so lehrt sie noch viel vernehmlicher, daß dieselben durch Par¬ teiung untergegangen sind. Dies ist dort am deutlichsten, wo die Staaten schon im Verfalle begriffen sind und in ihrem allgemeinen Siechthume die Erschütterung heftiger Partei¬ bewegung nicht mehr vertragen. Sie sind mit ihren mi߬ bräuchlichen Einrichtungen so verwachsen, daß die Angriffe auf dieselben die Existenz des Staats gefährden. So war es mit den Angriffen, welche in Rom gegen die Nobilität ge¬ richtet waren.
In diesem Falle zerstört die Partei nur, was untergehen mußte, und bringt ein wankendes Gebäude zum Fall. Sie untergräbt aber auch die Kraft des gesunden Staats und zwar zunächst durch ihren Einfluß auf die Sittlichkeit. Wer sich einer Partei anschließt, giebt immer etwas von seiner Selbständigkeit auf; denn ohne gegenseitiges Nachgeben kann keine Parteimacht zu Stande kommen. Dadurch entsteht Un¬ freiheit und Unwahrheit. Man gewöhnt sich, nicht mehr rein und voll aus dem eigenen Bewußtsein heraus zu handeln und die Stimme des Gewissens zu überhören. Die Ruhigeren werden von den Heftigeren fortgezogen und in der Leiden¬ schaft geht die Tugend der Besonnenheit unter. Diese sitt¬ lichen Gefahren bedrohen den Staat noch nicht unmittelbar, so lange der Gemeinsinn alle Sonderbestrebungen überwiegt. So wie aber die Idee des Staats ihre Kraft verliert, so wie diese untergeordneten Bildungen, die nur zu einer vorüber¬ gehenden Existenz im Organismus berechtigt sind, eine selbst¬ ständige, dauernde und vom Ganzen unabhängige Wirksamkeit sich anmaßen, dann beginnen die krankhaften Zustände.
Diese Erscheinungen zeigen sich zuerst bei Parteien, welche sich überlebt haben. Ihre Zeit ist vorüber, aber sie halten mit eigensinnigem Trotze an ihren Ansichten fest. So werden aus Parteien Cliquen oder Factionen. Parteien können und sollen ohne Erbitterung sein; das Wesen der Faction ist die Gehässigkeit und Verbissenheit; ihre Kampfart ist die Wühlerei und Intrigue, ihre Waffen sind giftige Pfeile, die aus dem Dunkeln fliegen. Hier entwickelt sich zuerst eine Feindschaft
Die patriotiſche Pflicht der Parteinahme.
ſo lehrt ſie noch viel vernehmlicher, daß dieſelben durch Par¬ teiung untergegangen ſind. Dies iſt dort am deutlichſten, wo die Staaten ſchon im Verfalle begriffen ſind und in ihrem allgemeinen Siechthume die Erſchütterung heftiger Partei¬ bewegung nicht mehr vertragen. Sie ſind mit ihren mi߬ bräuchlichen Einrichtungen ſo verwachſen, daß die Angriffe auf dieſelben die Exiſtenz des Staats gefährden. So war es mit den Angriffen, welche in Rom gegen die Nobilität ge¬ richtet waren.
In dieſem Falle zerſtört die Partei nur, was untergehen mußte, und bringt ein wankendes Gebäude zum Fall. Sie untergräbt aber auch die Kraft des geſunden Staats und zwar zunächſt durch ihren Einfluß auf die Sittlichkeit. Wer ſich einer Partei anſchließt, giebt immer etwas von ſeiner Selbſtändigkeit auf; denn ohne gegenſeitiges Nachgeben kann keine Parteimacht zu Stande kommen. Dadurch entſteht Un¬ freiheit und Unwahrheit. Man gewöhnt ſich, nicht mehr rein und voll aus dem eigenen Bewußtſein heraus zu handeln und die Stimme des Gewiſſens zu überhören. Die Ruhigeren werden von den Heftigeren fortgezogen und in der Leiden¬ ſchaft geht die Tugend der Beſonnenheit unter. Dieſe ſitt¬ lichen Gefahren bedrohen den Staat noch nicht unmittelbar, ſo lange der Gemeinſinn alle Sonderbeſtrebungen überwiegt. So wie aber die Idee des Staats ihre Kraft verliert, ſo wie dieſe untergeordneten Bildungen, die nur zu einer vorüber¬ gehenden Exiſtenz im Organismus berechtigt ſind, eine ſelbſt¬ ſtändige, dauernde und vom Ganzen unabhängige Wirkſamkeit ſich anmaßen, dann beginnen die krankhaften Zuſtände.
Dieſe Erſcheinungen zeigen ſich zuerſt bei Parteien, welche ſich überlebt haben. Ihre Zeit iſt vorüber, aber ſie halten mit eigenſinnigem Trotze an ihren Anſichten feſt. So werden aus Parteien Cliquen oder Factionen. Parteien können und ſollen ohne Erbitterung ſein; das Weſen der Faction iſt die Gehäſſigkeit und Verbiſſenheit; ihre Kampfart iſt die Wühlerei und Intrigue, ihre Waffen ſind giftige Pfeile, die aus dem Dunkeln fliegen. Hier entwickelt ſich zuerſt eine Feindſchaft
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Die patriotiſche Pflicht der Parteinahme.
ſo lehrt ſie noch viel vernehmlicher, daß dieſelben durch Par¬
teiung untergegangen ſind. Dies iſt dort am deutlichſten, wo
die Staaten ſchon im Verfalle begriffen ſind und in ihrem
allgemeinen Siechthume die Erſchütterung heftiger Partei¬
bewegung nicht mehr vertragen. Sie ſind mit ihren mi߬
bräuchlichen Einrichtungen ſo verwachſen, daß die Angriffe
auf dieſelben die Exiſtenz des Staats gefährden. So war es
mit den Angriffen, welche in Rom gegen die Nobilität ge¬
richtet waren.
In dieſem Falle zerſtört die Partei nur, was untergehen
mußte, und bringt ein wankendes Gebäude zum Fall. Sie
untergräbt aber auch die Kraft des geſunden Staats und
zwar zunächſt durch ihren Einfluß auf die Sittlichkeit. Wer
ſich einer Partei anſchließt, giebt immer etwas von ſeiner
Selbſtändigkeit auf; denn ohne gegenſeitiges Nachgeben kann
keine Parteimacht zu Stande kommen. Dadurch entſteht Un¬
freiheit und Unwahrheit. Man gewöhnt ſich, nicht mehr rein
und voll aus dem eigenen Bewußtſein heraus zu handeln und
die Stimme des Gewiſſens zu überhören. Die Ruhigeren
werden von den Heftigeren fortgezogen und in der Leiden¬
ſchaft geht die Tugend der Beſonnenheit unter. Dieſe ſitt¬
lichen Gefahren bedrohen den Staat noch nicht unmittelbar,
ſo lange der Gemeinſinn alle Sonderbeſtrebungen überwiegt.
So wie aber die Idee des Staats ihre Kraft verliert, ſo wie
dieſe untergeordneten Bildungen, die nur zu einer vorüber¬
gehenden Exiſtenz im Organismus berechtigt ſind, eine ſelbſt¬
ſtändige, dauernde und vom Ganzen unabhängige Wirkſamkeit
ſich anmaßen, dann beginnen die krankhaften Zuſtände.
Dieſe Erſcheinungen zeigen ſich zuerſt bei Parteien, welche
ſich überlebt haben. Ihre Zeit iſt vorüber, aber ſie halten
mit eigenſinnigem Trotze an ihren Anſichten feſt. So werden
aus Parteien Cliquen oder Factionen. Parteien können und
ſollen ohne Erbitterung ſein; das Weſen der Faction iſt die
Gehäſſigkeit und Verbiſſenheit; ihre Kampfart iſt die Wühlerei
und Intrigue, ihre Waffen ſind giftige Pfeile, die aus dem
Dunkeln fliegen. Hier entwickelt ſich zuerſt eine Feindſchaft
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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 327. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/343>, abgerufen am 22.07.2024.
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