Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845.

Bild:
<< vorherige Seite

den Völkern so das Recht wie die Pflicht sich eine natur-
gemäße Regierung einzurichten. Solche weitaussehende
Feldzüge gegen den praktischen Bestand der gern genießen-
den Welt liebte nun zwar Voltaire nicht, beschränkte sich
auf den kleineren Krieg, welchen er mit unvergleich-
licher Behendigkeit gegen das vaterländische Herkommen
in Staat und Kirche führte. Mit den Fortschritten der
Naturwissenschaften vertraut, behauptete er gar leicht das
Feld im Kampfe gegen die Altgläubigen, wo diese auf der
Geschichtschreibung des Schöpfungswerkes in den Büchern
Mose oder auf der Sonne Josua's bauten. Den gefähr-
lichsten Angriffspunct auf die Kirchenverfassung zeigte ihm
aber die freche Verderbtheit der höhern Geistlichkeit selber
an, von welcher ein ehrlicher Pfarrer die treuherzige Ver-
sicherung gab: "vier oder fünf von ihnen glauben wohl
noch an Gott." Den Glauben an Gott nun ließ Voltaire
ebenfalls bestehen, aber zertrümmerte um so unbarmherziger
Alles was darüber hinausging. Daneben dichtete er, ein
hingegebener Freund der Macht, Loblieder auf jeden Mai-
tressenminister, der gerade am Ruder stand, und zog seinen
Nutzen davon, ohne daß sich sein Urtheil gefangen gab;
denn mit derselben geistreichen Feder entschädigte er sich
dann wieder durch einen Brief an einen Vertrauten, in
welchem er von einem unvermeidlich drohenden großen
Umsturze schrieb und etwa seufzend hinzusetzte: "Wie
Schade daß ich nicht mehr Zeuge davon seyn kann!
Glückliche Jugend, die die tolle Wirthschaft erleben wird!"

den Völkern ſo das Recht wie die Pflicht ſich eine natur-
gemäße Regierung einzurichten. Solche weitausſehende
Feldzüge gegen den praktiſchen Beſtand der gern genießen-
den Welt liebte nun zwar Voltaire nicht, beſchränkte ſich
auf den kleineren Krieg, welchen er mit unvergleich-
licher Behendigkeit gegen das vaterländiſche Herkommen
in Staat und Kirche führte. Mit den Fortſchritten der
Naturwiſſenſchaften vertraut, behauptete er gar leicht das
Feld im Kampfe gegen die Altgläubigen, wo dieſe auf der
Geſchichtſchreibung des Schöpfungswerkes in den Büchern
Moſe oder auf der Sonne Joſua’s bauten. Den gefähr-
lichſten Angriffspunct auf die Kirchenverfaſſung zeigte ihm
aber die freche Verderbtheit der höhern Geiſtlichkeit ſelber
an, von welcher ein ehrlicher Pfarrer die treuherzige Ver-
ſicherung gab: „vier oder fünf von ihnen glauben wohl
noch an Gott.“ Den Glauben an Gott nun ließ Voltaire
ebenfalls beſtehen, aber zertrümmerte um ſo unbarmherziger
Alles was darüber hinausging. Daneben dichtete er, ein
hingegebener Freund der Macht, Loblieder auf jeden Mai-
treſſenminiſter, der gerade am Ruder ſtand, und zog ſeinen
Nutzen davon, ohne daß ſich ſein Urtheil gefangen gab;
denn mit derſelben geiſtreichen Feder entſchädigte er ſich
dann wieder durch einen Brief an einen Vertrauten, in
welchem er von einem unvermeidlich drohenden großen
Umſturze ſchrieb und etwa ſeufzend hinzuſetzte: „Wie
Schade daß ich nicht mehr Zeuge davon ſeyn kann!
Glückliche Jugend, die die tolle Wirthſchaft erleben wird!“

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0018" n="8"/>
den Völkern &#x017F;o das Recht wie die Pflicht &#x017F;ich eine natur-<lb/>
gemäße Regierung einzurichten. Solche weitaus&#x017F;ehende<lb/>
Feldzüge gegen den prakti&#x017F;chen Be&#x017F;tand der gern genießen-<lb/>
den Welt liebte nun zwar Voltaire nicht, be&#x017F;chränkte &#x017F;ich<lb/>
auf den kleineren Krieg, welchen er mit unvergleich-<lb/>
licher Behendigkeit gegen das vaterländi&#x017F;che Herkommen<lb/>
in Staat und Kirche führte. Mit den Fort&#x017F;chritten der<lb/>
Naturwi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften vertraut, behauptete er gar leicht das<lb/>
Feld im Kampfe gegen die Altgläubigen, wo die&#x017F;e auf der<lb/>
Ge&#x017F;chicht&#x017F;chreibung des Schöpfungswerkes in den Büchern<lb/>
Mo&#x017F;e oder auf der Sonne Jo&#x017F;ua&#x2019;s bauten. Den gefähr-<lb/>
lich&#x017F;ten Angriffspunct auf die Kirchenverfa&#x017F;&#x017F;ung zeigte ihm<lb/>
aber die freche Verderbtheit der höhern Gei&#x017F;tlichkeit &#x017F;elber<lb/>
an, von welcher ein ehrlicher Pfarrer die treuherzige Ver-<lb/>
&#x017F;icherung gab: &#x201E;vier oder fünf von ihnen glauben wohl<lb/>
noch an Gott.&#x201C; Den Glauben an Gott nun ließ Voltaire<lb/>
ebenfalls be&#x017F;tehen, aber zertrümmerte um &#x017F;o unbarmherziger<lb/>
Alles was darüber hinausging. Daneben dichtete er, ein<lb/>
hingegebener Freund der Macht, Loblieder auf jeden Mai-<lb/>
tre&#x017F;&#x017F;enmini&#x017F;ter, der gerade am Ruder &#x017F;tand, und zog &#x017F;einen<lb/>
Nutzen davon, ohne daß &#x017F;ich &#x017F;ein Urtheil gefangen gab;<lb/>
denn mit der&#x017F;elben gei&#x017F;treichen Feder ent&#x017F;chädigte er &#x017F;ich<lb/>
dann wieder durch einen Brief an einen Vertrauten, in<lb/>
welchem er von einem unvermeidlich drohenden großen<lb/>
Um&#x017F;turze &#x017F;chrieb und etwa <choice><sic>&#x017F;enfzend</sic><corr>&#x017F;eufzend</corr></choice> hinzu&#x017F;etzte: &#x201E;Wie<lb/>
Schade daß ich nicht mehr Zeuge davon &#x017F;eyn kann!<lb/>
Glückliche Jugend, die die tolle Wirth&#x017F;chaft erleben wird!&#x201C;<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[8/0018] den Völkern ſo das Recht wie die Pflicht ſich eine natur- gemäße Regierung einzurichten. Solche weitausſehende Feldzüge gegen den praktiſchen Beſtand der gern genießen- den Welt liebte nun zwar Voltaire nicht, beſchränkte ſich auf den kleineren Krieg, welchen er mit unvergleich- licher Behendigkeit gegen das vaterländiſche Herkommen in Staat und Kirche führte. Mit den Fortſchritten der Naturwiſſenſchaften vertraut, behauptete er gar leicht das Feld im Kampfe gegen die Altgläubigen, wo dieſe auf der Geſchichtſchreibung des Schöpfungswerkes in den Büchern Moſe oder auf der Sonne Joſua’s bauten. Den gefähr- lichſten Angriffspunct auf die Kirchenverfaſſung zeigte ihm aber die freche Verderbtheit der höhern Geiſtlichkeit ſelber an, von welcher ein ehrlicher Pfarrer die treuherzige Ver- ſicherung gab: „vier oder fünf von ihnen glauben wohl noch an Gott.“ Den Glauben an Gott nun ließ Voltaire ebenfalls beſtehen, aber zertrümmerte um ſo unbarmherziger Alles was darüber hinausging. Daneben dichtete er, ein hingegebener Freund der Macht, Loblieder auf jeden Mai- treſſenminiſter, der gerade am Ruder ſtand, und zog ſeinen Nutzen davon, ohne daß ſich ſein Urtheil gefangen gab; denn mit derſelben geiſtreichen Feder entſchädigte er ſich dann wieder durch einen Brief an einen Vertrauten, in welchem er von einem unvermeidlich drohenden großen Umſturze ſchrieb und etwa ſeufzend hinzuſetzte: „Wie Schade daß ich nicht mehr Zeuge davon ſeyn kann! Glückliche Jugend, die die tolle Wirthſchaft erleben wird!“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845/18
Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845/18>, abgerufen am 29.03.2024.