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Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845.

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stehliche Werth solcher höheren Naturen den seichten Ver-
ketzerungstrieb nach beiden Seiten zu Boden wirft. Was
diese deutschen Männer, nicht ohne heißen Kampf zwar,
aber ohne Verbitterung ihres lichten Inneren überwanden,
die Hindernisse, welche dumpfer Glaubenseifer einer edeln
Geistesbildung entgegensetzt, an diesen Klippen scheiterten
jene starken Geister Frankreichs, und es schlug hier die
verwandte Richtung in den Witz des Grimmes und eine
giftige Leichtfertigkeit um, weil sie keinen erlaubten Boden
fand. Das Werk von Montesquieu erlebte im ersten Jahre
seines Erscheinens zwölf Auflagen und keine einzige von
diesen durfte Frankreich angehören. Was geistreich war,
war auch umwälzend, durfte in der Heimat nicht erschei-
nen, allein je ärger man es trieb, um so größer die Ge-
wißheit überall im Vaterlande gelesen zu werden. Vol-
taire und Diderot, nicht zufrieden mit der Bekämpfung des
Klerus, kündigten dem Christenthum Krieg an und schnit-
ten sich hiemit selber einen tiefsinnigeren Bildungsgang
und den beruhigten Blick auf die Entwickelung des Men-
schengeschlechtes ab. Und keine Frage mehr, der Blitz, der
aus immer schwerer überhängendem Gewölk Frankreichs
Thron bedrohte, mußte zugleich seinen Kirchenstaat treffen.
Denn die Schriften dieser Männer drangen überall ein,
nicht bloß in die höheren und mittleren Lagen der Gesell-
schaft, auch die höchsten Personen schwelgten in dem Reize
dieser verbotenen Ideen. Während König Ludwig XV.
jede Entwürdigung des Lebens erschöpfte, ging es in einem

ſtehliche Werth ſolcher höheren Naturen den ſeichten Ver-
ketzerungstrieb nach beiden Seiten zu Boden wirft. Was
dieſe deutſchen Männer, nicht ohne heißen Kampf zwar,
aber ohne Verbitterung ihres lichten Inneren überwanden,
die Hinderniſſe, welche dumpfer Glaubenseifer einer edeln
Geiſtesbildung entgegenſetzt, an dieſen Klippen ſcheiterten
jene ſtarken Geiſter Frankreichs, und es ſchlug hier die
verwandte Richtung in den Witz des Grimmes und eine
giftige Leichtfertigkeit um, weil ſie keinen erlaubten Boden
fand. Das Werk von Montesquieu erlebte im erſten Jahre
ſeines Erſcheinens zwölf Auflagen und keine einzige von
dieſen durfte Frankreich angehören. Was geiſtreich war,
war auch umwälzend, durfte in der Heimat nicht erſchei-
nen, allein je ärger man es trieb, um ſo größer die Ge-
wißheit überall im Vaterlande geleſen zu werden. Vol-
taire und Diderot, nicht zufrieden mit der Bekämpfung des
Klerus, kündigten dem Chriſtenthum Krieg an und ſchnit-
ten ſich hiemit ſelber einen tiefſinnigeren Bildungsgang
und den beruhigten Blick auf die Entwickelung des Men-
ſchengeſchlechtes ab. Und keine Frage mehr, der Blitz, der
aus immer ſchwerer überhängendem Gewölk Frankreichs
Thron bedrohte, mußte zugleich ſeinen Kirchenſtaat treffen.
Denn die Schriften dieſer Männer drangen überall ein,
nicht bloß in die höheren und mittleren Lagen der Geſell-
ſchaft, auch die höchſten Perſonen ſchwelgten in dem Reize
dieſer verbotenen Ideen. Während König Ludwig XV.
jede Entwürdigung des Lebens erſchöpfte, ging es in einem

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[10/0020] ſtehliche Werth ſolcher höheren Naturen den ſeichten Ver- ketzerungstrieb nach beiden Seiten zu Boden wirft. Was dieſe deutſchen Männer, nicht ohne heißen Kampf zwar, aber ohne Verbitterung ihres lichten Inneren überwanden, die Hinderniſſe, welche dumpfer Glaubenseifer einer edeln Geiſtesbildung entgegenſetzt, an dieſen Klippen ſcheiterten jene ſtarken Geiſter Frankreichs, und es ſchlug hier die verwandte Richtung in den Witz des Grimmes und eine giftige Leichtfertigkeit um, weil ſie keinen erlaubten Boden fand. Das Werk von Montesquieu erlebte im erſten Jahre ſeines Erſcheinens zwölf Auflagen und keine einzige von dieſen durfte Frankreich angehören. Was geiſtreich war, war auch umwälzend, durfte in der Heimat nicht erſchei- nen, allein je ärger man es trieb, um ſo größer die Ge- wißheit überall im Vaterlande geleſen zu werden. Vol- taire und Diderot, nicht zufrieden mit der Bekämpfung des Klerus, kündigten dem Chriſtenthum Krieg an und ſchnit- ten ſich hiemit ſelber einen tiefſinnigeren Bildungsgang und den beruhigten Blick auf die Entwickelung des Men- ſchengeſchlechtes ab. Und keine Frage mehr, der Blitz, der aus immer ſchwerer überhängendem Gewölk Frankreichs Thron bedrohte, mußte zugleich ſeinen Kirchenſtaat treffen. Denn die Schriften dieſer Männer drangen überall ein, nicht bloß in die höheren und mittleren Lagen der Geſell- ſchaft, auch die höchſten Perſonen ſchwelgten in dem Reize dieſer verbotenen Ideen. Während König Ludwig XV. jede Entwürdigung des Lebens erſchöpfte, ging es in einem

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Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845/20>, abgerufen am 24.11.2024.