Sitten und Mundarten ausgebildet haben; die Entfremdung führt zu Mißgunst und Eifersucht, so daß die zu gegenseitiger Ergänzung und Förderung berufenen Bruderstämme als Volks¬ parteien sich feindlich gegenübertreten.
Aus der Gliederung der bürgerlichen Gesellschaft geht eine zweite Art der Parteiung hervor, wenn Herren- und Bauernstand, Edelleute und Gewerbtreibende, Alt- und Neu¬ bürger um den Antheil am Gemeinwesen hadern. Auch diese Spaltungen schließen sich an natürliche Unterschiede an, wenn in gewissen Gegenden einzelne Stände vorherrschen, hier der große Grundbesitz, dort das Hirtenvolk, oder die Fischer und Seefahrer; die Spaltung der Gesellschaft kann aber auch aus rein geistigen Gesichtspunkten hervorgehen, wenn es sich z. B. um die Abwehr oder Einführung einer auswärtigen Cultur handelt, wie in Rom um die hellenische, in Athen um die ionische Bildung. Die dritte Art beruht auf der Verschieden¬ heit der Ansicht von staatlichen Einrichtungen; das sind also die eigentlich politischen Parteien in ihrer unendlichen Mannig¬ faltigkeit, unter denen es, so lange Staaten bestehen, immer zwei Hauptrichtungen gegeben hat, eine, welche mehr im Ge¬ winnen eines Neuen und Besseren, die andere, welche mehr im Erhalten des Bewährten das Heil des Ganzen sieht.
Dann lehrt uns aber das Alterthum auch die richtige Würdigung der politischen Parteiung; denn die Beschäftigung mit demselben macht es uns durchaus unmöglich, sie nur als Krankheitserscheinung aufzufassen. Auch die Unterbrechung der friedlichen Entwickelung erscheint uns als eine Krisis des Volks¬ lebens, welche mit einer gewissen Nothwendigkeit eintritt. Da¬ her finden wir gleichzeitig an den verschiedensten Orten Griechen¬ lands dieselben Gährungen, aus denen die Tyrannis hervor¬ ging. Es sind die Zeichen einer Bewegung, welche durch Aufstellung und Ueberwindung von Gegensätzen unaufhaltsam fortschreitet; es sind Durchbrüche einer neuen Zeit, in denen gebundene Kräfte frei werden und junge Triebe sich Bahn machen. Nur in solchen Bewegungen kann der werdende Staat sich ausgestalten und Form gewinnen; je gesunder er sich aber
Die patriotiſche Pflicht der Parteinahme.
Sitten und Mundarten ausgebildet haben; die Entfremdung führt zu Mißgunſt und Eiferſucht, ſo daß die zu gegenſeitiger Ergänzung und Förderung berufenen Bruderſtämme als Volks¬ parteien ſich feindlich gegenübertreten.
Aus der Gliederung der bürgerlichen Geſellſchaft geht eine zweite Art der Parteiung hervor, wenn Herren- und Bauernſtand, Edelleute und Gewerbtreibende, Alt- und Neu¬ bürger um den Antheil am Gemeinweſen hadern. Auch dieſe Spaltungen ſchließen ſich an natürliche Unterſchiede an, wenn in gewiſſen Gegenden einzelne Stände vorherrſchen, hier der große Grundbeſitz, dort das Hirtenvolk, oder die Fiſcher und Seefahrer; die Spaltung der Geſellſchaft kann aber auch aus rein geiſtigen Geſichtspunkten hervorgehen, wenn es ſich z. B. um die Abwehr oder Einführung einer auswärtigen Cultur handelt, wie in Rom um die helleniſche, in Athen um die ioniſche Bildung. Die dritte Art beruht auf der Verſchieden¬ heit der Anſicht von ſtaatlichen Einrichtungen; das ſind alſo die eigentlich politiſchen Parteien in ihrer unendlichen Mannig¬ faltigkeit, unter denen es, ſo lange Staaten beſtehen, immer zwei Hauptrichtungen gegeben hat, eine, welche mehr im Ge¬ winnen eines Neuen und Beſſeren, die andere, welche mehr im Erhalten des Bewährten das Heil des Ganzen ſieht.
Dann lehrt uns aber das Alterthum auch die richtige Würdigung der politiſchen Parteiung; denn die Beſchäftigung mit demſelben macht es uns durchaus unmöglich, ſie nur als Krankheitserſcheinung aufzufaſſen. Auch die Unterbrechung der friedlichen Entwickelung erſcheint uns als eine Kriſis des Volks¬ lebens, welche mit einer gewiſſen Nothwendigkeit eintritt. Da¬ her finden wir gleichzeitig an den verſchiedenſten Orten Griechen¬ lands dieſelben Gährungen, aus denen die Tyrannis hervor¬ ging. Es ſind die Zeichen einer Bewegung, welche durch Aufſtellung und Ueberwindung von Gegenſätzen unaufhaltſam fortſchreitet; es ſind Durchbrüche einer neuen Zeit, in denen gebundene Kräfte frei werden und junge Triebe ſich Bahn machen. Nur in ſolchen Bewegungen kann der werdende Staat ſich ausgeſtalten und Form gewinnen; je geſunder er ſich aber
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Die patriotiſche Pflicht der Parteinahme.
Sitten und Mundarten ausgebildet haben; die Entfremdung
führt zu Mißgunſt und Eiferſucht, ſo daß die zu gegenſeitiger
Ergänzung und Förderung berufenen Bruderſtämme als Volks¬
parteien ſich feindlich gegenübertreten.
Aus der Gliederung der bürgerlichen Geſellſchaft geht
eine zweite Art der Parteiung hervor, wenn Herren- und
Bauernſtand, Edelleute und Gewerbtreibende, Alt- und Neu¬
bürger um den Antheil am Gemeinweſen hadern. Auch dieſe
Spaltungen ſchließen ſich an natürliche Unterſchiede an, wenn
in gewiſſen Gegenden einzelne Stände vorherrſchen, hier der
große Grundbeſitz, dort das Hirtenvolk, oder die Fiſcher und
Seefahrer; die Spaltung der Geſellſchaft kann aber auch aus
rein geiſtigen Geſichtspunkten hervorgehen, wenn es ſich z. B.
um die Abwehr oder Einführung einer auswärtigen Cultur
handelt, wie in Rom um die helleniſche, in Athen um die
ioniſche Bildung. Die dritte Art beruht auf der Verſchieden¬
heit der Anſicht von ſtaatlichen Einrichtungen; das ſind alſo
die eigentlich politiſchen Parteien in ihrer unendlichen Mannig¬
faltigkeit, unter denen es, ſo lange Staaten beſtehen, immer
zwei Hauptrichtungen gegeben hat, eine, welche mehr im Ge¬
winnen eines Neuen und Beſſeren, die andere, welche mehr
im Erhalten des Bewährten das Heil des Ganzen ſieht.
Dann lehrt uns aber das Alterthum auch die richtige
Würdigung der politiſchen Parteiung; denn die Beſchäftigung
mit demſelben macht es uns durchaus unmöglich, ſie nur als
Krankheitserſcheinung aufzufaſſen. Auch die Unterbrechung der
friedlichen Entwickelung erſcheint uns als eine Kriſis des Volks¬
lebens, welche mit einer gewiſſen Nothwendigkeit eintritt. Da¬
her finden wir gleichzeitig an den verſchiedenſten Orten Griechen¬
lands dieſelben Gährungen, aus denen die Tyrannis hervor¬
ging. Es ſind die Zeichen einer Bewegung, welche durch
Aufſtellung und Ueberwindung von Gegenſätzen unaufhaltſam
fortſchreitet; es ſind Durchbrüche einer neuen Zeit, in denen
gebundene Kräfte frei werden und junge Triebe ſich Bahn
machen. Nur in ſolchen Bewegungen kann der werdende Staat
ſich ausgeſtalten und Form gewinnen; je geſunder er ſich aber
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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 325. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/341>, abgerufen am 22.07.2024.
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