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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.

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Der Weltgang der griechischen Cultur.
sehen wir ihn zu Gast geladen in der Stadt der Thebaner,
um ihn her an jeder Tafel einen Perser und einen Griechen
vereinigt. Es war ein Freundschaftsmahl zwischen den beiden
einst so feindseligen Nationen, ein Vorspiel jener Versöhnungs¬
feste des Abend- und Morgenlandes, wie sie Alexander in
Susa veranstaltet hat.

So sehen wir, wie bei den Hauptfeinden des griechischen
Volks, bei den Lydern, Aegyptern und Persern an Stelle des
Hasses und der Verachtung eine Anerkennung sich geltend
macht, welche die hellenische Cultur ihnen abnöthigt. Es ist
keine reine philhellenische Gesinnung, keine freie Hingebung
an die unverkennbare Ueberlegenheit des hellenischen Geistes,
sondern eine mehr oder weniger klare Vorstellung von der
Macht der griechischen Cultur und die Erkenntniß der großen
Vortheile, welche den orientalischen Staaten aus der Verbin¬
dung mit den Griechen erwachsen müßten. Von diesem Stand¬
punkte aus wurden die Barbarenkönige Philhellenen.

Ganz andere Gesichtspunkte treten uns bei den Völkern
entgegen, welche den Griechen stammverwandt waren, bei den
Völkern des breiten Berglandes, von dem die eigentlichen
hellenischen Landschaften nur südliche Verzweigungen sind.
Bei ihnen war ein näheres Verständniß der hellenischen Cultur,
eine innerliche Aneignung derselben möglich; sie konnten selbst
zu Hellenen werden, und je mehr sich diese Völker durch frische
Naturkraft den erschöpften Kleinstaaten überlegen fühlten, um
so eher konnten hier begabte Fürstengeschlechter den Gedanken
fassen, selbst in die griechische Geschichte einzutreten, sie über
die engen Gränzen ihrer Heimath zu erweitern und die Kräfte
aller griechischen Stämme unter königlicher Obmacht zu ver¬
einigen. Dieser Gedanke tauchte zuerst in Thessalien auf; die
Ausführung blieb den Macedoniern vorbehalten. Freilich war
dies Volk selbst den Hellenen sehr entfremdet, aber eine Ver¬
mittelung bildeten die Familien griechischer Abkunft, welche
im macedonischen Hochlande Fürstenmacht erlangt hatten; zu
ihnen gehörte das Königshaus der Argeaden, welche es ver¬
standen, die macedonischen Stämme um sich zu sammeln, ein

Curtius, Alterthum. 5

Der Weltgang der griechiſchen Cultur.
ſehen wir ihn zu Gaſt geladen in der Stadt der Thebaner,
um ihn her an jeder Tafel einen Perſer und einen Griechen
vereinigt. Es war ein Freundſchaftsmahl zwiſchen den beiden
einſt ſo feindſeligen Nationen, ein Vorſpiel jener Verſöhnungs¬
feſte des Abend- und Morgenlandes, wie ſie Alexander in
Suſa veranſtaltet hat.

So ſehen wir, wie bei den Hauptfeinden des griechiſchen
Volks, bei den Lydern, Aegyptern und Perſern an Stelle des
Haſſes und der Verachtung eine Anerkennung ſich geltend
macht, welche die helleniſche Cultur ihnen abnöthigt. Es iſt
keine reine philhelleniſche Geſinnung, keine freie Hingebung
an die unverkennbare Ueberlegenheit des helleniſchen Geiſtes,
ſondern eine mehr oder weniger klare Vorſtellung von der
Macht der griechiſchen Cultur und die Erkenntniß der großen
Vortheile, welche den orientaliſchen Staaten aus der Verbin¬
dung mit den Griechen erwachſen müßten. Von dieſem Stand¬
punkte aus wurden die Barbarenkönige Philhellenen.

Ganz andere Geſichtspunkte treten uns bei den Völkern
entgegen, welche den Griechen ſtammverwandt waren, bei den
Völkern des breiten Berglandes, von dem die eigentlichen
helleniſchen Landſchaften nur ſüdliche Verzweigungen ſind.
Bei ihnen war ein näheres Verſtändniß der helleniſchen Cultur,
eine innerliche Aneignung derſelben möglich; ſie konnten ſelbſt
zu Hellenen werden, und je mehr ſich dieſe Völker durch friſche
Naturkraft den erſchöpften Kleinſtaaten überlegen fühlten, um
ſo eher konnten hier begabte Fürſtengeſchlechter den Gedanken
faſſen, ſelbſt in die griechiſche Geſchichte einzutreten, ſie über
die engen Gränzen ihrer Heimath zu erweitern und die Kräfte
aller griechiſchen Stämme unter königlicher Obmacht zu ver¬
einigen. Dieſer Gedanke tauchte zuerſt in Theſſalien auf; die
Ausführung blieb den Macedoniern vorbehalten. Freilich war
dies Volk ſelbſt den Hellenen ſehr entfremdet, aber eine Ver¬
mittelung bildeten die Familien griechiſcher Abkunft, welche
im macedoniſchen Hochlande Fürſtenmacht erlangt hatten; zu
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Curtius, Alterthum. 5
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[65/0081] Der Weltgang der griechiſchen Cultur. ſehen wir ihn zu Gaſt geladen in der Stadt der Thebaner, um ihn her an jeder Tafel einen Perſer und einen Griechen vereinigt. Es war ein Freundſchaftsmahl zwiſchen den beiden einſt ſo feindſeligen Nationen, ein Vorſpiel jener Verſöhnungs¬ feſte des Abend- und Morgenlandes, wie ſie Alexander in Suſa veranſtaltet hat. So ſehen wir, wie bei den Hauptfeinden des griechiſchen Volks, bei den Lydern, Aegyptern und Perſern an Stelle des Haſſes und der Verachtung eine Anerkennung ſich geltend macht, welche die helleniſche Cultur ihnen abnöthigt. Es iſt keine reine philhelleniſche Geſinnung, keine freie Hingebung an die unverkennbare Ueberlegenheit des helleniſchen Geiſtes, ſondern eine mehr oder weniger klare Vorſtellung von der Macht der griechiſchen Cultur und die Erkenntniß der großen Vortheile, welche den orientaliſchen Staaten aus der Verbin¬ dung mit den Griechen erwachſen müßten. Von dieſem Stand¬ punkte aus wurden die Barbarenkönige Philhellenen. Ganz andere Geſichtspunkte treten uns bei den Völkern entgegen, welche den Griechen ſtammverwandt waren, bei den Völkern des breiten Berglandes, von dem die eigentlichen helleniſchen Landſchaften nur ſüdliche Verzweigungen ſind. Bei ihnen war ein näheres Verſtändniß der helleniſchen Cultur, eine innerliche Aneignung derſelben möglich; ſie konnten ſelbſt zu Hellenen werden, und je mehr ſich dieſe Völker durch friſche Naturkraft den erſchöpften Kleinſtaaten überlegen fühlten, um ſo eher konnten hier begabte Fürſtengeſchlechter den Gedanken faſſen, ſelbſt in die griechiſche Geſchichte einzutreten, ſie über die engen Gränzen ihrer Heimath zu erweitern und die Kräfte aller griechiſchen Stämme unter königlicher Obmacht zu ver¬ einigen. Dieſer Gedanke tauchte zuerſt in Theſſalien auf; die Ausführung blieb den Macedoniern vorbehalten. Freilich war dies Volk ſelbſt den Hellenen ſehr entfremdet, aber eine Ver¬ mittelung bildeten die Familien griechiſcher Abkunft, welche im macedoniſchen Hochlande Fürſtenmacht erlangt hatten; zu ihnen gehörte das Königshaus der Argeaden, welche es ver¬ ſtanden, die macedoniſchen Stämme um ſich zu ſammeln, ein Curtius, Alterthum. 5

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Zitationshilfe: Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/81>, abgerufen am 23.11.2024.