dem barbarischen Despotismus der Verhaftsbriefe, wenn es die Züchtigung verbrecherischer Kinder gilt, lieber grei- fen, als zu den langsamen Förmlichkeiten einer blinden und pedantischen Gerechtigkeit. -- Laß die Leute mich für einen Nero halten -- ich fürchte nur mein eigenes Gewis- sen. -- Meinen Proceß habe ich gewonnen (er meint den mit seiner Frau, von welcher er getrennt lebte), ich habe ihn gewonnen; ich wollte jene Närrinnen einsperren lassen (wieder seine Frau und seine jüngere Tochter, welche letztere er auf ein Paar Jahre in ein Kloster steckte), es ist geschehen; ich wollte jenen Tollkopf einstecken lassen, er sitzt." -- Zu derselben Zeit feierte er sich als den Mann, der sein ganzes Leben für die Erleichterung der Armuth und den allgemeinen Unterricht geopfert habe.
1777 Juni.Sophie ward in Paris unter Aufsicht gestellt, Mira- beau kam nach Vincennes. Von hier stammen jene Ker- kerbriefe an Sophien, voll von Poesie und ausschweifen- der Leidenschaft, welche nach des Verfassers Tode wider Recht ins Publicum kamen. Vergeblich bestürmte er den Grafen Maurepas um seine Freilassung: man soll ihn, bittet er, mit den Truppen nach Amerika schicken und nur die Todtenliste wird von ihm Zeugniß geben, wenn es nicht seine Thaten thun. Von Verzweiflung und Krank- heit erschöpft, nährt er Gedanken von Selbstmord, doch ermannt sich sein Geist wieder. Der Alte aber beharrt unbeweglich. Da stirbt des Gefangenen rechtmäßiger Sohn, ein fünfjähriger Knabe, und nun wachen dem
dem barbariſchen Despotismus der Verhaftsbriefe, wenn es die Züchtigung verbrecheriſcher Kinder gilt, lieber grei- fen, als zu den langſamen Förmlichkeiten einer blinden und pedantiſchen Gerechtigkeit. — Laß die Leute mich für einen Nero halten — ich fürchte nur mein eigenes Gewiſ- ſen. — Meinen Proceß habe ich gewonnen (er meint den mit ſeiner Frau, von welcher er getrennt lebte), ich habe ihn gewonnen; ich wollte jene Närrinnen einſperren laſſen (wieder ſeine Frau und ſeine jüngere Tochter, welche letztere er auf ein Paar Jahre in ein Kloſter ſteckte), es iſt geſchehen; ich wollte jenen Tollkopf einſtecken laſſen, er ſitzt.“ — Zu derſelben Zeit feierte er ſich als den Mann, der ſein ganzes Leben für die Erleichterung der Armuth und den allgemeinen Unterricht geopfert habe.
1777 Juni.Sophie ward in Paris unter Aufſicht geſtellt, Mira- beau kam nach Vincennes. Von hier ſtammen jene Ker- kerbriefe an Sophien, voll von Poeſie und ausſchweifen- der Leidenſchaft, welche nach des Verfaſſers Tode wider Recht ins Publicum kamen. Vergeblich beſtürmte er den Grafen Maurepas um ſeine Freilaſſung: man ſoll ihn, bittet er, mit den Truppen nach Amerika ſchicken und nur die Todtenliſte wird von ihm Zeugniß geben, wenn es nicht ſeine Thaten thun. Von Verzweiflung und Krank- heit erſchöpft, nährt er Gedanken von Selbſtmord, doch ermannt ſich ſein Geiſt wieder. Der Alte aber beharrt unbeweglich. Da ſtirbt des Gefangenen rechtmäßiger Sohn, ein fünfjähriger Knabe, und nun wachen dem
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dem barbariſchen Despotismus der Verhaftsbriefe, wenn
es die Züchtigung verbrecheriſcher Kinder gilt, lieber grei-
fen, als zu den langſamen Förmlichkeiten einer blinden
und pedantiſchen Gerechtigkeit. — Laß die Leute mich für
einen Nero halten — ich fürchte nur mein eigenes Gewiſ-
ſen. — Meinen Proceß habe ich gewonnen (er meint den
mit ſeiner Frau, von welcher er getrennt lebte), ich habe
ihn gewonnen; ich wollte jene Närrinnen einſperren laſſen
(wieder ſeine Frau und ſeine jüngere Tochter, welche
letztere er auf ein Paar Jahre in ein Kloſter ſteckte), es
iſt geſchehen; ich wollte jenen Tollkopf einſtecken laſſen,
er ſitzt.“ — Zu derſelben Zeit feierte er ſich als den Mann,
der ſein ganzes Leben für die Erleichterung der Armuth
und den allgemeinen Unterricht geopfert habe.
Sophie ward in Paris unter Aufſicht geſtellt, Mira-
beau kam nach Vincennes. Von hier ſtammen jene Ker-
kerbriefe an Sophien, voll von Poeſie und ausſchweifen-
der Leidenſchaft, welche nach des Verfaſſers Tode wider
Recht ins Publicum kamen. Vergeblich beſtürmte er den
Grafen Maurepas um ſeine Freilaſſung: man ſoll ihn,
bittet er, mit den Truppen nach Amerika ſchicken und nur
die Todtenliſte wird von ihm Zeugniß geben, wenn es
nicht ſeine Thaten thun. Von Verzweiflung und Krank-
heit erſchöpft, nährt er Gedanken von Selbſtmord,
doch ermannt ſich ſein Geiſt wieder. Der Alte aber beharrt
unbeweglich. Da ſtirbt des Gefangenen rechtmäßiger
Sohn, ein fünfjähriger Knabe, und nun wachen dem
1777
Juni.
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Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845/188>, abgerufen am 23.11.2024.
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