Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.Die patriotische Pflicht der Parteinahme. entwickelt, je mehr der Geist der Freiheit, der Gerechtigkeit, desGemeinsinns ihn durchdringt, um so mehr wird der Kampf der Parteien eine Uebungsschule aller geistigen Lebenskräfte sein. Er fördert das Ganze, indem er durch offenen Gegen¬ satz der Meinungen Vorurtheile beseitigt so wie vor Einseitig¬ keit und Irrwegen bewahrt; er fördert den Einzelnen, indem er ihn nöthigt, in Wort und That eine wohlgeprüfte Meinung muthig zu vertreten. Das ist der wohlthätige Antagonismus der Partei, die Aber es giebt neben dem guten Streite auch einen bösen; Die patriotiſche Pflicht der Parteinahme. entwickelt, je mehr der Geiſt der Freiheit, der Gerechtigkeit, desGemeinſinns ihn durchdringt, um ſo mehr wird der Kampf der Parteien eine Uebungsſchule aller geiſtigen Lebenskräfte ſein. Er fördert das Ganze, indem er durch offenen Gegen¬ ſatz der Meinungen Vorurtheile beſeitigt ſo wie vor Einſeitig¬ keit und Irrwegen bewahrt; er fördert den Einzelnen, indem er ihn nöthigt, in Wort und That eine wohlgeprüfte Meinung muthig zu vertreten. Das iſt der wohlthätige Antagonismus der Partei, die Aber es giebt neben dem guten Streite auch einen böſen; <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0342" n="326"/><fw place="top" type="header">Die patriotiſche Pflicht der Parteinahme.<lb/></fw> entwickelt, je mehr der Geiſt der Freiheit, der Gerechtigkeit, des<lb/> Gemeinſinns ihn durchdringt, um ſo mehr wird der Kampf<lb/> der Parteien eine Uebungsſchule aller geiſtigen Lebenskräfte<lb/> ſein. Er fördert das Ganze, indem er durch offenen Gegen¬<lb/> ſatz der Meinungen Vorurtheile beſeitigt ſo wie vor Einſeitig¬<lb/> keit und Irrwegen bewahrt; er fördert den Einzelnen, indem<lb/> er ihn nöthigt, in Wort und That eine wohlgeprüfte Meinung<lb/> muthig zu vertreten.</p><lb/> <p>Das iſt der wohlthätige Antagonismus der Partei, die<lb/> ſicherſte Bürgſchaft des Fortſchritts und einer gedeihlichen Zu¬<lb/> kunft. Er trennt nicht nur, ſondern er verbindet auch; er<lb/> ſteigert die perſönliche Theilnahme am Wohle des Staats, für<lb/> welchen Alles wetteifernd bemüht iſt. Die Parteikämpfe ſind<lb/> die Wehen, welche neuen Entwickelungen vorangehen; nach<lb/> angſtvoller Spannung der Gemüther folgt eine höhere Gewi߬<lb/> heit und der Staat wird Allen um ſo theurer, je mehr um<lb/> ihn gebangt, geſtritten und gearbeitet worden iſt. Aus jeder<lb/> Kriſis geht er reicher und voller hervor. Einem Parteiſiege<lb/> verdankte Athen den Schmuck ſeiner Tempel; aus den Partei¬<lb/> kämpfen gingen die Colonien hervor, welche die Herrſchaft der<lb/> Griechen über alle Mittelmeerküſten ausdehnten; Beredſamkeit<lb/> und dialektiſche Methode ſind Früchte des Parteikampfes; aus<lb/> ihm ſind endlich die höchſten Kunſtwerke des Geiſtes entſprungen,<lb/> die noch heute vorbildlichen Geſetzgebungen, in denen der flu¬<lb/> thenden Bewegung Maß und Form gegeben iſt. Wahrlich,<lb/> wenn wir die arme Geſchichte parteiloſer Staaten mit der<lb/> überreichen Culturentwickelung einer Stadt vergleichen, welche,<lb/> wie Athen, von einem Parteikampfe zum anderen überging:<lb/> dann begreifen wir das große Wort des Herakleitos, welcher<lb/> den Kampf den Vater der Dinge nannte und des kurzſichtigen<lb/> Dichters ſpottete, der den Wunſch ausgeſprochen habe, daß doch<lb/> aller Streit zwiſchen Göttern und Menſchen ein Ende nehmen<lb/> möchte.</p><lb/> <p>Aber es giebt neben dem guten Streite auch einen böſen;<lb/> beide trennt eine feine Gränzlinie, und wenn uns die Geſchichte<lb/> lehrt, daß durch Parteikampf die Staaten groß geworden ſind,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [326/0342]
Die patriotiſche Pflicht der Parteinahme.
entwickelt, je mehr der Geiſt der Freiheit, der Gerechtigkeit, des
Gemeinſinns ihn durchdringt, um ſo mehr wird der Kampf
der Parteien eine Uebungsſchule aller geiſtigen Lebenskräfte
ſein. Er fördert das Ganze, indem er durch offenen Gegen¬
ſatz der Meinungen Vorurtheile beſeitigt ſo wie vor Einſeitig¬
keit und Irrwegen bewahrt; er fördert den Einzelnen, indem
er ihn nöthigt, in Wort und That eine wohlgeprüfte Meinung
muthig zu vertreten.
Das iſt der wohlthätige Antagonismus der Partei, die
ſicherſte Bürgſchaft des Fortſchritts und einer gedeihlichen Zu¬
kunft. Er trennt nicht nur, ſondern er verbindet auch; er
ſteigert die perſönliche Theilnahme am Wohle des Staats, für
welchen Alles wetteifernd bemüht iſt. Die Parteikämpfe ſind
die Wehen, welche neuen Entwickelungen vorangehen; nach
angſtvoller Spannung der Gemüther folgt eine höhere Gewi߬
heit und der Staat wird Allen um ſo theurer, je mehr um
ihn gebangt, geſtritten und gearbeitet worden iſt. Aus jeder
Kriſis geht er reicher und voller hervor. Einem Parteiſiege
verdankte Athen den Schmuck ſeiner Tempel; aus den Partei¬
kämpfen gingen die Colonien hervor, welche die Herrſchaft der
Griechen über alle Mittelmeerküſten ausdehnten; Beredſamkeit
und dialektiſche Methode ſind Früchte des Parteikampfes; aus
ihm ſind endlich die höchſten Kunſtwerke des Geiſtes entſprungen,
die noch heute vorbildlichen Geſetzgebungen, in denen der flu¬
thenden Bewegung Maß und Form gegeben iſt. Wahrlich,
wenn wir die arme Geſchichte parteiloſer Staaten mit der
überreichen Culturentwickelung einer Stadt vergleichen, welche,
wie Athen, von einem Parteikampfe zum anderen überging:
dann begreifen wir das große Wort des Herakleitos, welcher
den Kampf den Vater der Dinge nannte und des kurzſichtigen
Dichters ſpottete, der den Wunſch ausgeſprochen habe, daß doch
aller Streit zwiſchen Göttern und Menſchen ein Ende nehmen
möchte.
Aber es giebt neben dem guten Streite auch einen böſen;
beide trennt eine feine Gränzlinie, und wenn uns die Geſchichte
lehrt, daß durch Parteikampf die Staaten groß geworden ſind,
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