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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.

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Die Bedingungen eines glücklichen Staatslebens.
Ihre Könige schon waren Lehrer des Volks; die Macht
Delphi's beruhte auf der dort vereinigten Wissenschaft und die
ältesten Philosophen, wie Thales, Empedokles, Parmenides,
waren einflußreiche Staatsmänner. Der große Gelehrte He¬
kataios hatte eine einflußreiche Stimme bei den Ioniern, und
als durch die Verschmähung seines Raths die Erhebung mi߬
lungen war, half er noch durch seinen Einfluß das Schicksal der
Besiegten mildern, gerade so wie wir am Ende der griechischen
Geschichte Polybios thätig sehen, seinen Einfluß bei den
Siegern zu Gunsten seiner Landsleute geltend zu machen.
Wie sehr man den Besitz hervorragender Welt- und Menschen¬
kenntniß als Bedingung einer würdigen Amtsführung im Staate
ansah, bezeugt noch der gelehrte und philosophisch gebildete
Strabo, der sein bewunderungswürdiges Lehrbuch der Erd¬
kunde für solche schrieb, die sich zu staatsmännischer Thätig¬
keit vorbereiten wollten.

Dieser echt hellenische Gesichtspunkt hatte vorzugsweise
seine Geltung in Athen, und wenn nun Perikles hier kraft
des unveräußerlichen Herrscherrechts überlegener Geisteskraft
die erste Stelle im Staate beanspruchte, so kam ihm dabei
der Umstand zu gute, daß um seine Zeit eine neue Seite
hellenischer Bildung und damit eine neue Kraft des helleni¬
schen Geistes sich entfaltete. Perikles war einer der Ersten
in Athen, die philosophisch gebildet waren. Als Schüler und
Freund des Anaxagoras hatte er einen Standpunkt gewonnen,
den Keiner mit ihm theilen konnte. Er stand außerhalb der
Menge und darum konnte er sie bewegen; er war als Phi¬
losoph über ihre Vorurtheile erhaben; als Philosoph hatte er
einen stets auf hohe Ziele gerichteten Sinn, überlegene
Denkkraft, unerschütterliche Fassung, Klarheit des Urtheils und
eine Fülle von Gesichtspunkten, die er mit Geistesgegenwart
beherrschte. Also die Forderung, von welcher Plato die Mög¬
lichkeit einer glücklichen Reform des gesellschaftlichen Lebens
abhängig macht und die gewöhnlich von allen platonischen
Forderungen am meisten belächelt zu werden pflegt, daß
nämlich Philosophen im Staate herrschen müßten, diese For¬

Die Bedingungen eines glücklichen Staatslebens.
Ihre Könige ſchon waren Lehrer des Volks; die Macht
Delphi's beruhte auf der dort vereinigten Wiſſenſchaft und die
älteſten Philoſophen, wie Thales, Empedokles, Parmenides,
waren einflußreiche Staatsmänner. Der große Gelehrte He¬
kataios hatte eine einflußreiche Stimme bei den Ioniern, und
als durch die Verſchmähung ſeines Raths die Erhebung mi߬
lungen war, half er noch durch ſeinen Einfluß das Schickſal der
Beſiegten mildern, gerade ſo wie wir am Ende der griechiſchen
Geſchichte Polybios thätig ſehen, ſeinen Einfluß bei den
Siegern zu Gunſten ſeiner Landsleute geltend zu machen.
Wie ſehr man den Beſitz hervorragender Welt- und Menſchen¬
kenntniß als Bedingung einer würdigen Amtsführung im Staate
anſah, bezeugt noch der gelehrte und philoſophiſch gebildete
Strabo, der ſein bewunderungswürdiges Lehrbuch der Erd¬
kunde für ſolche ſchrieb, die ſich zu ſtaatsmänniſcher Thätig¬
keit vorbereiten wollten.

Dieſer echt helleniſche Geſichtspunkt hatte vorzugsweiſe
ſeine Geltung in Athen, und wenn nun Perikles hier kraft
des unveräußerlichen Herrſcherrechts überlegener Geiſteskraft
die erſte Stelle im Staate beanſpruchte, ſo kam ihm dabei
der Umſtand zu gute, daß um ſeine Zeit eine neue Seite
helleniſcher Bildung und damit eine neue Kraft des helleni¬
ſchen Geiſtes ſich entfaltete. Perikles war einer der Erſten
in Athen, die philoſophiſch gebildet waren. Als Schüler und
Freund des Anaxagoras hatte er einen Standpunkt gewonnen,
den Keiner mit ihm theilen konnte. Er ſtand außerhalb der
Menge und darum konnte er ſie bewegen; er war als Phi¬
loſoph über ihre Vorurtheile erhaben; als Philoſoph hatte er
einen ſtets auf hohe Ziele gerichteten Sinn, überlegene
Denkkraft, unerſchütterliche Faſſung, Klarheit des Urtheils und
eine Fülle von Geſichtspunkten, die er mit Geiſtesgegenwart
beherrſchte. Alſo die Forderung, von welcher Plato die Mög¬
lichkeit einer glücklichen Reform des geſellſchaftlichen Lebens
abhängig macht und die gewöhnlich von allen platoniſchen
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[312/0328] Die Bedingungen eines glücklichen Staatslebens. Ihre Könige ſchon waren Lehrer des Volks; die Macht Delphi's beruhte auf der dort vereinigten Wiſſenſchaft und die älteſten Philoſophen, wie Thales, Empedokles, Parmenides, waren einflußreiche Staatsmänner. Der große Gelehrte He¬ kataios hatte eine einflußreiche Stimme bei den Ioniern, und als durch die Verſchmähung ſeines Raths die Erhebung mi߬ lungen war, half er noch durch ſeinen Einfluß das Schickſal der Beſiegten mildern, gerade ſo wie wir am Ende der griechiſchen Geſchichte Polybios thätig ſehen, ſeinen Einfluß bei den Siegern zu Gunſten ſeiner Landsleute geltend zu machen. Wie ſehr man den Beſitz hervorragender Welt- und Menſchen¬ kenntniß als Bedingung einer würdigen Amtsführung im Staate anſah, bezeugt noch der gelehrte und philoſophiſch gebildete Strabo, der ſein bewunderungswürdiges Lehrbuch der Erd¬ kunde für ſolche ſchrieb, die ſich zu ſtaatsmänniſcher Thätig¬ keit vorbereiten wollten. Dieſer echt helleniſche Geſichtspunkt hatte vorzugsweiſe ſeine Geltung in Athen, und wenn nun Perikles hier kraft des unveräußerlichen Herrſcherrechts überlegener Geiſteskraft die erſte Stelle im Staate beanſpruchte, ſo kam ihm dabei der Umſtand zu gute, daß um ſeine Zeit eine neue Seite helleniſcher Bildung und damit eine neue Kraft des helleni¬ ſchen Geiſtes ſich entfaltete. Perikles war einer der Erſten in Athen, die philoſophiſch gebildet waren. Als Schüler und Freund des Anaxagoras hatte er einen Standpunkt gewonnen, den Keiner mit ihm theilen konnte. Er ſtand außerhalb der Menge und darum konnte er ſie bewegen; er war als Phi¬ loſoph über ihre Vorurtheile erhaben; als Philoſoph hatte er einen ſtets auf hohe Ziele gerichteten Sinn, überlegene Denkkraft, unerſchütterliche Faſſung, Klarheit des Urtheils und eine Fülle von Geſichtspunkten, die er mit Geiſtesgegenwart beherrſchte. Alſo die Forderung, von welcher Plato die Mög¬ lichkeit einer glücklichen Reform des geſellſchaftlichen Lebens abhängig macht und die gewöhnlich von allen platoniſchen Forderungen am meiſten belächelt zu werden pflegt, daß nämlich Philoſophen im Staate herrſchen müßten, dieſe For¬

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Zitationshilfe: Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 312. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/328>, abgerufen am 23.11.2024.