Curtius, Georg: Zur Kritik der neuesten Sprachforschung. Leipzig, 1885.doch manchem mit mir bei solchen Versuchen etwas beklom- Die beste Probe für die Wahrheit einer Hypothese ist Ich möchte ausserdem noch folgende drei Punkte zu er- 1) Es gibt in der indogermanischen Formenbildung trotz doch manchem mit mir bei solchen Versuchen etwas beklom- Die beste Probe für die Wahrheit einer Hypothese ist Ich möchte ausserdem noch folgende drei Punkte zu er- 1) Es gibt in der indogermanischen Formenbildung trotz <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0131" n="123"/> doch manchem mit mir bei solchen Versuchen etwas beklom-<lb/> men, so dass er jenem Ausrufe: „<foreign xml:lang="fra">Le gouna est mort!</foreign>“ gleich<lb/> den andern hinzufügen möchte: „<foreign xml:lang="fra"><hi rendition="#g">Vive</hi> le gouna</foreign>!"</p><lb/> <p>Die beste Probe für die Wahrheit einer Hypothese ist<lb/> die, ob aus ihr alle in Betracht kommenden Erscheinungen<lb/> leicht und einfach zu erklären sind. Der Spruch des Euri-<lb/> pides: <quote><hi rendition="#i"><foreign xml:lang="ell">ἁπλοῦς ὁ μῦθος τῆς ἀληθείας ἔφυ</foreign></hi></quote>, den einst Gottfried<lb/> Hermann unter sein Bildniss setzte, wird, denke ich, auch<lb/> für die Sprachwissenschaft immer seine Bedeutung behaupten.<lb/> Die Geschichte dieser Wissenschaft, selbst in ihren neuesten<lb/> Phasen, bezeugt es. Warum fand Verner mit seiner schönen<lb/> Erklärung des sogenannten grammatischen Wechsels im Deut-<lb/> schen so schnell allgemeine Zustimmung? Weil aus einer<lb/> einzigen ansprechenden Annahme eine Reihe längst befremd-<lb/> licher Thatsachen sofort ihre Erklärung fand. Aber davon<lb/> ist hier nicht im entferntesten die Rede. Nicht nur bedarf es<lb/> ausser jenen Annahmen von nirgends überlieferten Betonungs-<lb/> verschiebungen auf Schritt und Tritt der Annahme von Ana-<lb/> logiebildungen, sondern es weichen auch die Gelehrten, welche<lb/> in der Hauptsache dieselben Wege wandeln, doch wieder viel-<lb/> fach von einander und von ihren eignen früheren Meinungen<lb/> ab, wie dies aus den erwähnten Stellen von Osthoff's Unter-<lb/> suchungen auf das klarste hervorgeht.</p><lb/> <p>Ich möchte ausserdem noch folgende drei Punkte zu er-<lb/> wägen geben.</p><lb/> <p>1) Es gibt in der indogermanischen Formenbildung trotz<lb/> der erwähnten Versuche eine „aufsteigende“ Richtung. Man<lb/> gibt zu, dass der Diphthong <hi rendition="#i">οι</hi>, z. B. in <hi rendition="#i"><foreign xml:lang="ell">ϝοῖδα</foreign></hi>, neben dem <hi rendition="#i">ει</hi>,<lb/> z. B. in <hi rendition="#i"><foreign xml:lang="ell">ϝείδομαι</foreign></hi>, auf einer höheren Stufe steht. Freilich<lb/> könnte man auch hier, um consequent zu sein, die Sache um-<lb/> drehen und die Reihenfolge <hi rendition="#i">οι</hi>, <hi rendition="#i">ει</hi>, <hi rendition="#i">ι</hi> aufstellen. Ausdenken<lb/> lässt sich ja mancherlei. Man würde dann dazu geführt wer-<lb/> den, nicht von einer Wurzel <hi rendition="#i">γεν</hi>, sondern von <hi rendition="#i">γον</hi>, nicht von<lb/><hi rendition="#i">τεκ</hi>, sondern von <hi rendition="#i">τοκ</hi> auszugehen. Jedenfalls ist die jetzt,<lb/><lb/> </p> </div> </body> </text> </TEI> [123/0131]
doch manchem mit mir bei solchen Versuchen etwas beklom-
men, so dass er jenem Ausrufe: „Le gouna est mort!“ gleich
den andern hinzufügen möchte: „Vive le gouna!"
Die beste Probe für die Wahrheit einer Hypothese ist
die, ob aus ihr alle in Betracht kommenden Erscheinungen
leicht und einfach zu erklären sind. Der Spruch des Euri-
pides: ἁπλοῦς ὁ μῦθος τῆς ἀληθείας ἔφυ, den einst Gottfried
Hermann unter sein Bildniss setzte, wird, denke ich, auch
für die Sprachwissenschaft immer seine Bedeutung behaupten.
Die Geschichte dieser Wissenschaft, selbst in ihren neuesten
Phasen, bezeugt es. Warum fand Verner mit seiner schönen
Erklärung des sogenannten grammatischen Wechsels im Deut-
schen so schnell allgemeine Zustimmung? Weil aus einer
einzigen ansprechenden Annahme eine Reihe längst befremd-
licher Thatsachen sofort ihre Erklärung fand. Aber davon
ist hier nicht im entferntesten die Rede. Nicht nur bedarf es
ausser jenen Annahmen von nirgends überlieferten Betonungs-
verschiebungen auf Schritt und Tritt der Annahme von Ana-
logiebildungen, sondern es weichen auch die Gelehrten, welche
in der Hauptsache dieselben Wege wandeln, doch wieder viel-
fach von einander und von ihren eignen früheren Meinungen
ab, wie dies aus den erwähnten Stellen von Osthoff's Unter-
suchungen auf das klarste hervorgeht.
Ich möchte ausserdem noch folgende drei Punkte zu er-
wägen geben.
1) Es gibt in der indogermanischen Formenbildung trotz
der erwähnten Versuche eine „aufsteigende“ Richtung. Man
gibt zu, dass der Diphthong οι, z. B. in ϝοῖδα, neben dem ει,
z. B. in ϝείδομαι, auf einer höheren Stufe steht. Freilich
könnte man auch hier, um consequent zu sein, die Sache um-
drehen und die Reihenfolge οι, ει, ι aufstellen. Ausdenken
lässt sich ja mancherlei. Man würde dann dazu geführt wer-
den, nicht von einer Wurzel γεν, sondern von γον, nicht von
τεκ, sondern von τοκ auszugehen. Jedenfalls ist die jetzt,
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |