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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.

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Rom und die Deutschen.
benutzte, um selbst in geistiger Kraft auszuwachsen, seinen geisti¬
gen Besitz abzurunden und seines wissenschaftlichen Berufs
sicherer zu werden, der treue Pfleger aller höheren Bestrebun¬
gen der Deutschen in Rom. Als sein Hausgenosse und Freund
wurde Welcker in Rom heimisch, der mit der ganzen Tiefe
des deutschen Wesens sich der Kunstforschung hingab, der
selbständigste Nachfolger Winckelmann's und wie dieser beson¬
ders bestrebt, die griechische Kunst, die lang verkannte, in Rom
zu Ehren zu bringen, darin ganz übereinstimmend mit Hum¬
boldt, dem das Hellenische unbedingt das Werthvollste am
Alterthume war, der Mittelpunkt seiner Gedanken und Nei¬
gungen.

Um so wichtiger war, daß ihm ein Niebuhr folgte. Sei¬
ner Natur war jede Schwelgerei, auch die geistigste, zuwider;
er konnte den epikureischen Zug bei Humboldt so wenig wie
bei Goethe billigen; er hatte die Kunst nicht, sich selbst zu
vergessen, ohne welche Rom nicht Rom ist. Immer wachsam
und gespannten Geistes, sah er in Rom nur Stoff zur Arbeit,
unbenutzte Schätze der Erkenntniß, ungelöste Aufgaben. Er
war sittlich zu zartfühlend, um sich über das entartete Rom
beruhigen zu können, er war zu deutsch, um sein Vaterland
leicht zu entbehren, zu ernst und wahr, um sich in anmuthige
Traumbilder einwiegen zu lassen. Er aber hat das unver¬
geßliche Verdienst, daß er der deutschen Wissenschaft in Rom
einen festen Sitz gegründet und nach der einseitigen Bevor¬
zugung des Griechischen die Studien über römische Geschichte
und Ortskunde unter den deutschen Römern ins Leben ge¬
rufen hat.

Freilich hatten die Römer selbst schon lange daran gear¬
beitet. Sie gaben schon im Anfange des sechzehnten Jahr¬
hunderts Werke heraus, welche das "wiederhergestellte Rom"
enthalten sollten, und in der überschwänglichen Zeit Leo's X.
faßte man sogar den Plan, die alte Stadt planmäßig aus dem
Schutte hervorzuziehen. Aber dieser Gedanke ging mit Rafael
zu Grabe und jene Arbeiten blieben Versuche, weil man ohne
breite und gesicherte Grundlage etwas Fertiges aufbauen wollte.

Rom und die Deutſchen.
benutzte, um ſelbſt in geiſtiger Kraft auszuwachſen, ſeinen geiſti¬
gen Beſitz abzurunden und ſeines wiſſenſchaftlichen Berufs
ſicherer zu werden, der treue Pfleger aller höheren Beſtrebun¬
gen der Deutſchen in Rom. Als ſein Hausgenoſſe und Freund
wurde Welcker in Rom heimiſch, der mit der ganzen Tiefe
des deutſchen Weſens ſich der Kunſtforſchung hingab, der
ſelbſtändigſte Nachfolger Winckelmann's und wie dieſer beſon¬
ders beſtrebt, die griechiſche Kunſt, die lang verkannte, in Rom
zu Ehren zu bringen, darin ganz übereinſtimmend mit Hum¬
boldt, dem das Helleniſche unbedingt das Werthvollſte am
Alterthume war, der Mittelpunkt ſeiner Gedanken und Nei¬
gungen.

Um ſo wichtiger war, daß ihm ein Niebuhr folgte. Sei¬
ner Natur war jede Schwelgerei, auch die geiſtigſte, zuwider;
er konnte den epikureiſchen Zug bei Humboldt ſo wenig wie
bei Goethe billigen; er hatte die Kunſt nicht, ſich ſelbſt zu
vergeſſen, ohne welche Rom nicht Rom iſt. Immer wachſam
und geſpannten Geiſtes, ſah er in Rom nur Stoff zur Arbeit,
unbenutzte Schätze der Erkenntniß, ungelöſte Aufgaben. Er
war ſittlich zu zartfühlend, um ſich über das entartete Rom
beruhigen zu können, er war zu deutſch, um ſein Vaterland
leicht zu entbehren, zu ernſt und wahr, um ſich in anmuthige
Traumbilder einwiegen zu laſſen. Er aber hat das unver¬
geßliche Verdienſt, daß er der deutſchen Wiſſenſchaft in Rom
einen feſten Sitz gegründet und nach der einſeitigen Bevor¬
zugung des Griechiſchen die Studien über römiſche Geſchichte
und Ortskunde unter den deutſchen Römern ins Leben ge¬
rufen hat.

Freilich hatten die Römer ſelbſt ſchon lange daran gear¬
beitet. Sie gaben ſchon im Anfange des ſechzehnten Jahr¬
hunderts Werke heraus, welche das »wiederhergeſtellte Rom«
enthalten ſollten, und in der überſchwänglichen Zeit Leo's X.
faßte man ſogar den Plan, die alte Stadt planmäßig aus dem
Schutte hervorzuziehen. Aber dieſer Gedanke ging mit Rafael
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[54/0070] Rom und die Deutſchen. benutzte, um ſelbſt in geiſtiger Kraft auszuwachſen, ſeinen geiſti¬ gen Beſitz abzurunden und ſeines wiſſenſchaftlichen Berufs ſicherer zu werden, der treue Pfleger aller höheren Beſtrebun¬ gen der Deutſchen in Rom. Als ſein Hausgenoſſe und Freund wurde Welcker in Rom heimiſch, der mit der ganzen Tiefe des deutſchen Weſens ſich der Kunſtforſchung hingab, der ſelbſtändigſte Nachfolger Winckelmann's und wie dieſer beſon¬ ders beſtrebt, die griechiſche Kunſt, die lang verkannte, in Rom zu Ehren zu bringen, darin ganz übereinſtimmend mit Hum¬ boldt, dem das Helleniſche unbedingt das Werthvollſte am Alterthume war, der Mittelpunkt ſeiner Gedanken und Nei¬ gungen. Um ſo wichtiger war, daß ihm ein Niebuhr folgte. Sei¬ ner Natur war jede Schwelgerei, auch die geiſtigſte, zuwider; er konnte den epikureiſchen Zug bei Humboldt ſo wenig wie bei Goethe billigen; er hatte die Kunſt nicht, ſich ſelbſt zu vergeſſen, ohne welche Rom nicht Rom iſt. Immer wachſam und geſpannten Geiſtes, ſah er in Rom nur Stoff zur Arbeit, unbenutzte Schätze der Erkenntniß, ungelöſte Aufgaben. Er war ſittlich zu zartfühlend, um ſich über das entartete Rom beruhigen zu können, er war zu deutſch, um ſein Vaterland leicht zu entbehren, zu ernſt und wahr, um ſich in anmuthige Traumbilder einwiegen zu laſſen. Er aber hat das unver¬ geßliche Verdienſt, daß er der deutſchen Wiſſenſchaft in Rom einen feſten Sitz gegründet und nach der einſeitigen Bevor¬ zugung des Griechiſchen die Studien über römiſche Geſchichte und Ortskunde unter den deutſchen Römern ins Leben ge¬ rufen hat. Freilich hatten die Römer ſelbſt ſchon lange daran gear¬ beitet. Sie gaben ſchon im Anfange des ſechzehnten Jahr¬ hunderts Werke heraus, welche das »wiederhergeſtellte Rom« enthalten ſollten, und in der überſchwänglichen Zeit Leo's X. faßte man ſogar den Plan, die alte Stadt planmäßig aus dem Schutte hervorzuziehen. Aber dieſer Gedanke ging mit Rafael zu Grabe und jene Arbeiten blieben Verſuche, weil man ohne breite und geſicherte Grundlage etwas Fertiges aufbauen wollte.

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Zitationshilfe: Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/70>, abgerufen am 23.11.2024.