ruhen und Widersetzlichkeiten, wovon die Nachricht ein- ging, der Untüchtigkeit oder dem übeln Willen der Mini- ster des Königs aufzubürden. Während die Krone in Machtlosigkeit versank, verlangte man daß die Minister als die Anstifter des öffentlichen Unglücks in den Anklage- stand versetzt würden. Paris hatte so eben statt der neuen Eintheilung in 60 Districte eine allerneueste in 48 Sectio- nen erhalten, und eine ihr entsprechende Municipalität or- ganisirte sich, als die Sectionen den Entschluß faßten, der Nationalversammlung die Ministeranklage aus Herz zu legen. Weigerte sich auch Bailly, der ungeachtet mancher Gegnerschaft wieder erwählte Maire, diesen Auftrag zu vertreten, er durfte die lästige Pflicht nicht ablehnen, die Abgesandten der Sectionen an die Schranken der Versamm- Nov. 10.lung zu führen. Ihr Redner war Danton, eben noch ein dunkler Advocat, jetzt als Miterstürmer der Bastille, Vor- sitzender des Cordeliersdistricts allgenannt; seine athle- tische Figur, seine Medusenaugen in dem breiten von Blattern besprengten Gesichte, diese aufgeworfenen Nüstern und Lippen, die Schildhalter anmuthloser Zuversichtlich- keit, verkündigten den angehenden Mirabeau des gemei- nen Mannes. Er las seine Bittschrift mit ungeheurer Heftigkeit, eine so rauhe dröhnende Stimme hatte diese Wände noch nicht erschüttert, und sein Vortrag enthielt vulcanische Ausbrüche einer bisher unerhörten Staats- weisheit. "Ganz Frankreich hatte Grund zu glauben daß die Minister eine Entlassung einreichen würden, welche
ruhen und Widerſetzlichkeiten, wovon die Nachricht ein- ging, der Untüchtigkeit oder dem übeln Willen der Mini- ſter des Königs aufzubürden. Während die Krone in Machtloſigkeit verſank, verlangte man daß die Miniſter als die Anſtifter des öffentlichen Unglücks in den Anklage- ſtand verſetzt würden. Paris hatte ſo eben ſtatt der neuen Eintheilung in 60 Diſtricte eine allerneueſte in 48 Sectio- nen erhalten, und eine ihr entſprechende Municipalität or- ganiſirte ſich, als die Sectionen den Entſchluß faßten, der Nationalverſammlung die Miniſteranklage aus Herz zu legen. Weigerte ſich auch Bailly, der ungeachtet mancher Gegnerſchaft wieder erwählte Maire, dieſen Auftrag zu vertreten, er durfte die läſtige Pflicht nicht ablehnen, die Abgeſandten der Sectionen an die Schranken der Verſamm- Nov. 10.lung zu führen. Ihr Redner war Danton, eben noch ein dunkler Advocat, jetzt als Miterſtürmer der Baſtille, Vor- ſitzender des Cordeliersdiſtricts allgenannt; ſeine athle- tiſche Figur, ſeine Meduſenaugen in dem breiten von Blattern beſprengten Geſichte, dieſe aufgeworfenen Nüſtern und Lippen, die Schildhalter anmuthloſer Zuverſichtlich- keit, verkündigten den angehenden Mirabeau des gemei- nen Mannes. Er las ſeine Bittſchrift mit ungeheurer Heftigkeit, eine ſo rauhe dröhnende Stimme hatte dieſe Wände noch nicht erſchüttert, und ſein Vortrag enthielt vulcaniſche Ausbrüche einer bisher unerhörten Staats- weisheit. „Ganz Frankreich hatte Grund zu glauben daß die Miniſter eine Entlaſſung einreichen würden, welche
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ruhen und Widerſetzlichkeiten, wovon die Nachricht ein-
ging, der Untüchtigkeit oder dem übeln Willen der Mini-
ſter des Königs aufzubürden. Während die Krone in
Machtloſigkeit verſank, verlangte man daß die Miniſter
als die Anſtifter des öffentlichen Unglücks in den Anklage-
ſtand verſetzt würden. Paris hatte ſo eben ſtatt der neuen
Eintheilung in 60 Diſtricte eine allerneueſte in 48 Sectio-
nen erhalten, und eine ihr entſprechende Municipalität or-
ganiſirte ſich, als die Sectionen den Entſchluß faßten, der
Nationalverſammlung die Miniſteranklage aus Herz zu
legen. Weigerte ſich auch Bailly, der ungeachtet mancher
Gegnerſchaft wieder erwählte Maire, dieſen Auftrag zu
vertreten, er durfte die läſtige Pflicht nicht ablehnen, die
Abgeſandten der Sectionen an die Schranken der Verſamm-
lung zu führen. Ihr Redner war Danton, eben noch ein
dunkler Advocat, jetzt als Miterſtürmer der Baſtille, Vor-
ſitzender des Cordeliersdiſtricts allgenannt; ſeine athle-
tiſche Figur, ſeine Meduſenaugen in dem breiten von
Blattern beſprengten Geſichte, dieſe aufgeworfenen Nüſtern
und Lippen, die Schildhalter anmuthloſer Zuverſichtlich-
keit, verkündigten den angehenden Mirabeau des gemei-
nen Mannes. Er las ſeine Bittſchrift mit ungeheurer
Heftigkeit, eine ſo rauhe dröhnende Stimme hatte dieſe
Wände noch nicht erſchüttert, und ſein Vortrag enthielt
vulcaniſche Ausbrüche einer bisher unerhörten Staats-
weisheit. „Ganz Frankreich hatte Grund zu glauben daß
die Miniſter eine Entlaſſung einreichen würden, welche
Nov. 10.
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Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845, S. 342. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845/352>, abgerufen am 22.12.2024.
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