derung wurde, so weit sie vernünftig ist, durch Perikles ver¬ wirklicht.
Aber wie war denn ein solches Herrschen möglich, inner¬ halb einer vollendeten Demokratie, deren Grundsatz es ist, keine Autorität dem Volke gegenüber anzuerkennen, jede Macht durch Theilung zu beschränken und auch die beschränkte Macht nur auf kurze Frist zu verleihen, um den Gegensatz von Re¬ gierenden und Regierten möglichst aufzuheben?
Freilich war das Staatswesen der Athener darauf angelegt, daß soviel wie möglich alle Bürger abwechselnd regieren und gehorchen sollten, aber sie haben niemals das Heil ihres Staats dem Unwesen einer unbedingten Massenherrschaft preisgegeben. Sie haben ihre Beamten erloost, weil sie glaubten, daß zu den laufenden Verwaltungsgeschäften jeder ihrer Mitbürger die genügende Vorbereitung besitze, und das Loos hat die Stadt vor vielem Unsegen der Wahlumtriebe und Parteikämpfe bewahrt; aber sie haben demselben niemals eine unbedingte Berechtigung eingeräumt. Das Amt der Heerführung, mit welchem ausgedehnte Vollmachten in Beziehung auf die aus¬ wärtigen Angelegenheiten und die öffentliche Sicherheit ver¬ bunden waren, so wie die oberste Finanzstelle sind immer den Männern des allgemeinen Vertrauens vorbehalten worden. Diese Aemter stiegen an Ansehen, so wie die Loosämter an Bedeutung verloren. Es bedurfte also nicht der Aufhebung des Looses, wie sie in Florenz erfolgte, um die Herrschaft der Mediceer zu befestigen, sondern Perikles regierte den Staat, ohne eine seiner Institutionen zu verletzen; er regierte ihn als der erwählte Mann des öffentlichen Vertrauens, als Berather der Bürgerschaft, als Oberfeldherr der Republik, als Aufseher ihrer Finanzen und endlich als Bevollmächtigter der Gemeinde zur Ausführung der öffentlichen Bauten. So vereinigte sich in der perikleischen Stadt das Gute der verschiedensten Staats¬ formen. Sie hatte den unverkennbaren Vorzug einer Demokratie, welche Alle zu gleicher Theilnahme am Staatswesen heran¬ zieht, jeden einzelnen Bürger für das Heil des Ganzen ver¬
Die Bedingungen eines glücklichen Staatslebens.
derung wurde, ſo weit ſie vernünftig iſt, durch Perikles ver¬ wirklicht.
Aber wie war denn ein ſolches Herrſchen möglich, inner¬ halb einer vollendeten Demokratie, deren Grundſatz es iſt, keine Autorität dem Volke gegenüber anzuerkennen, jede Macht durch Theilung zu beſchränken und auch die beſchränkte Macht nur auf kurze Friſt zu verleihen, um den Gegenſatz von Re¬ gierenden und Regierten möglichſt aufzuheben?
Freilich war das Staatsweſen der Athener darauf angelegt, daß ſoviel wie möglich alle Bürger abwechſelnd regieren und gehorchen ſollten, aber ſie haben niemals das Heil ihres Staats dem Unweſen einer unbedingten Maſſenherrſchaft preisgegeben. Sie haben ihre Beamten erlooſt, weil ſie glaubten, daß zu den laufenden Verwaltungsgeſchäften jeder ihrer Mitbürger die genügende Vorbereitung beſitze, und das Loos hat die Stadt vor vielem Unſegen der Wahlumtriebe und Parteikämpfe bewahrt; aber ſie haben demſelben niemals eine unbedingte Berechtigung eingeräumt. Das Amt der Heerführung, mit welchem ausgedehnte Vollmachten in Beziehung auf die aus¬ wärtigen Angelegenheiten und die öffentliche Sicherheit ver¬ bunden waren, ſo wie die oberſte Finanzſtelle ſind immer den Männern des allgemeinen Vertrauens vorbehalten worden. Dieſe Aemter ſtiegen an Anſehen, ſo wie die Loosämter an Bedeutung verloren. Es bedurfte alſo nicht der Aufhebung des Looſes, wie ſie in Florenz erfolgte, um die Herrſchaft der Mediceer zu befeſtigen, ſondern Perikles regierte den Staat, ohne eine ſeiner Inſtitutionen zu verletzen; er regierte ihn als der erwählte Mann des öffentlichen Vertrauens, als Berather der Bürgerſchaft, als Oberfeldherr der Republik, als Aufſeher ihrer Finanzen und endlich als Bevollmächtigter der Gemeinde zur Ausführung der öffentlichen Bauten. So vereinigte ſich in der perikleiſchen Stadt das Gute der verſchiedenſten Staats¬ formen. Sie hatte den unverkennbaren Vorzug einer Demokratie, welche Alle zu gleicher Theilnahme am Staatsweſen heran¬ zieht, jeden einzelnen Bürger für das Heil des Ganzen ver¬
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Die Bedingungen eines glücklichen Staatslebens.
derung wurde, ſo weit ſie vernünftig iſt, durch Perikles ver¬
wirklicht.
Aber wie war denn ein ſolches Herrſchen möglich, inner¬
halb einer vollendeten Demokratie, deren Grundſatz es iſt,
keine Autorität dem Volke gegenüber anzuerkennen, jede Macht
durch Theilung zu beſchränken und auch die beſchränkte Macht
nur auf kurze Friſt zu verleihen, um den Gegenſatz von Re¬
gierenden und Regierten möglichſt aufzuheben?
Freilich war das Staatsweſen der Athener darauf angelegt,
daß ſoviel wie möglich alle Bürger abwechſelnd regieren und
gehorchen ſollten, aber ſie haben niemals das Heil ihres Staats
dem Unweſen einer unbedingten Maſſenherrſchaft preisgegeben.
Sie haben ihre Beamten erlooſt, weil ſie glaubten, daß zu
den laufenden Verwaltungsgeſchäften jeder ihrer Mitbürger
die genügende Vorbereitung beſitze, und das Loos hat die
Stadt vor vielem Unſegen der Wahlumtriebe und Parteikämpfe
bewahrt; aber ſie haben demſelben niemals eine unbedingte
Berechtigung eingeräumt. Das Amt der Heerführung, mit
welchem ausgedehnte Vollmachten in Beziehung auf die aus¬
wärtigen Angelegenheiten und die öffentliche Sicherheit ver¬
bunden waren, ſo wie die oberſte Finanzſtelle ſind immer den
Männern des allgemeinen Vertrauens vorbehalten worden.
Dieſe Aemter ſtiegen an Anſehen, ſo wie die Loosämter an
Bedeutung verloren. Es bedurfte alſo nicht der Aufhebung
des Looſes, wie ſie in Florenz erfolgte, um die Herrſchaft
der Mediceer zu befeſtigen, ſondern Perikles regierte den Staat,
ohne eine ſeiner Inſtitutionen zu verletzen; er regierte ihn als
der erwählte Mann des öffentlichen Vertrauens, als Berather
der Bürgerſchaft, als Oberfeldherr der Republik, als Aufſeher
ihrer Finanzen und endlich als Bevollmächtigter der Gemeinde
zur Ausführung der öffentlichen Bauten. So vereinigte ſich
in der perikleiſchen Stadt das Gute der verſchiedenſten Staats¬
formen. Sie hatte den unverkennbaren Vorzug einer Demokratie,
welche Alle zu gleicher Theilnahme am Staatsweſen heran¬
zieht, jeden einzelnen Bürger für das Heil des Ganzen ver¬
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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 313. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/329>, abgerufen am 23.11.2024.
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