einreißen durfte, ohne den Verdacht decemvirali&#x017F;cher U&#x017F;ur-<lb/>
pationsplane auf &#x017F;ich zu laden.</p><lb/>
          <p>Um &#x017F;o wider&#x017F;inniger war es freilich daß die Ver&#x017F;amm-<lb/>
lung unläng&#x017F;t den &#x017F;chwachen Hoffnungsfaden durch&#x017F;chnit-<lb/>
ten hatte, welcher den Be&#x017F;tand ihres Werks an die Eigen-<lb/>
liebe &#x017F;einer Schöpfer knüpfte. Bereits am 16ten Mai ver-<lb/>
zichtete die Ver&#x017F;ammlung fa&#x017F;t mit Ein&#x017F;timmigkeit auf die<lb/>
Wählbarkeit ihrer Mitglieder zu der ge&#x017F;etzgebenden Natio-<lb/>
nalver&#x017F;ammlung, welche der &#x017F;ogenannten con&#x017F;tituirenden<lb/>
auf dem Fuß folgen &#x017F;oll; der Taumel der fünften Augu&#x017F;t-<lb/>
nacht &#x017F;chien wiedergekehrt, man wollte vor aller Welt den<lb/>
Beweis der völlig&#x017F;ten Selb&#x017F;tverläugnung geben. Vor aller<lb/>
Welt vielleicht, aber gewiß nicht im ver&#x017F;chwiegenen In-<lb/>
nern des &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t prüfenden Gemüthes. Ohne Zweifel<lb/>
hat uns Mirabeau&#x2019;s Tod hier eines Mei&#x017F;ter&#x017F;tückes der<lb/>
Rede beraubt. Wie würde er den Unver&#x017F;tand, der &#x017F;ich<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[388/0398] gleich geſchützt durch die Würde des Abgeordneten, hielt ſich eine Zeit lang nicht ſicher in ſeinem Hauſe. Man fürchtete die Schließung des Jacobinerclubs und des noch ausſchweifenderen der Cordeliers. Vergebliche Furcht! Die Nationalverſammlung verfolgte ihren Sieg nicht. Von der großen Mehrzahl derſelben ward die Krone nicht aus politiſcher Überzeugung, auch nicht aus Treue gegen Lud- wig XVI. geſchützt, ſondern weil ſie einen integrirenden Theil des Verfaſſungspalaſtes ausmachte, welcher nach mehr als zweijähriger Arbeit nun doch endlich fertig wer- den mußte, an dem man vor allen Dingen nicht wieder einreißen durfte, ohne den Verdacht decemviraliſcher Uſur- pationsplane auf ſich zu laden. Um ſo widerſinniger war es freilich daß die Verſamm- lung unlängſt den ſchwachen Hoffnungsfaden durchſchnit- ten hatte, welcher den Beſtand ihres Werks an die Eigen- liebe ſeiner Schöpfer knüpfte. Bereits am 16ten Mai ver- zichtete die Verſammlung faſt mit Einſtimmigkeit auf die Wählbarkeit ihrer Mitglieder zu der geſetzgebenden Natio- nalverſammlung, welche der ſogenannten conſtituirenden auf dem Fuß folgen ſoll; der Taumel der fünften Auguſt- nacht ſchien wiedergekehrt, man wollte vor aller Welt den Beweis der völligſten Selbſtverläugnung geben. Vor aller Welt vielleicht, aber gewiß nicht im verſchwiegenen In- nern des ſich ſelbſt prüfenden Gemüthes. Ohne Zweifel hat uns Mirabeau’s Tod hier eines Meiſterſtückes der Rede beraubt. Wie würde er den Unverſtand, der ſich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845/398
Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845, S. 388. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845/398>, abgerufen am 22.12.2024.