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Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845.

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Faßt man aber diese drei hervorragenden Köpfe zusammen
und fügt noch als vierten Mann den genialen Diderot
hinzu, der noch mehr ätzende Elemente im Geiste trug, so
erkennt man recht deutlich, daß der vierzehnte Ludwig bei
weitem höhere Güter als bloß industrielle antastete, da-
mals als er seine fleißigen Reformirten ausstieß. Denn
er schnitt mit ihnen das Asyl für eine unabwendbare Ent-
wickelung der menschlichen Geisteskräfte ab, welche sich in
dieser bedächtig prüfenden Glaubensform unschädlich hätte
ablagern können. Der Protestantismus ist ja nun einmal
begnügt, wo man ihn auch allenfalls bloß duldet, der
Katholicismus dagegen will die Alleinherrschaft führen,
und Ludwigs Dragoner verhalfen ihm dazu. Aber herrscht
denn am Ende eine Kirche wirklich, von welcher sich die
ersten Köpfe der Nation mit Trotz und Geringschätzung
abwenden? Ganz anders stand auch diese Sache im deut-
schen Reiche. Denn in demselben achtzehnten Jahrhundert
trug der deutsche Reichsboden vier groß begabte Männer,
welche ihr gediegenes Wesen aufrichtig hinstellen durften
wie es war, unbekümmert darum, wie es zu den Glau-
benssatzungen stehe, welchen der westphälische Frieden
Schutz verleiht: Winckelmann, Lessing, Goethe und Schil-
ler. Pflanzen dieser edeln Gattung konnten allein auf
einem Boden gedeihen und ihre unsterblichen Früchte zeiti-
gen, auf welchem der Protestantismus ein Recht des Da-
seyns hat und sich zugleich mit dem Katholicismus friedlich
eingewöhnen und ausgleichen soll, da dann der unwider-

Faßt man aber dieſe drei hervorragenden Köpfe zuſammen
und fügt noch als vierten Mann den genialen Diderot
hinzu, der noch mehr ätzende Elemente im Geiſte trug, ſo
erkennt man recht deutlich, daß der vierzehnte Ludwig bei
weitem höhere Güter als bloß induſtrielle antaſtete, da-
mals als er ſeine fleißigen Reformirten ausſtieß. Denn
er ſchnitt mit ihnen das Aſyl für eine unabwendbare Ent-
wickelung der menſchlichen Geiſteskräfte ab, welche ſich in
dieſer bedächtig prüfenden Glaubensform unſchädlich hätte
ablagern können. Der Proteſtantismus iſt ja nun einmal
begnügt, wo man ihn auch allenfalls bloß duldet, der
Katholicismus dagegen will die Alleinherrſchaft führen,
und Ludwigs Dragoner verhalfen ihm dazu. Aber herrſcht
denn am Ende eine Kirche wirklich, von welcher ſich die
erſten Köpfe der Nation mit Trotz und Geringſchätzung
abwenden? Ganz anders ſtand auch dieſe Sache im deut-
ſchen Reiche. Denn in demſelben achtzehnten Jahrhundert
trug der deutſche Reichsboden vier groß begabte Männer,
welche ihr gediegenes Weſen aufrichtig hinſtellen durften
wie es war, unbekümmert darum, wie es zu den Glau-
bensſatzungen ſtehe, welchen der weſtphäliſche Frieden
Schutz verleiht: Winckelmann, Leſſing, Goethe und Schil-
ler. Pflanzen dieſer edeln Gattung konnten allein auf
einem Boden gedeihen und ihre unſterblichen Früchte zeiti-
gen, auf welchem der Proteſtantismus ein Recht des Da-
ſeyns hat und ſich zugleich mit dem Katholicismus friedlich
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[9/0019] Faßt man aber dieſe drei hervorragenden Köpfe zuſammen und fügt noch als vierten Mann den genialen Diderot hinzu, der noch mehr ätzende Elemente im Geiſte trug, ſo erkennt man recht deutlich, daß der vierzehnte Ludwig bei weitem höhere Güter als bloß induſtrielle antaſtete, da- mals als er ſeine fleißigen Reformirten ausſtieß. Denn er ſchnitt mit ihnen das Aſyl für eine unabwendbare Ent- wickelung der menſchlichen Geiſteskräfte ab, welche ſich in dieſer bedächtig prüfenden Glaubensform unſchädlich hätte ablagern können. Der Proteſtantismus iſt ja nun einmal begnügt, wo man ihn auch allenfalls bloß duldet, der Katholicismus dagegen will die Alleinherrſchaft führen, und Ludwigs Dragoner verhalfen ihm dazu. Aber herrſcht denn am Ende eine Kirche wirklich, von welcher ſich die erſten Köpfe der Nation mit Trotz und Geringſchätzung abwenden? Ganz anders ſtand auch dieſe Sache im deut- ſchen Reiche. Denn in demſelben achtzehnten Jahrhundert trug der deutſche Reichsboden vier groß begabte Männer, welche ihr gediegenes Weſen aufrichtig hinſtellen durften wie es war, unbekümmert darum, wie es zu den Glau- bensſatzungen ſtehe, welchen der weſtphäliſche Frieden Schutz verleiht: Winckelmann, Leſſing, Goethe und Schil- ler. Pflanzen dieſer edeln Gattung konnten allein auf einem Boden gedeihen und ihre unſterblichen Früchte zeiti- gen, auf welchem der Proteſtantismus ein Recht des Da- ſeyns hat und ſich zugleich mit dem Katholicismus friedlich eingewöhnen und ausgleichen ſoll, da dann der unwider-

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Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845/19>, abgerufen am 28.03.2024.