Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.Die patriotische Pflicht der Parteinahme. Sitten und Mundarten ausgebildet haben; die Entfremdungführt zu Mißgunst und Eifersucht, so daß die zu gegenseitiger Ergänzung und Förderung berufenen Bruderstämme als Volks¬ parteien sich feindlich gegenübertreten. Aus der Gliederung der bürgerlichen Gesellschaft geht Dann lehrt uns aber das Alterthum auch die richtige Die patriotiſche Pflicht der Parteinahme. Sitten und Mundarten ausgebildet haben; die Entfremdungführt zu Mißgunſt und Eiferſucht, ſo daß die zu gegenſeitiger Ergänzung und Förderung berufenen Bruderſtämme als Volks¬ parteien ſich feindlich gegenübertreten. Aus der Gliederung der bürgerlichen Geſellſchaft geht Dann lehrt uns aber das Alterthum auch die richtige <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0341" n="325"/><fw place="top" type="header">Die patriotiſche Pflicht der Parteinahme.<lb/></fw>Sitten und Mundarten ausgebildet haben; die Entfremdung<lb/> führt zu Mißgunſt und Eiferſucht, ſo daß die zu gegenſeitiger<lb/> Ergänzung und Förderung berufenen Bruderſtämme als Volks¬<lb/> parteien ſich feindlich gegenübertreten.</p><lb/> <p>Aus der Gliederung der bürgerlichen Geſellſchaft geht<lb/> eine zweite Art der Parteiung hervor, wenn Herren- und<lb/> Bauernſtand, Edelleute und Gewerbtreibende, Alt- und Neu¬<lb/> bürger um den Antheil am Gemeinweſen hadern. Auch dieſe<lb/> Spaltungen ſchließen ſich an natürliche Unterſchiede an, wenn<lb/> in gewiſſen Gegenden einzelne Stände vorherrſchen, hier der<lb/> große Grundbeſitz, dort das Hirtenvolk, oder die Fiſcher und<lb/> Seefahrer; die Spaltung der Geſellſchaft kann aber auch aus<lb/> rein geiſtigen Geſichtspunkten hervorgehen, wenn es ſich z. B.<lb/> um die Abwehr oder Einführung einer auswärtigen Cultur<lb/> handelt, wie in Rom um die helleniſche, in Athen um die<lb/> ioniſche Bildung. Die dritte Art beruht auf der Verſchieden¬<lb/> heit der Anſicht von ſtaatlichen Einrichtungen; das ſind alſo<lb/> die eigentlich politiſchen Parteien in ihrer unendlichen Mannig¬<lb/> faltigkeit, unter denen es, ſo lange Staaten beſtehen, immer<lb/> zwei Hauptrichtungen gegeben hat, eine, welche mehr im Ge¬<lb/> winnen eines Neuen und Beſſeren, die andere, welche mehr<lb/> im Erhalten des Bewährten das Heil des Ganzen ſieht.</p><lb/> <p>Dann lehrt uns aber das Alterthum auch die richtige<lb/> Würdigung der politiſchen Parteiung; denn die Beſchäftigung<lb/> mit demſelben macht es uns durchaus unmöglich, ſie nur als<lb/> Krankheitserſcheinung aufzufaſſen. Auch die Unterbrechung der<lb/> friedlichen Entwickelung erſcheint uns als eine Kriſis des Volks¬<lb/> lebens, welche mit einer gewiſſen Nothwendigkeit eintritt. Da¬<lb/> her finden wir gleichzeitig an den verſchiedenſten Orten Griechen¬<lb/> lands dieſelben Gährungen, aus denen die Tyrannis hervor¬<lb/> ging. Es ſind die Zeichen einer Bewegung, welche durch<lb/> Aufſtellung und Ueberwindung von Gegenſätzen unaufhaltſam<lb/> fortſchreitet; es ſind Durchbrüche einer neuen Zeit, in denen<lb/> gebundene Kräfte frei werden und junge Triebe ſich Bahn<lb/> machen. Nur in ſolchen Bewegungen kann der werdende Staat<lb/> ſich ausgeſtalten und Form gewinnen; je geſunder er ſich aber<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [325/0341]
Die patriotiſche Pflicht der Parteinahme.
Sitten und Mundarten ausgebildet haben; die Entfremdung
führt zu Mißgunſt und Eiferſucht, ſo daß die zu gegenſeitiger
Ergänzung und Förderung berufenen Bruderſtämme als Volks¬
parteien ſich feindlich gegenübertreten.
Aus der Gliederung der bürgerlichen Geſellſchaft geht
eine zweite Art der Parteiung hervor, wenn Herren- und
Bauernſtand, Edelleute und Gewerbtreibende, Alt- und Neu¬
bürger um den Antheil am Gemeinweſen hadern. Auch dieſe
Spaltungen ſchließen ſich an natürliche Unterſchiede an, wenn
in gewiſſen Gegenden einzelne Stände vorherrſchen, hier der
große Grundbeſitz, dort das Hirtenvolk, oder die Fiſcher und
Seefahrer; die Spaltung der Geſellſchaft kann aber auch aus
rein geiſtigen Geſichtspunkten hervorgehen, wenn es ſich z. B.
um die Abwehr oder Einführung einer auswärtigen Cultur
handelt, wie in Rom um die helleniſche, in Athen um die
ioniſche Bildung. Die dritte Art beruht auf der Verſchieden¬
heit der Anſicht von ſtaatlichen Einrichtungen; das ſind alſo
die eigentlich politiſchen Parteien in ihrer unendlichen Mannig¬
faltigkeit, unter denen es, ſo lange Staaten beſtehen, immer
zwei Hauptrichtungen gegeben hat, eine, welche mehr im Ge¬
winnen eines Neuen und Beſſeren, die andere, welche mehr
im Erhalten des Bewährten das Heil des Ganzen ſieht.
Dann lehrt uns aber das Alterthum auch die richtige
Würdigung der politiſchen Parteiung; denn die Beſchäftigung
mit demſelben macht es uns durchaus unmöglich, ſie nur als
Krankheitserſcheinung aufzufaſſen. Auch die Unterbrechung der
friedlichen Entwickelung erſcheint uns als eine Kriſis des Volks¬
lebens, welche mit einer gewiſſen Nothwendigkeit eintritt. Da¬
her finden wir gleichzeitig an den verſchiedenſten Orten Griechen¬
lands dieſelben Gährungen, aus denen die Tyrannis hervor¬
ging. Es ſind die Zeichen einer Bewegung, welche durch
Aufſtellung und Ueberwindung von Gegenſätzen unaufhaltſam
fortſchreitet; es ſind Durchbrüche einer neuen Zeit, in denen
gebundene Kräfte frei werden und junge Triebe ſich Bahn
machen. Nur in ſolchen Bewegungen kann der werdende Staat
ſich ausgeſtalten und Form gewinnen; je geſunder er ſich aber
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