Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.Rom und die Deutschen. vornehmen Hause vermissen mochte. Akademien bestanden zurPflege der Wissenschaft, und in kleineren Kreisen Auserwählter über ältere und neuere Erwerbungen sich zu unterhalten galt für die Würze feinerer Geselligkeit. Auch die Fremden wurden ja erst Kenner, indem sie durch längern Aufenthalt Römer wurden, wie es mit Rafael Mengs der Fall war. Wie schüch¬ tern betrat deshalb auch Winckelmann die Schwelle der Stadt, welche er als die hohe Schule aller Kunststudien verehrte! In trüben Verhältnissen aufgewachsen, schon über die Mitte des Lebens hinaus, in sich unklar und unsicher, ein diesseit wie jenseit der Alpen unbekannter Gelehrter -- so kam er nach Rom, ein Laie, der Alles, vor Allem die Kunst zu sehen, hier erst zu lernen hatte. Und doch war seine Ankunft ein Ereigniß für die Alter¬ Winckelmann erfuhr den vollen Segen des römischen Le¬ Nach Winckelmann war Niemand thätiger auf diesem Ge¬ Rom und die Deutſchen. vornehmen Hauſe vermiſſen mochte. Akademien beſtanden zurPflege der Wiſſenſchaft, und in kleineren Kreiſen Auserwählter über ältere und neuere Erwerbungen ſich zu unterhalten galt für die Würze feinerer Geſelligkeit. Auch die Fremden wurden ja erſt Kenner, indem ſie durch längern Aufenthalt Römer wurden, wie es mit Rafael Mengs der Fall war. Wie ſchüch¬ tern betrat deshalb auch Winckelmann die Schwelle der Stadt, welche er als die hohe Schule aller Kunſtſtudien verehrte! In trüben Verhältniſſen aufgewachſen, ſchon über die Mitte des Lebens hinaus, in ſich unklar und unſicher, ein dieſſeit wie jenſeit der Alpen unbekannter Gelehrter — ſo kam er nach Rom, ein Laie, der Alles, vor Allem die Kunſt zu ſehen, hier erſt zu lernen hatte. Und doch war ſeine Ankunft ein Ereigniß für die Alter¬ Winckelmann erfuhr den vollen Segen des römiſchen Le¬ Nach Winckelmann war Niemand thätiger auf dieſem Ge¬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0068" n="52"/><fw place="top" type="header">Rom und die Deutſchen.<lb/></fw> vornehmen Hauſe vermiſſen mochte. Akademien beſtanden zur<lb/> Pflege der Wiſſenſchaft, und in kleineren Kreiſen Auserwählter<lb/> über ältere und neuere Erwerbungen ſich zu unterhalten galt<lb/> für die Würze feinerer Geſelligkeit. Auch die Fremden wurden<lb/> ja erſt Kenner, indem ſie durch längern Aufenthalt Römer<lb/> wurden, wie es mit Rafael Mengs der Fall war. Wie ſchüch¬<lb/> tern betrat deshalb auch Winckelmann die Schwelle der Stadt,<lb/> welche er als die hohe Schule aller Kunſtſtudien verehrte!<lb/> In trüben Verhältniſſen aufgewachſen, ſchon über die Mitte<lb/> des Lebens hinaus, in ſich unklar und unſicher, ein dieſſeit<lb/> wie jenſeit der Alpen unbekannter Gelehrter — ſo kam er<lb/> nach Rom, ein Laie, der Alles, vor Allem die Kunſt zu <hi rendition="#g">ſehen</hi>,<lb/> hier erſt zu lernen hatte.</p><lb/> <p>Und doch war ſeine Ankunft ein Ereigniß für die Alter¬<lb/> thumskunde in Rom. Denn jetzt erſt erkannte man dort, daß<lb/> es auch für die römiſche Antike nicht gleichgültig ſei, ob Je¬<lb/> mand im Homer und Platon zu Hauſe ſei, und obwohl die<lb/> Römer nur zögernd auf einen Standpunkt eingingen, welcher<lb/> ihrem italiſchen Nationalgefühle nicht recht entſprechen wollte,<lb/> ſo mußten ſie doch die Ueberlegenheit anerkennen, welche dem<lb/> fremden Manne ſein griechiſches Wiſſen verlieh; der ſächſiſche<lb/> Gelehrte wurde Aufſeher der ſtädtiſchen Alterthümer Roms<lb/> und die erſte Autorität in römiſcher Wiſſenſchaft. Wußte man<lb/> wohl, daß man damit den Vorrang anerkannte, welchen die<lb/> deutſche Bildung durch die Reformation gewonnen hatte?</p><lb/> <p>Winckelmann erfuhr den vollen Segen des römiſchen Le¬<lb/> bens; ſein ganzes Weſen wurde gehoben und frei, ſein Auge<lb/> geöffnet, ſeine Sprache veredelt. Aber er blieb ein Deutſcher<lb/> und ſein Ehrgeiz war nicht, den Römern zu gefallen, ſondern<lb/> den Deutſchen ein Werk zu hinterlaſſen, welches dem Volke<lb/> Ehre machte; und als Deutſcher ging er weit über die Ge¬<lb/> ſichtspunkte italiäniſcher Gelehrſamkeit hinaus, indem er die<lb/> griechiſch-römiſche Kunſt in ihrem Zuſammenhange erkannte<lb/> und eine Wiſſenſchaft gründete, welche ſeitdem einer der wich¬<lb/> tigſten Zweige der Humanitätsſtudien geblieben iſt.</p><lb/> <p>Nach Winckelmann war Niemand thätiger auf dieſem Ge¬<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [52/0068]
Rom und die Deutſchen.
vornehmen Hauſe vermiſſen mochte. Akademien beſtanden zur
Pflege der Wiſſenſchaft, und in kleineren Kreiſen Auserwählter
über ältere und neuere Erwerbungen ſich zu unterhalten galt
für die Würze feinerer Geſelligkeit. Auch die Fremden wurden
ja erſt Kenner, indem ſie durch längern Aufenthalt Römer
wurden, wie es mit Rafael Mengs der Fall war. Wie ſchüch¬
tern betrat deshalb auch Winckelmann die Schwelle der Stadt,
welche er als die hohe Schule aller Kunſtſtudien verehrte!
In trüben Verhältniſſen aufgewachſen, ſchon über die Mitte
des Lebens hinaus, in ſich unklar und unſicher, ein dieſſeit
wie jenſeit der Alpen unbekannter Gelehrter — ſo kam er
nach Rom, ein Laie, der Alles, vor Allem die Kunſt zu ſehen,
hier erſt zu lernen hatte.
Und doch war ſeine Ankunft ein Ereigniß für die Alter¬
thumskunde in Rom. Denn jetzt erſt erkannte man dort, daß
es auch für die römiſche Antike nicht gleichgültig ſei, ob Je¬
mand im Homer und Platon zu Hauſe ſei, und obwohl die
Römer nur zögernd auf einen Standpunkt eingingen, welcher
ihrem italiſchen Nationalgefühle nicht recht entſprechen wollte,
ſo mußten ſie doch die Ueberlegenheit anerkennen, welche dem
fremden Manne ſein griechiſches Wiſſen verlieh; der ſächſiſche
Gelehrte wurde Aufſeher der ſtädtiſchen Alterthümer Roms
und die erſte Autorität in römiſcher Wiſſenſchaft. Wußte man
wohl, daß man damit den Vorrang anerkannte, welchen die
deutſche Bildung durch die Reformation gewonnen hatte?
Winckelmann erfuhr den vollen Segen des römiſchen Le¬
bens; ſein ganzes Weſen wurde gehoben und frei, ſein Auge
geöffnet, ſeine Sprache veredelt. Aber er blieb ein Deutſcher
und ſein Ehrgeiz war nicht, den Römern zu gefallen, ſondern
den Deutſchen ein Werk zu hinterlaſſen, welches dem Volke
Ehre machte; und als Deutſcher ging er weit über die Ge¬
ſichtspunkte italiäniſcher Gelehrſamkeit hinaus, indem er die
griechiſch-römiſche Kunſt in ihrem Zuſammenhange erkannte
und eine Wiſſenſchaft gründete, welche ſeitdem einer der wich¬
tigſten Zweige der Humanitätsſtudien geblieben iſt.
Nach Winckelmann war Niemand thätiger auf dieſem Ge¬
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