aber die Schwerfälligkeit dieser angeblichen indogermanischen Ursprache wäre, wenigstens in den Stammsilben, eine unend- lich viel grössere. Und wie steht es denn mit den formalen Silben? Gestattet man diesen die Kürze von Anfang an, oder sollen wir auch hier von der Länge ausgehen, also z. B. ein Genitivsuffix ans ansetzen, das erst später zu as wurde?
Die zweite dieser Einwendungen, bei welcher ich mich an Misteli anschloss, ist von Fröhde Bezzenb. Beitr. VI S. 186 und ausführlicher von Osthoff Morph. Unters. IV S. 348 ff. auf- genommen. Osthoff erkennt das befremdliche des Ausspringens eines a oder nach seiner Theorie e aus dem Diphthong an und sucht in einer sehr ausführlichen Darstellung nachzuwei- sen, dass zwischen den diphthongischen und den kurzvoca- lischen Formen eine langvocalische in der Mitte gelegen habe. Die Reihenfolge wäre also nach ihm leik, *link, lik, beudh, *bundh, budh. Nach Osthoff's Auffassung wären die langen Vocale ganz in derselben Weise aus den entsprechenden Diph- thongen entstanden, wie lateinisch dinco aus älterem deico, oskisch deicum, lux, luncis aus leuc, das in dem alten Leucesie des carmen Saliare vorzuliegen scheint. Es stände also die vorausgesetzte langvocalische Mittelform schon auf der Stufe, die wir auf italischem Sprachboden mit Sicherheit als eine jüngere erkennen, und doch bestände daneben von Alters her eine dritte Stufe, die in reichster Fülle neben der ersten überliefert ist. Ueberdies sind diese Mittelformen nur äusserst selten wirklich vorhanden, meistens werden sie nur voraus- gesetzt und construirt. Dazu kommt noch, dass Osthoff an der erwähnten Stelle im Anschluss an Paul auch das Accent- system der Ursprache um ein neues Element bereichert hat. Er rechnet nicht nur mit Hoch- und Tiefton, wie früher, son- dern jetzt auch mit Haupt- und Mittelton, und, da über die Stellung des letzteren überhaupt gar keine Ueberlieferung be- steht, so bewegen wir uns bei diesen Rechnungen grossen- theils im Bereich rein imaginärer Grössen. Vielleicht wird
aber die Schwerfälligkeit dieser angeblichen indogermanischen Ursprache wäre, wenigstens in den Stammsilben, eine unend- lich viel grössere. Und wie steht es denn mit den formalen Silben? Gestattet man diesen die Kürze von Anfang an, oder sollen wir auch hier von der Länge ausgehen, also z. B. ein Genitivsuffix ās ansetzen, das erst später zu ăs wurde?
Die zweite dieser Einwendungen, bei welcher ich mich an Misteli anschloss, ist von Fröhde Bezzenb. Beitr. VI S. 186 und ausführlicher von Osthoff Morph. Unters. IV S. 348 ff. auf- genommen. Osthoff erkennt das befremdliche des Ausspringens eines ă oder nach seiner Theorie ĕ aus dem Diphthong an und sucht in einer sehr ausführlichen Darstellung nachzuwei- sen, dass zwischen den diphthongischen und den kurzvoca- lischen Formen eine langvocalische in der Mitte gelegen habe. Die Reihenfolge wäre also nach ihm leik, *līk, lĭk, beudh, *būdh, bŭdh. Nach Osthoff's Auffassung wären die langen Vocale ganz in derselben Weise aus den entsprechenden Diph- thongen entstanden, wie lateinisch dīco aus älterem deico, oskisch deicum, lux, lūcis aus leuc, das in dem alten Leucesie des carmen Saliare vorzuliegen scheint. Es stände also die vorausgesetzte langvocalische Mittelform schon auf der Stufe, die wir auf italischem Sprachboden mit Sicherheit als eine jüngere erkennen, und doch bestände daneben von Alters her eine dritte Stufe, die in reichster Fülle neben der ersten überliefert ist. Ueberdies sind diese Mittelformen nur äusserst selten wirklich vorhanden, meistens werden sie nur voraus- gesetzt und construirt. Dazu kommt noch, dass Osthoff an der erwähnten Stelle im Anschluss an Paul auch das Accent- system der Ursprache um ein neues Element bereichert hat. Er rechnet nicht nur mit Hoch- und Tiefton, wie früher, son- dern jetzt auch mit Haupt- und Mittelton, und, da über die Stellung des letzteren überhaupt gar keine Ueberlieferung be- steht, so bewegen wir uns bei diesen Rechnungen grossen- theils im Bereich rein imaginärer Grössen. Vielleicht wird
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aber die Schwerfälligkeit dieser angeblichen indogermanischen
Ursprache wäre, wenigstens in den Stammsilben, eine unend-
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Silben? Gestattet man diesen die Kürze von Anfang an, oder
sollen wir auch hier von der Länge ausgehen, also z. B. ein
Genitivsuffix ās ansetzen, das erst später zu ăs wurde?
Die zweite dieser Einwendungen, bei welcher ich mich
an Misteli anschloss, ist von Fröhde Bezzenb. Beitr. VI S. 186
und ausführlicher von Osthoff Morph. Unters. IV S. 348 ff. auf-
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eines ă oder nach seiner Theorie ĕ aus dem Diphthong an
und sucht in einer sehr ausführlichen Darstellung nachzuwei-
sen, dass zwischen den diphthongischen und den kurzvoca-
lischen Formen eine langvocalische in der Mitte gelegen habe.
Die Reihenfolge wäre also nach ihm leik, *līk, lĭk, beudh,
*būdh, bŭdh. Nach Osthoff's Auffassung wären die langen
Vocale ganz in derselben Weise aus den entsprechenden Diph-
thongen entstanden, wie lateinisch dīco aus älterem deico,
oskisch deicum, lux, lūcis aus leuc, das in dem alten Leucesie
des carmen Saliare vorzuliegen scheint. Es stände also die
vorausgesetzte langvocalische Mittelform schon auf der Stufe,
die wir auf italischem Sprachboden mit Sicherheit als eine
jüngere erkennen, und doch bestände daneben von Alters
her eine dritte Stufe, die in reichster Fülle neben der ersten
überliefert ist. Ueberdies sind diese Mittelformen nur äusserst
selten wirklich vorhanden, meistens werden sie nur voraus-
gesetzt und construirt. Dazu kommt noch, dass Osthoff an
der erwähnten Stelle im Anschluss an Paul auch das Accent-
system der Ursprache um ein neues Element bereichert hat.
Er rechnet nicht nur mit Hoch- und Tiefton, wie früher, son-
dern jetzt auch mit Haupt- und Mittelton, und, da über die
Stellung des letzteren überhaupt gar keine Ueberlieferung be-
steht, so bewegen wir uns bei diesen Rechnungen grossen-
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Curtius, Georg: Zur Kritik der neuesten Sprachforschung. Leipzig, 1885, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_sprachforschung_1885/130>, abgerufen am 16.02.2025.
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