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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.

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Der Weltgang der griechischen Cultur.
Reich zu schaffen, dies Reich gegen die Küste auszudehnen
und zunächst in ihrem eigenen Gebiete griechische Cultur ein¬
zuführen. Dies Werk begann der erste macedonische Alexander,
der während der Noth des Perserkriegs in griechischem Interesse
unablässig thätig war, der Freund Pindar's, der Gastfreund
Athens, der mit dem Namen des Philhellenen geehrt und in
Olympia selbst als Hellene anerkannt wurde. Den zweiten
Schritt that Philipp, indem er den hellenisirten Staat zu einer
Großmacht erhob und die Hülfskräfte der ganzen macedonisch¬
griechischen Halbinsel unter seine Gewalt brachte. So war
die geistige Macht, welche auch die Barbaren anerkannt hatten,
mit äußerer Macht verbunden; die Klugheit der Griechen mit
der Naturkraft der Bergvölker, welche von allen verweichlichen¬
den Einflüssen der Cultur unberührt geblieben waren. Was
konnte einer solchen Macht widerstehen!

Im Gefühle dieser Siegeskraft zogen um dieselbe Zeit
die beiden Alexander aus, der Epirote nach Italien, der Mace¬
donier nach Asien, Beide von der Ueberzeugung belebt, daß
die griechische Cultur eine Macht sei, welche die Welt durch¬
dringen müsse. Die Ueberzeugung war richtig, aber sie irrten,
wenn sie glaubten, diesen geistigen Sieg durch Waffengewalt
und nach ihren Plänen ausführen zu können.

Der Schüler des Aristoteles glaubte ein voller Hellene zu
sein und doch fehlte ihm das erste Kennzeichen des wahren
Hellenen, der Sinn für das Maß und die sittliche Scheu vor
unbesonnener Ueberhebung. Das maßlos Begonnene zerfiel, ehe
es gegründet war. Nicht auf einmal, nicht in dem großen Ma߬
stabe und der glänzenden Weise, wie es der selbstsüchtige Er¬
oberer erstrebt hatte, sondern allmählich, in kleinen Kreisen, vollzog
sich die beabsichtigte Wirkung. Im Innern der Städte wirkte
der hellenische Geist, indem sich Gemeinwesen bildeten, wie sie der
Orient noch nicht gekannt hatte, Bürgerschaften, verfassungsmäßig
gegliedert und geordnet und von selbst gewählten Vorständen
regiert. Auch die Fürsten achteten und schätzten diese republi¬
kanischen Ordnungen und die syrischen Könige bewarben sich
selbst um Gemeindeämter in Antiochien. Hier bildete sich also

Der Weltgang der griechiſchen Cultur.
Reich zu ſchaffen, dies Reich gegen die Küſte auszudehnen
und zunächſt in ihrem eigenen Gebiete griechiſche Cultur ein¬
zuführen. Dies Werk begann der erſte macedoniſche Alexander,
der während der Noth des Perſerkriegs in griechiſchem Intereſſe
unabläſſig thätig war, der Freund Pindar's, der Gaſtfreund
Athens, der mit dem Namen des Philhellenen geehrt und in
Olympia ſelbſt als Hellene anerkannt wurde. Den zweiten
Schritt that Philipp, indem er den helleniſirten Staat zu einer
Großmacht erhob und die Hülfskräfte der ganzen macedoniſch¬
griechiſchen Halbinſel unter ſeine Gewalt brachte. So war
die geiſtige Macht, welche auch die Barbaren anerkannt hatten,
mit äußerer Macht verbunden; die Klugheit der Griechen mit
der Naturkraft der Bergvölker, welche von allen verweichlichen¬
den Einflüſſen der Cultur unberührt geblieben waren. Was
konnte einer ſolchen Macht widerſtehen!

Im Gefühle dieſer Siegeskraft zogen um dieſelbe Zeit
die beiden Alexander aus, der Epirote nach Italien, der Mace¬
donier nach Aſien, Beide von der Ueberzeugung belebt, daß
die griechiſche Cultur eine Macht ſei, welche die Welt durch¬
dringen müſſe. Die Ueberzeugung war richtig, aber ſie irrten,
wenn ſie glaubten, dieſen geiſtigen Sieg durch Waffengewalt
und nach ihren Plänen ausführen zu können.

Der Schüler des Ariſtoteles glaubte ein voller Hellene zu
ſein und doch fehlte ihm das erſte Kennzeichen des wahren
Hellenen, der Sinn für das Maß und die ſittliche Scheu vor
unbeſonnener Ueberhebung. Das maßlos Begonnene zerfiel, ehe
es gegründet war. Nicht auf einmal, nicht in dem großen Ma߬
ſtabe und der glänzenden Weiſe, wie es der ſelbſtſüchtige Er¬
oberer erſtrebt hatte, ſondern allmählich, in kleinen Kreiſen, vollzog
ſich die beabſichtigte Wirkung. Im Innern der Städte wirkte
der helleniſche Geiſt, indem ſich Gemeinweſen bildeten, wie ſie der
Orient noch nicht gekannt hatte, Bürgerſchaften, verfaſſungsmäßig
gegliedert und geordnet und von ſelbſt gewählten Vorſtänden
regiert. Auch die Fürſten achteten und ſchätzten dieſe republi¬
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[66/0082] Der Weltgang der griechiſchen Cultur. Reich zu ſchaffen, dies Reich gegen die Küſte auszudehnen und zunächſt in ihrem eigenen Gebiete griechiſche Cultur ein¬ zuführen. Dies Werk begann der erſte macedoniſche Alexander, der während der Noth des Perſerkriegs in griechiſchem Intereſſe unabläſſig thätig war, der Freund Pindar's, der Gaſtfreund Athens, der mit dem Namen des Philhellenen geehrt und in Olympia ſelbſt als Hellene anerkannt wurde. Den zweiten Schritt that Philipp, indem er den helleniſirten Staat zu einer Großmacht erhob und die Hülfskräfte der ganzen macedoniſch¬ griechiſchen Halbinſel unter ſeine Gewalt brachte. So war die geiſtige Macht, welche auch die Barbaren anerkannt hatten, mit äußerer Macht verbunden; die Klugheit der Griechen mit der Naturkraft der Bergvölker, welche von allen verweichlichen¬ den Einflüſſen der Cultur unberührt geblieben waren. Was konnte einer ſolchen Macht widerſtehen! Im Gefühle dieſer Siegeskraft zogen um dieſelbe Zeit die beiden Alexander aus, der Epirote nach Italien, der Mace¬ donier nach Aſien, Beide von der Ueberzeugung belebt, daß die griechiſche Cultur eine Macht ſei, welche die Welt durch¬ dringen müſſe. Die Ueberzeugung war richtig, aber ſie irrten, wenn ſie glaubten, dieſen geiſtigen Sieg durch Waffengewalt und nach ihren Plänen ausführen zu können. Der Schüler des Ariſtoteles glaubte ein voller Hellene zu ſein und doch fehlte ihm das erſte Kennzeichen des wahren Hellenen, der Sinn für das Maß und die ſittliche Scheu vor unbeſonnener Ueberhebung. Das maßlos Begonnene zerfiel, ehe es gegründet war. Nicht auf einmal, nicht in dem großen Ma߬ ſtabe und der glänzenden Weiſe, wie es der ſelbſtſüchtige Er¬ oberer erſtrebt hatte, ſondern allmählich, in kleinen Kreiſen, vollzog ſich die beabſichtigte Wirkung. Im Innern der Städte wirkte der helleniſche Geiſt, indem ſich Gemeinweſen bildeten, wie ſie der Orient noch nicht gekannt hatte, Bürgerſchaften, verfaſſungsmäßig gegliedert und geordnet und von ſelbſt gewählten Vorſtänden regiert. Auch die Fürſten achteten und ſchätzten dieſe republi¬ kaniſchen Ordnungen und die ſyriſchen Könige bewarben ſich ſelbſt um Gemeindeämter in Antiochien. Hier bildete ſich alſo

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Zitationshilfe: Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/82>, abgerufen am 23.11.2024.