Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845.

Bild:
<< vorherige Seite

Commissarien aller drei Stände herbei; aber die Abgeord-
neten der Gemeinen, denn so benannten sich die vom drit-
ten Stande in diesen Tagen, gaben weder zu, daß für die-
sen in seiner Wahlordnung so mannigfach abweichenden
Reichstag das gelte was vor Jahrhunderten gegolten,
noch misglückte ihnen der Beweis daß wirklich auch auf
ein Paar alten Reichstagen die Prüfung der Vollmachten
gemeinsam vorgenommen sey. Bis in die dritte Woche
hatte man sich gestritten, Frankreich sah vergeblich nach
den Thaten seiner Vertreter aus, und die Freude der Höf-
linge brach fast schon in ein helles Jauchzen aus, als
Klerus und Adel sagen ließen, sie hätten auf ihre Steuer-
freiheit Verzicht geleistet. Dieser Versuch die Gemeinen
von ihrer Bahn abzulenken, scheiterte; sie nahmen die
Botschaft kalt an und beharrten, sie wollten keine bloße
Steuerveränderung mehr, ihr Sinn stand nach einer neuen
Verfassung. Man hielt damals bei ihnen sehr kurze Sitzun-
gen; jedes Mitglied redete einfach von seinem Platze aus;
nur daß ausnahmsweise, wenn etwas besonders Wich-
tiges vorzubringen war, ein Mitglied auf die Erhöhung,
das Büreau trat, wo der Alterspräsident seinen Platz
hatte. Man war in die vierte ständische Woche getreten,
als auf Mirabeau's Antrag einige Vertreter der Gemei-
nen bei der Geistlichkeit erschienen, sie im Namen des
Gottes des Friedens beschwörend, gemeinschaftliche Sache
mit ihnen zu machen. Dieser Schritt erschütterte die Ge-
müther der Geistlichen und wenig fehlte, so wäre an die-

Commiſſarien aller drei Stände herbei; aber die Abgeord-
neten der Gemeinen, denn ſo benannten ſich die vom drit-
ten Stande in dieſen Tagen, gaben weder zu, daß für die-
ſen in ſeiner Wahlordnung ſo mannigfach abweichenden
Reichstag das gelte was vor Jahrhunderten gegolten,
noch misglückte ihnen der Beweis daß wirklich auch auf
ein Paar alten Reichstagen die Prüfung der Vollmachten
gemeinſam vorgenommen ſey. Bis in die dritte Woche
hatte man ſich geſtritten, Frankreich ſah vergeblich nach
den Thaten ſeiner Vertreter aus, und die Freude der Höf-
linge brach faſt ſchon in ein helles Jauchzen aus, als
Klerus und Adel ſagen ließen, ſie hätten auf ihre Steuer-
freiheit Verzicht geleiſtet. Dieſer Verſuch die Gemeinen
von ihrer Bahn abzulenken, ſcheiterte; ſie nahmen die
Botſchaft kalt an und beharrten, ſie wollten keine bloße
Steuerveränderung mehr, ihr Sinn ſtand nach einer neuen
Verfaſſung. Man hielt damals bei ihnen ſehr kurze Sitzun-
gen; jedes Mitglied redete einfach von ſeinem Platze aus;
nur daß ausnahmsweiſe, wenn etwas beſonders Wich-
tiges vorzubringen war, ein Mitglied auf die Erhöhung,
das Büreau trat, wo der Alterspräſident ſeinen Platz
hatte. Man war in die vierte ſtändiſche Woche getreten,
als auf Mirabeau’s Antrag einige Vertreter der Gemei-
nen bei der Geiſtlichkeit erſchienen, ſie im Namen des
Gottes des Friedens beſchwörend, gemeinſchaftliche Sache
mit ihnen zu machen. Dieſer Schritt erſchütterte die Ge-
müther der Geiſtlichen und wenig fehlte, ſo wäre an die-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0206" n="196"/>
Commi&#x017F;&#x017F;arien aller drei Stände herbei; aber die Abgeord-<lb/>
neten der Gemeinen, denn &#x017F;o benannten &#x017F;ich die vom drit-<lb/>
ten Stande in die&#x017F;en Tagen, gaben weder zu, daß für die-<lb/>
&#x017F;en in &#x017F;einer Wahlordnung &#x017F;o mannigfach abweichenden<lb/>
Reichstag das gelte was vor Jahrhunderten gegolten,<lb/>
noch misglückte ihnen der Beweis daß wirklich auch auf<lb/>
ein Paar alten Reichstagen die Prüfung der Vollmachten<lb/>
gemein&#x017F;am vorgenommen &#x017F;ey. Bis in die dritte Woche<lb/>
hatte man &#x017F;ich ge&#x017F;tritten, Frankreich &#x017F;ah vergeblich nach<lb/>
den Thaten &#x017F;einer Vertreter aus, und die Freude der Höf-<lb/>
linge brach fa&#x017F;t &#x017F;chon in ein helles Jauchzen aus, als<lb/>
Klerus und Adel &#x017F;agen ließen, &#x017F;ie hätten auf ihre Steuer-<lb/>
freiheit Verzicht gelei&#x017F;tet. Die&#x017F;er Ver&#x017F;uch die Gemeinen<lb/>
von ihrer Bahn abzulenken, &#x017F;cheiterte; &#x017F;ie nahmen die<lb/>
Bot&#x017F;chaft kalt an und beharrten, &#x017F;ie wollten keine bloße<lb/>
Steuerveränderung mehr, ihr Sinn &#x017F;tand nach einer neuen<lb/>
Verfa&#x017F;&#x017F;ung. Man hielt damals bei ihnen &#x017F;ehr kurze Sitzun-<lb/>
gen; jedes Mitglied redete einfach von &#x017F;einem Platze aus;<lb/>
nur daß ausnahmswei&#x017F;e, wenn etwas be&#x017F;onders Wich-<lb/>
tiges vorzubringen war, ein Mitglied auf die Erhöhung,<lb/>
das Büreau trat, wo der Altersprä&#x017F;ident &#x017F;einen Platz<lb/>
hatte. Man war in die vierte &#x017F;tändi&#x017F;che Woche getreten,<lb/>
als auf Mirabeau&#x2019;s Antrag einige Vertreter der Gemei-<lb/>
nen bei der Gei&#x017F;tlichkeit er&#x017F;chienen, &#x017F;ie im Namen des<lb/>
Gottes des Friedens be&#x017F;chwörend, gemein&#x017F;chaftliche Sache<lb/>
mit ihnen zu machen. Die&#x017F;er Schritt er&#x017F;chütterte die Ge-<lb/>
müther der Gei&#x017F;tlichen und wenig fehlte, &#x017F;o wäre an die-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[196/0206] Commiſſarien aller drei Stände herbei; aber die Abgeord- neten der Gemeinen, denn ſo benannten ſich die vom drit- ten Stande in dieſen Tagen, gaben weder zu, daß für die- ſen in ſeiner Wahlordnung ſo mannigfach abweichenden Reichstag das gelte was vor Jahrhunderten gegolten, noch misglückte ihnen der Beweis daß wirklich auch auf ein Paar alten Reichstagen die Prüfung der Vollmachten gemeinſam vorgenommen ſey. Bis in die dritte Woche hatte man ſich geſtritten, Frankreich ſah vergeblich nach den Thaten ſeiner Vertreter aus, und die Freude der Höf- linge brach faſt ſchon in ein helles Jauchzen aus, als Klerus und Adel ſagen ließen, ſie hätten auf ihre Steuer- freiheit Verzicht geleiſtet. Dieſer Verſuch die Gemeinen von ihrer Bahn abzulenken, ſcheiterte; ſie nahmen die Botſchaft kalt an und beharrten, ſie wollten keine bloße Steuerveränderung mehr, ihr Sinn ſtand nach einer neuen Verfaſſung. Man hielt damals bei ihnen ſehr kurze Sitzun- gen; jedes Mitglied redete einfach von ſeinem Platze aus; nur daß ausnahmsweiſe, wenn etwas beſonders Wich- tiges vorzubringen war, ein Mitglied auf die Erhöhung, das Büreau trat, wo der Alterspräſident ſeinen Platz hatte. Man war in die vierte ſtändiſche Woche getreten, als auf Mirabeau’s Antrag einige Vertreter der Gemei- nen bei der Geiſtlichkeit erſchienen, ſie im Namen des Gottes des Friedens beſchwörend, gemeinſchaftliche Sache mit ihnen zu machen. Dieſer Schritt erſchütterte die Ge- müther der Geiſtlichen und wenig fehlte, ſo wäre an die-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845/206
Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845/206>, abgerufen am 24.11.2024.