entwickelt, je mehr der Geist der Freiheit, der Gerechtigkeit, des Gemeinsinns ihn durchdringt, um so mehr wird der Kampf der Parteien eine Uebungsschule aller geistigen Lebenskräfte sein. Er fördert das Ganze, indem er durch offenen Gegen¬ satz der Meinungen Vorurtheile beseitigt so wie vor Einseitig¬ keit und Irrwegen bewahrt; er fördert den Einzelnen, indem er ihn nöthigt, in Wort und That eine wohlgeprüfte Meinung muthig zu vertreten.
Das ist der wohlthätige Antagonismus der Partei, die sicherste Bürgschaft des Fortschritts und einer gedeihlichen Zu¬ kunft. Er trennt nicht nur, sondern er verbindet auch; er steigert die persönliche Theilnahme am Wohle des Staats, für welchen Alles wetteifernd bemüht ist. Die Parteikämpfe sind die Wehen, welche neuen Entwickelungen vorangehen; nach angstvoller Spannung der Gemüther folgt eine höhere Gewi߬ heit und der Staat wird Allen um so theurer, je mehr um ihn gebangt, gestritten und gearbeitet worden ist. Aus jeder Krisis geht er reicher und voller hervor. Einem Parteisiege verdankte Athen den Schmuck seiner Tempel; aus den Partei¬ kämpfen gingen die Colonien hervor, welche die Herrschaft der Griechen über alle Mittelmeerküsten ausdehnten; Beredsamkeit und dialektische Methode sind Früchte des Parteikampfes; aus ihm sind endlich die höchsten Kunstwerke des Geistes entsprungen, die noch heute vorbildlichen Gesetzgebungen, in denen der flu¬ thenden Bewegung Maß und Form gegeben ist. Wahrlich, wenn wir die arme Geschichte parteiloser Staaten mit der überreichen Culturentwickelung einer Stadt vergleichen, welche, wie Athen, von einem Parteikampfe zum anderen überging: dann begreifen wir das große Wort des Herakleitos, welcher den Kampf den Vater der Dinge nannte und des kurzsichtigen Dichters spottete, der den Wunsch ausgesprochen habe, daß doch aller Streit zwischen Göttern und Menschen ein Ende nehmen möchte.
Aber es giebt neben dem guten Streite auch einen bösen; beide trennt eine feine Gränzlinie, und wenn uns die Geschichte lehrt, daß durch Parteikampf die Staaten groß geworden sind,
Die patriotiſche Pflicht der Parteinahme.
entwickelt, je mehr der Geiſt der Freiheit, der Gerechtigkeit, des Gemeinſinns ihn durchdringt, um ſo mehr wird der Kampf der Parteien eine Uebungsſchule aller geiſtigen Lebenskräfte ſein. Er fördert das Ganze, indem er durch offenen Gegen¬ ſatz der Meinungen Vorurtheile beſeitigt ſo wie vor Einſeitig¬ keit und Irrwegen bewahrt; er fördert den Einzelnen, indem er ihn nöthigt, in Wort und That eine wohlgeprüfte Meinung muthig zu vertreten.
Das iſt der wohlthätige Antagonismus der Partei, die ſicherſte Bürgſchaft des Fortſchritts und einer gedeihlichen Zu¬ kunft. Er trennt nicht nur, ſondern er verbindet auch; er ſteigert die perſönliche Theilnahme am Wohle des Staats, für welchen Alles wetteifernd bemüht iſt. Die Parteikämpfe ſind die Wehen, welche neuen Entwickelungen vorangehen; nach angſtvoller Spannung der Gemüther folgt eine höhere Gewi߬ heit und der Staat wird Allen um ſo theurer, je mehr um ihn gebangt, geſtritten und gearbeitet worden iſt. Aus jeder Kriſis geht er reicher und voller hervor. Einem Parteiſiege verdankte Athen den Schmuck ſeiner Tempel; aus den Partei¬ kämpfen gingen die Colonien hervor, welche die Herrſchaft der Griechen über alle Mittelmeerküſten ausdehnten; Beredſamkeit und dialektiſche Methode ſind Früchte des Parteikampfes; aus ihm ſind endlich die höchſten Kunſtwerke des Geiſtes entſprungen, die noch heute vorbildlichen Geſetzgebungen, in denen der flu¬ thenden Bewegung Maß und Form gegeben iſt. Wahrlich, wenn wir die arme Geſchichte parteiloſer Staaten mit der überreichen Culturentwickelung einer Stadt vergleichen, welche, wie Athen, von einem Parteikampfe zum anderen überging: dann begreifen wir das große Wort des Herakleitos, welcher den Kampf den Vater der Dinge nannte und des kurzſichtigen Dichters ſpottete, der den Wunſch ausgeſprochen habe, daß doch aller Streit zwiſchen Göttern und Menſchen ein Ende nehmen möchte.
Aber es giebt neben dem guten Streite auch einen böſen; beide trennt eine feine Gränzlinie, und wenn uns die Geſchichte lehrt, daß durch Parteikampf die Staaten groß geworden ſind,
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0342"n="326"/><fwplace="top"type="header">Die patriotiſche Pflicht der Parteinahme.<lb/></fw> entwickelt, je mehr der Geiſt der Freiheit, der Gerechtigkeit, des<lb/>
Gemeinſinns ihn durchdringt, um ſo mehr wird der Kampf<lb/>
der Parteien eine Uebungsſchule aller geiſtigen Lebenskräfte<lb/>ſein. Er fördert das Ganze, indem er durch offenen Gegen¬<lb/>ſatz der Meinungen Vorurtheile beſeitigt ſo wie vor Einſeitig¬<lb/>
keit und Irrwegen bewahrt; er fördert den Einzelnen, indem<lb/>
er ihn nöthigt, in Wort und That eine wohlgeprüfte Meinung<lb/>
muthig zu vertreten.</p><lb/><p>Das iſt der wohlthätige Antagonismus der Partei, die<lb/>ſicherſte Bürgſchaft des Fortſchritts und einer gedeihlichen Zu¬<lb/>
kunft. Er trennt nicht nur, ſondern er verbindet auch; er<lb/>ſteigert die perſönliche Theilnahme am Wohle des Staats, für<lb/>
welchen Alles wetteifernd bemüht iſt. Die Parteikämpfe ſind<lb/>
die Wehen, welche neuen Entwickelungen vorangehen; nach<lb/>
angſtvoller Spannung der Gemüther folgt eine höhere Gewi߬<lb/>
heit und der Staat wird Allen um ſo theurer, je mehr um<lb/>
ihn gebangt, geſtritten und gearbeitet worden iſt. Aus jeder<lb/>
Kriſis geht er reicher und voller hervor. Einem Parteiſiege<lb/>
verdankte Athen den Schmuck ſeiner Tempel; aus den Partei¬<lb/>
kämpfen gingen die Colonien hervor, welche die Herrſchaft der<lb/>
Griechen über alle Mittelmeerküſten ausdehnten; Beredſamkeit<lb/>
und dialektiſche Methode ſind Früchte des Parteikampfes; aus<lb/>
ihm ſind endlich die höchſten Kunſtwerke des Geiſtes entſprungen,<lb/>
die noch heute vorbildlichen Geſetzgebungen, in denen der flu¬<lb/>
thenden Bewegung Maß und Form gegeben iſt. Wahrlich,<lb/>
wenn wir die arme Geſchichte parteiloſer Staaten mit der<lb/>
überreichen Culturentwickelung einer Stadt vergleichen, welche,<lb/>
wie Athen, von einem Parteikampfe zum anderen überging:<lb/>
dann begreifen wir das große Wort des Herakleitos, welcher<lb/>
den Kampf den Vater der Dinge nannte und des kurzſichtigen<lb/>
Dichters ſpottete, der den Wunſch ausgeſprochen habe, daß doch<lb/>
aller Streit zwiſchen Göttern und Menſchen ein Ende nehmen<lb/>
möchte.</p><lb/><p>Aber es giebt neben dem guten Streite auch einen böſen;<lb/>
beide trennt eine feine Gränzlinie, und wenn uns die Geſchichte<lb/>
lehrt, daß durch Parteikampf die Staaten groß geworden ſind,<lb/></p></div></body></text></TEI>
[326/0342]
Die patriotiſche Pflicht der Parteinahme.
entwickelt, je mehr der Geiſt der Freiheit, der Gerechtigkeit, des
Gemeinſinns ihn durchdringt, um ſo mehr wird der Kampf
der Parteien eine Uebungsſchule aller geiſtigen Lebenskräfte
ſein. Er fördert das Ganze, indem er durch offenen Gegen¬
ſatz der Meinungen Vorurtheile beſeitigt ſo wie vor Einſeitig¬
keit und Irrwegen bewahrt; er fördert den Einzelnen, indem
er ihn nöthigt, in Wort und That eine wohlgeprüfte Meinung
muthig zu vertreten.
Das iſt der wohlthätige Antagonismus der Partei, die
ſicherſte Bürgſchaft des Fortſchritts und einer gedeihlichen Zu¬
kunft. Er trennt nicht nur, ſondern er verbindet auch; er
ſteigert die perſönliche Theilnahme am Wohle des Staats, für
welchen Alles wetteifernd bemüht iſt. Die Parteikämpfe ſind
die Wehen, welche neuen Entwickelungen vorangehen; nach
angſtvoller Spannung der Gemüther folgt eine höhere Gewi߬
heit und der Staat wird Allen um ſo theurer, je mehr um
ihn gebangt, geſtritten und gearbeitet worden iſt. Aus jeder
Kriſis geht er reicher und voller hervor. Einem Parteiſiege
verdankte Athen den Schmuck ſeiner Tempel; aus den Partei¬
kämpfen gingen die Colonien hervor, welche die Herrſchaft der
Griechen über alle Mittelmeerküſten ausdehnten; Beredſamkeit
und dialektiſche Methode ſind Früchte des Parteikampfes; aus
ihm ſind endlich die höchſten Kunſtwerke des Geiſtes entſprungen,
die noch heute vorbildlichen Geſetzgebungen, in denen der flu¬
thenden Bewegung Maß und Form gegeben iſt. Wahrlich,
wenn wir die arme Geſchichte parteiloſer Staaten mit der
überreichen Culturentwickelung einer Stadt vergleichen, welche,
wie Athen, von einem Parteikampfe zum anderen überging:
dann begreifen wir das große Wort des Herakleitos, welcher
den Kampf den Vater der Dinge nannte und des kurzſichtigen
Dichters ſpottete, der den Wunſch ausgeſprochen habe, daß doch
aller Streit zwiſchen Göttern und Menſchen ein Ende nehmen
möchte.
Aber es giebt neben dem guten Streite auch einen böſen;
beide trennt eine feine Gränzlinie, und wenn uns die Geſchichte
lehrt, daß durch Parteikampf die Staaten groß geworden ſind,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 326. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/342>, abgerufen am 22.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.