pensive Veto hervorgegangen; das will sagen: der König soll die Sanction allerdings verweigern können; es steht ihm frei vielleicht in diesem Falle die Nationalversamm- lung aufzulösen, den Eintritt einer durch neue Wahlen erneuten Versammlung zu erwarten; aber wenn diese neue Versammlung ihm das von ihm verworfene Gesetz zum zweiten Male darbietet, ist er gezwungen es zuzulassen; denn er hat die Gewißheit erhalten, dieses sey wirklich der Volkswunsch. Allein bedenket wohl, wie hoch Ihr den König mit der einen Hand gestellt habt und wie tief Ihr ihn mit der anderen herabdrücken wollet! Hier steht er als erblicher Herrscher, als unverletzlicher, auf einer von keiner Ehrsucht erreichbaren Höhe, berufen über 25 Millionen zu befehlen, auf einer Strecke von 30,000 Qua- drat-Lieues allenthalben der Beschützer zu seyn, und dort wollet Ihr diesen Mann der Macht zwingen Gesetze aus- zuführen, in die er nicht gewilligt hat. Wollet Ihr alle Schrecken eines blutigen Aufruhrs daran setzen? Gut, es steht in Eurer Hand, aber verkannt habt Ihr alsdann jene weit sicherer zum Ziele führende Macht, die Macht der öffentlichen Meinung. Wenn sie wahrhaftig in Wirk- samkeit tritt, in dem Augenblicke erhebt sie auch den Ge- setzvorschlag weit über die Willkür auch des mächtigsten Fürsten hinaus; er könnte nicht länger widerstehen ohne ein Gegenstand des Abscheues zu werden. Seine Einwil- ligung ist in Wahrheit nichts anders als das feierliche Versprechen, das Gesetz, welches er genehmigt hat, in
penſive Veto hervorgegangen; das will ſagen: der König ſoll die Sanction allerdings verweigern können; es ſteht ihm frei vielleicht in dieſem Falle die Nationalverſamm- lung aufzulöſen, den Eintritt einer durch neue Wahlen erneuten Verſammlung zu erwarten; aber wenn dieſe neue Verſammlung ihm das von ihm verworfene Geſetz zum zweiten Male darbietet, iſt er gezwungen es zuzulaſſen; denn er hat die Gewißheit erhalten, dieſes ſey wirklich der Volkswunſch. Allein bedenket wohl, wie hoch Ihr den König mit der einen Hand geſtellt habt und wie tief Ihr ihn mit der anderen herabdrücken wollet! Hier ſteht er als erblicher Herrſcher, als unverletzlicher, auf einer von keiner Ehrſucht erreichbaren Höhe, berufen über 25 Millionen zu befehlen, auf einer Strecke von 30,000 Qua- drat-Lieues allenthalben der Beſchützer zu ſeyn, und dort wollet Ihr dieſen Mann der Macht zwingen Geſetze aus- zuführen, in die er nicht gewilligt hat. Wollet Ihr alle Schrecken eines blutigen Aufruhrs daran ſetzen? Gut, es ſteht in Eurer Hand, aber verkannt habt Ihr alsdann jene weit ſicherer zum Ziele führende Macht, die Macht der öffentlichen Meinung. Wenn ſie wahrhaftig in Wirk- ſamkeit tritt, in dem Augenblicke erhebt ſie auch den Ge- ſetzvorſchlag weit über die Willkür auch des mächtigſten Fürſten hinaus; er könnte nicht länger widerſtehen ohne ein Gegenſtand des Abſcheues zu werden. Seine Einwil- ligung iſt in Wahrheit nichts anders als das feierliche Verſprechen, das Geſetz, welches er genehmigt hat, in
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penſive Veto hervorgegangen; das will ſagen: der König
ſoll die Sanction allerdings verweigern können; es ſteht
ihm frei vielleicht in dieſem Falle die Nationalverſamm-
lung aufzulöſen, den Eintritt einer durch neue Wahlen
erneuten Verſammlung zu erwarten; aber wenn dieſe neue
Verſammlung ihm das von ihm verworfene Geſetz zum
zweiten Male darbietet, iſt er gezwungen es zuzulaſſen;
denn er hat die Gewißheit erhalten, dieſes ſey wirklich
der Volkswunſch. Allein bedenket wohl, wie hoch Ihr
den König mit der einen Hand geſtellt habt und wie tief
Ihr ihn mit der anderen herabdrücken wollet! Hier ſteht
er als erblicher Herrſcher, als unverletzlicher, auf einer
von keiner Ehrſucht erreichbaren Höhe, berufen über 25
Millionen zu befehlen, auf einer Strecke von 30,000 Qua-
drat-Lieues allenthalben der Beſchützer zu ſeyn, und dort
wollet Ihr dieſen Mann der Macht zwingen Geſetze aus-
zuführen, in die er nicht gewilligt hat. Wollet Ihr alle
Schrecken eines blutigen Aufruhrs daran ſetzen? Gut, es
ſteht in Eurer Hand, aber verkannt habt Ihr alsdann
jene weit ſicherer zum Ziele führende Macht, die Macht
der öffentlichen Meinung. Wenn ſie wahrhaftig in Wirk-
ſamkeit tritt, in dem Augenblicke erhebt ſie auch den Ge-
ſetzvorſchlag weit über die Willkür auch des mächtigſten
Fürſten hinaus; er könnte nicht länger widerſtehen ohne
ein Gegenſtand des Abſcheues zu werden. Seine Einwil-
ligung iſt in Wahrheit nichts anders als das feierliche
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Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845, S. 260. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845/270>, abgerufen am 24.11.2024.
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