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Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845.

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wahren vor einem schlechten Gesetze. Im schlimmsten Falle
wird dann die ihrer jährlichen Wiederkehr versicherte Ver-
sammlung die Steuern und das Heer verweigern oder nur
für kurze Zeit bewilligen. Der Fürst wird hierauf viel-
leicht die Nationalversammlung auflösen, nun verpflichtet
ihn aber die Verfassung binnen drei Monaten eine neue
Versammlung zu berufen. Das Volk wird alsdann, wenn
es mit seinen Vertretern wirklich einverstanden ist, diesel-
ben Vertreter wieder wählen. Was bleibt dem Fürsten
übrig als sich zu fügen? Wenn aber dem Fürsten das Veto
abgeht, wie hilft sich dann ein Volk gegen schlechte Ver-
treter anders als durch Aufstand? "Wir werden," fährt
er fort, "jedes Jahr zusammenkommen; denn bedenket
wohl die ungeheure uns obliegende Verpflichtung. Die
Finanzen allein werden vielleicht die Arbeit eines halben
Jahrhunderts erfordern. Dann das bürgerliche und das
peinliche Gesetzbuch! Wie? die Engländer, bei denen, so
zu sagen, Alles schon gethan ist, versammeln sich von
Jahr zu Jahr, und finden stets zu thun, und die Franzo-
sen, bei welchen Alles noch zu thun ist, sollten sich nicht
jedes Jahr versammeln? Wir werden also eine permanente
Versammlung haben und in ihr allein schon ein hinläng-
liches Gegengewicht gegen das königliche Veto. Wer frei-
lich jede große Gewalt fürchtet, wird es Despotismus
nennen, wenn der König sagen kann: "Das ist der Wille
meines Volks, aber der meine steht ihm entgegen, und
mein Wille soll gelten." Aus dieser Furcht ist das sus-

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wahren vor einem ſchlechten Geſetze. Im ſchlimmſten Falle
wird dann die ihrer jährlichen Wiederkehr verſicherte Ver-
ſammlung die Steuern und das Heer verweigern oder nur
für kurze Zeit bewilligen. Der Fürſt wird hierauf viel-
leicht die Nationalverſammlung auflöſen, nun verpflichtet
ihn aber die Verfaſſung binnen drei Monaten eine neue
Verſammlung zu berufen. Das Volk wird alsdann, wenn
es mit ſeinen Vertretern wirklich einverſtanden iſt, dieſel-
ben Vertreter wieder wählen. Was bleibt dem Fürſten
übrig als ſich zu fügen? Wenn aber dem Fürſten das Veto
abgeht, wie hilft ſich dann ein Volk gegen ſchlechte Ver-
treter anders als durch Aufſtand? „Wir werden,“ fährt
er fort, „jedes Jahr zuſammenkommen; denn bedenket
wohl die ungeheure uns obliegende Verpflichtung. Die
Finanzen allein werden vielleicht die Arbeit eines halben
Jahrhunderts erfordern. Dann das bürgerliche und das
peinliche Geſetzbuch! Wie? die Engländer, bei denen, ſo
zu ſagen, Alles ſchon gethan iſt, verſammeln ſich von
Jahr zu Jahr, und finden ſtets zu thun, und die Franzo-
ſen, bei welchen Alles noch zu thun iſt, ſollten ſich nicht
jedes Jahr verſammeln? Wir werden alſo eine permanente
Verſammlung haben und in ihr allein ſchon ein hinläng-
liches Gegengewicht gegen das königliche Veto. Wer frei-
lich jede große Gewalt fürchtet, wird es Despotismus
nennen, wenn der König ſagen kann: „Das iſt der Wille
meines Volks, aber der meine ſteht ihm entgegen, und
mein Wille ſoll gelten.“ Aus dieſer Furcht iſt das ſus-

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[259/0269] wahren vor einem ſchlechten Geſetze. Im ſchlimmſten Falle wird dann die ihrer jährlichen Wiederkehr verſicherte Ver- ſammlung die Steuern und das Heer verweigern oder nur für kurze Zeit bewilligen. Der Fürſt wird hierauf viel- leicht die Nationalverſammlung auflöſen, nun verpflichtet ihn aber die Verfaſſung binnen drei Monaten eine neue Verſammlung zu berufen. Das Volk wird alsdann, wenn es mit ſeinen Vertretern wirklich einverſtanden iſt, dieſel- ben Vertreter wieder wählen. Was bleibt dem Fürſten übrig als ſich zu fügen? Wenn aber dem Fürſten das Veto abgeht, wie hilft ſich dann ein Volk gegen ſchlechte Ver- treter anders als durch Aufſtand? „Wir werden,“ fährt er fort, „jedes Jahr zuſammenkommen; denn bedenket wohl die ungeheure uns obliegende Verpflichtung. Die Finanzen allein werden vielleicht die Arbeit eines halben Jahrhunderts erfordern. Dann das bürgerliche und das peinliche Geſetzbuch! Wie? die Engländer, bei denen, ſo zu ſagen, Alles ſchon gethan iſt, verſammeln ſich von Jahr zu Jahr, und finden ſtets zu thun, und die Franzo- ſen, bei welchen Alles noch zu thun iſt, ſollten ſich nicht jedes Jahr verſammeln? Wir werden alſo eine permanente Verſammlung haben und in ihr allein ſchon ein hinläng- liches Gegengewicht gegen das königliche Veto. Wer frei- lich jede große Gewalt fürchtet, wird es Despotismus nennen, wenn der König ſagen kann: „Das iſt der Wille meines Volks, aber der meine ſteht ihm entgegen, und mein Wille ſoll gelten.“ Aus dieſer Furcht iſt das ſus- 17*

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Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845, S. 259. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845/269>, abgerufen am 14.05.2024.