Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845.

Bild:
<< vorherige Seite

Alten Familiengedanken auf. "Unser Kind ist todt, Vic-
tor," schreibt der Bailli, "deine Familie ist vernichtet,
der Herr hat es gegeben, hat es genommen." Der Mar-
quis darauf: "Die letzte Hoffnung unseres Namens ist da-
hin. -- Nach so Vielem was ich ertragen, glaubte ich an
meine Stärke; Gott hat mich enttäuschen wollen. -- Ich
habe getrachtet ein guter Sohn, guter Bruder, guter
Gatte, guter Vater, guter Nachbar zu seyn, gesetzlich in
Geschäften, billig in Verträgen, habe niemals jemanden
übel gewollt, und doch scheine ich ein Gegenstand des
himmlischen Zornes zu seyn." Er vergleicht sich mit dem
Regulus in der Tonne, umgeben von Bösewichtern; "die
Mutter und von fünf Kindern ihrer viere eingesperrt."
Der Oheim brachte nun in aller Stille den Gefangenen
dazu seinem Vater unterwürfig zu schreiben, erinnerte zu-
gleich den Bruder an den Schmerz der Provencalen, wenn
eines seiner besten und kraftvollsten Geschlechter ausgehen
sollte. Als auch Sophie schreibt, sich selbst alle Schuld
beimißt, bricht das Eis etwas. "Ich glaube, alle Narren
und Närrinnen der Welt haben sich verschworen mir Re-
spect zu bezeigen." Als endlich die Minister selbst nahe
daran waren einzuschreiten, kam Mirabeau frei nach vierte-1780
Dec.

halbjähriger Gefangenschaft.

Die Wiedervereinigung mit seiner Frau gelang nicht;
eben so wenig aber knüpfte sich das Verhältniß mit So-
phien wieder an. Diese stand im Begriffe, nachdem ihr
Mann gestorben, ein anderes Bündniß aus wahrer

12*

Alten Familiengedanken auf. „Unſer Kind iſt todt, Vic-
tor,“ ſchreibt der Bailli, „deine Familie iſt vernichtet,
der Herr hat es gegeben, hat es genommen.“ Der Mar-
quis darauf: „Die letzte Hoffnung unſeres Namens iſt da-
hin. — Nach ſo Vielem was ich ertragen, glaubte ich an
meine Stärke; Gott hat mich enttäuſchen wollen. — Ich
habe getrachtet ein guter Sohn, guter Bruder, guter
Gatte, guter Vater, guter Nachbar zu ſeyn, geſetzlich in
Geſchäften, billig in Verträgen, habe niemals jemanden
übel gewollt, und doch ſcheine ich ein Gegenſtand des
himmliſchen Zornes zu ſeyn.“ Er vergleicht ſich mit dem
Regulus in der Tonne, umgeben von Böſewichtern; „die
Mutter und von fünf Kindern ihrer viere eingeſperrt.“
Der Oheim brachte nun in aller Stille den Gefangenen
dazu ſeinem Vater unterwürfig zu ſchreiben, erinnerte zu-
gleich den Bruder an den Schmerz der Provençalen, wenn
eines ſeiner beſten und kraftvollſten Geſchlechter ausgehen
ſollte. Als auch Sophie ſchreibt, ſich ſelbſt alle Schuld
beimißt, bricht das Eis etwas. „Ich glaube, alle Narren
und Närrinnen der Welt haben ſich verſchworen mir Re-
ſpect zu bezeigen.“ Als endlich die Miniſter ſelbſt nahe
daran waren einzuſchreiten, kam Mirabeau frei nach vierte-1780
Dec.

halbjähriger Gefangenſchaft.

Die Wiedervereinigung mit ſeiner Frau gelang nicht;
eben ſo wenig aber knüpfte ſich das Verhältniß mit So-
phien wieder an. Dieſe ſtand im Begriffe, nachdem ihr
Mann geſtorben, ein anderes Bündniß aus wahrer

12*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0189" n="179"/>
Alten Familiengedanken auf. &#x201E;Un&#x017F;er Kind i&#x017F;t todt, Vic-<lb/>
tor,&#x201C; &#x017F;chreibt der Bailli, &#x201E;deine Familie i&#x017F;t vernichtet,<lb/>
der Herr hat es gegeben, hat es genommen.&#x201C; Der Mar-<lb/>
quis darauf: &#x201E;Die letzte Hoffnung un&#x017F;eres Namens i&#x017F;t da-<lb/>
hin. &#x2014; Nach &#x017F;o Vielem was ich ertragen, glaubte ich an<lb/>
meine Stärke; Gott hat mich enttäu&#x017F;chen wollen. &#x2014; Ich<lb/>
habe getrachtet ein guter Sohn, guter Bruder, guter<lb/>
Gatte, guter Vater, guter Nachbar zu &#x017F;eyn, ge&#x017F;etzlich in<lb/>
Ge&#x017F;chäften, billig in Verträgen, habe niemals jemanden<lb/>
übel gewollt, und doch &#x017F;cheine ich ein Gegen&#x017F;tand des<lb/>
himmli&#x017F;chen Zornes zu &#x017F;eyn.&#x201C; Er vergleicht &#x017F;ich mit dem<lb/>
Regulus in der Tonne, umgeben von Bö&#x017F;ewichtern; &#x201E;die<lb/>
Mutter und von fünf Kindern ihrer viere einge&#x017F;perrt.&#x201C;<lb/>
Der Oheim brachte nun in aller Stille den Gefangenen<lb/>
dazu &#x017F;einem Vater unterwürfig zu &#x017F;chreiben, erinnerte zu-<lb/>
gleich den Bruder an den Schmerz der Provençalen, wenn<lb/>
eines &#x017F;einer be&#x017F;ten und kraftvoll&#x017F;ten Ge&#x017F;chlechter ausgehen<lb/>
&#x017F;ollte. Als auch Sophie &#x017F;chreibt, &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t alle Schuld<lb/>
beimißt, bricht das Eis etwas. &#x201E;Ich glaube, alle Narren<lb/>
und Närrinnen der Welt haben &#x017F;ich ver&#x017F;chworen mir Re-<lb/>
&#x017F;pect zu bezeigen.&#x201C; Als endlich die Mini&#x017F;ter &#x017F;elb&#x017F;t nahe<lb/>
daran waren einzu&#x017F;chreiten, kam Mirabeau frei nach vierte-<note place="right">1780<lb/>
Dec.</note><lb/>
halbjähriger Gefangen&#x017F;chaft.</p><lb/>
          <p>Die Wiedervereinigung mit &#x017F;einer Frau gelang nicht;<lb/>
eben &#x017F;o wenig aber knüpfte &#x017F;ich das Verhältniß mit So-<lb/>
phien wieder an. Die&#x017F;e &#x017F;tand im Begriffe, nachdem ihr<lb/>
Mann ge&#x017F;torben, ein anderes Bündniß aus wahrer<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">12*</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[179/0189] Alten Familiengedanken auf. „Unſer Kind iſt todt, Vic- tor,“ ſchreibt der Bailli, „deine Familie iſt vernichtet, der Herr hat es gegeben, hat es genommen.“ Der Mar- quis darauf: „Die letzte Hoffnung unſeres Namens iſt da- hin. — Nach ſo Vielem was ich ertragen, glaubte ich an meine Stärke; Gott hat mich enttäuſchen wollen. — Ich habe getrachtet ein guter Sohn, guter Bruder, guter Gatte, guter Vater, guter Nachbar zu ſeyn, geſetzlich in Geſchäften, billig in Verträgen, habe niemals jemanden übel gewollt, und doch ſcheine ich ein Gegenſtand des himmliſchen Zornes zu ſeyn.“ Er vergleicht ſich mit dem Regulus in der Tonne, umgeben von Böſewichtern; „die Mutter und von fünf Kindern ihrer viere eingeſperrt.“ Der Oheim brachte nun in aller Stille den Gefangenen dazu ſeinem Vater unterwürfig zu ſchreiben, erinnerte zu- gleich den Bruder an den Schmerz der Provençalen, wenn eines ſeiner beſten und kraftvollſten Geſchlechter ausgehen ſollte. Als auch Sophie ſchreibt, ſich ſelbſt alle Schuld beimißt, bricht das Eis etwas. „Ich glaube, alle Narren und Närrinnen der Welt haben ſich verſchworen mir Re- ſpect zu bezeigen.“ Als endlich die Miniſter ſelbſt nahe daran waren einzuſchreiten, kam Mirabeau frei nach vierte- halbjähriger Gefangenſchaft. 1780 Dec. Die Wiedervereinigung mit ſeiner Frau gelang nicht; eben ſo wenig aber knüpfte ſich das Verhältniß mit So- phien wieder an. Dieſe ſtand im Begriffe, nachdem ihr Mann geſtorben, ein anderes Bündniß aus wahrer 12*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845/189
Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845/189>, abgerufen am 05.05.2024.