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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.

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Rom und die Deutschen.
vornehmen Hause vermissen mochte. Akademien bestanden zur
Pflege der Wissenschaft, und in kleineren Kreisen Auserwählter
über ältere und neuere Erwerbungen sich zu unterhalten galt
für die Würze feinerer Geselligkeit. Auch die Fremden wurden
ja erst Kenner, indem sie durch längern Aufenthalt Römer
wurden, wie es mit Rafael Mengs der Fall war. Wie schüch¬
tern betrat deshalb auch Winckelmann die Schwelle der Stadt,
welche er als die hohe Schule aller Kunststudien verehrte!
In trüben Verhältnissen aufgewachsen, schon über die Mitte
des Lebens hinaus, in sich unklar und unsicher, ein diesseit
wie jenseit der Alpen unbekannter Gelehrter -- so kam er
nach Rom, ein Laie, der Alles, vor Allem die Kunst zu sehen,
hier erst zu lernen hatte.

Und doch war seine Ankunft ein Ereigniß für die Alter¬
thumskunde in Rom. Denn jetzt erst erkannte man dort, daß
es auch für die römische Antike nicht gleichgültig sei, ob Je¬
mand im Homer und Platon zu Hause sei, und obwohl die
Römer nur zögernd auf einen Standpunkt eingingen, welcher
ihrem italischen Nationalgefühle nicht recht entsprechen wollte,
so mußten sie doch die Ueberlegenheit anerkennen, welche dem
fremden Manne sein griechisches Wissen verlieh; der sächsische
Gelehrte wurde Aufseher der städtischen Alterthümer Roms
und die erste Autorität in römischer Wissenschaft. Wußte man
wohl, daß man damit den Vorrang anerkannte, welchen die
deutsche Bildung durch die Reformation gewonnen hatte?

Winckelmann erfuhr den vollen Segen des römischen Le¬
bens; sein ganzes Wesen wurde gehoben und frei, sein Auge
geöffnet, seine Sprache veredelt. Aber er blieb ein Deutscher
und sein Ehrgeiz war nicht, den Römern zu gefallen, sondern
den Deutschen ein Werk zu hinterlassen, welches dem Volke
Ehre machte; und als Deutscher ging er weit über die Ge¬
sichtspunkte italiänischer Gelehrsamkeit hinaus, indem er die
griechisch-römische Kunst in ihrem Zusammenhange erkannte
und eine Wissenschaft gründete, welche seitdem einer der wich¬
tigsten Zweige der Humanitätsstudien geblieben ist.

Nach Winckelmann war Niemand thätiger auf diesem Ge¬

Rom und die Deutſchen.
vornehmen Hauſe vermiſſen mochte. Akademien beſtanden zur
Pflege der Wiſſenſchaft, und in kleineren Kreiſen Auserwählter
über ältere und neuere Erwerbungen ſich zu unterhalten galt
für die Würze feinerer Geſelligkeit. Auch die Fremden wurden
ja erſt Kenner, indem ſie durch längern Aufenthalt Römer
wurden, wie es mit Rafael Mengs der Fall war. Wie ſchüch¬
tern betrat deshalb auch Winckelmann die Schwelle der Stadt,
welche er als die hohe Schule aller Kunſtſtudien verehrte!
In trüben Verhältniſſen aufgewachſen, ſchon über die Mitte
des Lebens hinaus, in ſich unklar und unſicher, ein dieſſeit
wie jenſeit der Alpen unbekannter Gelehrter — ſo kam er
nach Rom, ein Laie, der Alles, vor Allem die Kunſt zu ſehen,
hier erſt zu lernen hatte.

Und doch war ſeine Ankunft ein Ereigniß für die Alter¬
thumskunde in Rom. Denn jetzt erſt erkannte man dort, daß
es auch für die römiſche Antike nicht gleichgültig ſei, ob Je¬
mand im Homer und Platon zu Hauſe ſei, und obwohl die
Römer nur zögernd auf einen Standpunkt eingingen, welcher
ihrem italiſchen Nationalgefühle nicht recht entſprechen wollte,
ſo mußten ſie doch die Ueberlegenheit anerkennen, welche dem
fremden Manne ſein griechiſches Wiſſen verlieh; der ſächſiſche
Gelehrte wurde Aufſeher der ſtädtiſchen Alterthümer Roms
und die erſte Autorität in römiſcher Wiſſenſchaft. Wußte man
wohl, daß man damit den Vorrang anerkannte, welchen die
deutſche Bildung durch die Reformation gewonnen hatte?

Winckelmann erfuhr den vollen Segen des römiſchen Le¬
bens; ſein ganzes Weſen wurde gehoben und frei, ſein Auge
geöffnet, ſeine Sprache veredelt. Aber er blieb ein Deutſcher
und ſein Ehrgeiz war nicht, den Römern zu gefallen, ſondern
den Deutſchen ein Werk zu hinterlaſſen, welches dem Volke
Ehre machte; und als Deutſcher ging er weit über die Ge¬
ſichtspunkte italiäniſcher Gelehrſamkeit hinaus, indem er die
griechiſch-römiſche Kunſt in ihrem Zuſammenhange erkannte
und eine Wiſſenſchaft gründete, welche ſeitdem einer der wich¬
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[52/0068] Rom und die Deutſchen. vornehmen Hauſe vermiſſen mochte. Akademien beſtanden zur Pflege der Wiſſenſchaft, und in kleineren Kreiſen Auserwählter über ältere und neuere Erwerbungen ſich zu unterhalten galt für die Würze feinerer Geſelligkeit. Auch die Fremden wurden ja erſt Kenner, indem ſie durch längern Aufenthalt Römer wurden, wie es mit Rafael Mengs der Fall war. Wie ſchüch¬ tern betrat deshalb auch Winckelmann die Schwelle der Stadt, welche er als die hohe Schule aller Kunſtſtudien verehrte! In trüben Verhältniſſen aufgewachſen, ſchon über die Mitte des Lebens hinaus, in ſich unklar und unſicher, ein dieſſeit wie jenſeit der Alpen unbekannter Gelehrter — ſo kam er nach Rom, ein Laie, der Alles, vor Allem die Kunſt zu ſehen, hier erſt zu lernen hatte. Und doch war ſeine Ankunft ein Ereigniß für die Alter¬ thumskunde in Rom. Denn jetzt erſt erkannte man dort, daß es auch für die römiſche Antike nicht gleichgültig ſei, ob Je¬ mand im Homer und Platon zu Hauſe ſei, und obwohl die Römer nur zögernd auf einen Standpunkt eingingen, welcher ihrem italiſchen Nationalgefühle nicht recht entſprechen wollte, ſo mußten ſie doch die Ueberlegenheit anerkennen, welche dem fremden Manne ſein griechiſches Wiſſen verlieh; der ſächſiſche Gelehrte wurde Aufſeher der ſtädtiſchen Alterthümer Roms und die erſte Autorität in römiſcher Wiſſenſchaft. Wußte man wohl, daß man damit den Vorrang anerkannte, welchen die deutſche Bildung durch die Reformation gewonnen hatte? Winckelmann erfuhr den vollen Segen des römiſchen Le¬ bens; ſein ganzes Weſen wurde gehoben und frei, ſein Auge geöffnet, ſeine Sprache veredelt. Aber er blieb ein Deutſcher und ſein Ehrgeiz war nicht, den Römern zu gefallen, ſondern den Deutſchen ein Werk zu hinterlaſſen, welches dem Volke Ehre machte; und als Deutſcher ging er weit über die Ge¬ ſichtspunkte italiäniſcher Gelehrſamkeit hinaus, indem er die griechiſch-römiſche Kunſt in ihrem Zuſammenhange erkannte und eine Wiſſenſchaft gründete, welche ſeitdem einer der wich¬ tigſten Zweige der Humanitätsſtudien geblieben iſt. Nach Winckelmann war Niemand thätiger auf dieſem Ge¬

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Zitationshilfe: Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/68>, abgerufen am 23.11.2024.