Methode zusammen fällt, wo nicht bloß der rechnende Ver¬ stand, die messende und wägende Prüfung, die scharfe Beob¬ achtung in Anspruch genommen werden, sondern alle Kräfte des Geistes und Gemüths, wo wir das Ergebniß der For¬ schung, wenn es zum Ausdruck kommen soll, uns persönlich aneignen und mit unserm Urtheilen und Empfinden durch¬ dringen müssen. Hier ist ein unbedingt Gültiges nicht in gleichem Grade zu erreichen und die Wahrheit erscheint uns nur in dem bunten Prisma menschlicher Individualiät.
Je lebhafter nun der Eifer der Forschung ist, um so ent¬ schiedener sehen wir den Einen gegen den Andern in die Schranken treten, und anstatt sich zu freuen an der Mannig¬ faltigkeit der Gaben und an der Verschiedenheit der Stand¬ punkte, von denen die Gegenstände angesehen werden, sind so Viele bereit, mit herbem Widerspruche alles von ihrer Auf¬ fassung Abweichende zu verneinen und rücksichtslos den Stab zu brechen über das, was ihrer Richtung widerspricht.
Solches Verfahren zerreißt die Gemeinsamkeit, die wir als unser bestes Gut ansehen sollten. Denn das Gedeihen der Wissenschaft und die Ehre des Gelehrtenstandes beruht darauf, daß Alle, welche ernsthaft die Wahrheit suchen, nach gegenseitiger Verständigung streben, und daß wir uns unaus¬ gesetzt einander neidlos fördern, ergänzen und berathen. Das ist der Gruß und Gegengruß auf dem Gebiete der Wissenschaft, die brüderliche Genossenschaft, die wechselseitige Handreichung bei dem gemeinsamen Tagewerke.
Das Gefühl der Gemeinsamkeit neu zu beleben, ist die rechte Bedeutung eines Tages wie des heutigen; dies Gefühl ist das Feierkleid, in welchem wir vor unserem Könige er¬ scheinen und Ihm den gemeinsamen Festgruß darbringen.
Mit Stolz und Freude empfinden wir heute, wie ver¬ schieden Sein Thron ist von jenen Fürstensitzen des Morgen¬ landes, welchen ein freier Athener sich nicht glaubte nähern zu dürfen. Der preußische Thron ist um so fester gegründet, je ferner ihm jeder falsche Cultus, jede entehrende Selbsterniedri¬ gung geblieben ist, je mehr die für Griechen und Römer un¬
Der Gruß.
Methode zuſammen fällt, wo nicht bloß der rechnende Ver¬ ſtand, die meſſende und wägende Prüfung, die ſcharfe Beob¬ achtung in Anſpruch genommen werden, ſondern alle Kräfte des Geiſtes und Gemüths, wo wir das Ergebniß der For¬ ſchung, wenn es zum Ausdruck kommen ſoll, uns perſönlich aneignen und mit unſerm Urtheilen und Empfinden durch¬ dringen müſſen. Hier iſt ein unbedingt Gültiges nicht in gleichem Grade zu erreichen und die Wahrheit erſcheint uns nur in dem bunten Prisma menſchlicher Individualiät.
Je lebhafter nun der Eifer der Forſchung iſt, um ſo ent¬ ſchiedener ſehen wir den Einen gegen den Andern in die Schranken treten, und anſtatt ſich zu freuen an der Mannig¬ faltigkeit der Gaben und an der Verſchiedenheit der Stand¬ punkte, von denen die Gegenſtände angeſehen werden, ſind ſo Viele bereit, mit herbem Widerſpruche alles von ihrer Auf¬ faſſung Abweichende zu verneinen und rückſichtslos den Stab zu brechen über das, was ihrer Richtung widerſpricht.
Solches Verfahren zerreißt die Gemeinſamkeit, die wir als unſer beſtes Gut anſehen ſollten. Denn das Gedeihen der Wiſſenſchaft und die Ehre des Gelehrtenſtandes beruht darauf, daß Alle, welche ernſthaft die Wahrheit ſuchen, nach gegenſeitiger Verſtändigung ſtreben, und daß wir uns unaus¬ geſetzt einander neidlos fördern, ergänzen und berathen. Das iſt der Gruß und Gegengruß auf dem Gebiete der Wiſſenſchaft, die brüderliche Genoſſenſchaft, die wechſelſeitige Handreichung bei dem gemeinſamen Tagewerke.
Das Gefühl der Gemeinſamkeit neu zu beleben, iſt die rechte Bedeutung eines Tages wie des heutigen; dies Gefühl iſt das Feierkleid, in welchem wir vor unſerem Könige er¬ ſcheinen und Ihm den gemeinſamen Feſtgruß darbringen.
Mit Stolz und Freude empfinden wir heute, wie ver¬ ſchieden Sein Thron iſt von jenen Fürſtenſitzen des Morgen¬ landes, welchen ein freier Athener ſich nicht glaubte nähern zu dürfen. Der preußiſche Thron iſt um ſo feſter gegründet, je ferner ihm jeder falſche Cultus, jede entehrende Selbſterniedri¬ gung geblieben iſt, je mehr die für Griechen und Römer un¬
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Der Gruß.
Methode zuſammen fällt, wo nicht bloß der rechnende Ver¬
ſtand, die meſſende und wägende Prüfung, die ſcharfe Beob¬
achtung in Anſpruch genommen werden, ſondern alle Kräfte
des Geiſtes und Gemüths, wo wir das Ergebniß der For¬
ſchung, wenn es zum Ausdruck kommen ſoll, uns perſönlich
aneignen und mit unſerm Urtheilen und Empfinden durch¬
dringen müſſen. Hier iſt ein unbedingt Gültiges nicht in
gleichem Grade zu erreichen und die Wahrheit erſcheint uns
nur in dem bunten Prisma menſchlicher Individualiät.
Je lebhafter nun der Eifer der Forſchung iſt, um ſo ent¬
ſchiedener ſehen wir den Einen gegen den Andern in die
Schranken treten, und anſtatt ſich zu freuen an der Mannig¬
faltigkeit der Gaben und an der Verſchiedenheit der Stand¬
punkte, von denen die Gegenſtände angeſehen werden, ſind ſo
Viele bereit, mit herbem Widerſpruche alles von ihrer Auf¬
faſſung Abweichende zu verneinen und rückſichtslos den Stab
zu brechen über das, was ihrer Richtung widerſpricht.
Solches Verfahren zerreißt die Gemeinſamkeit, die wir
als unſer beſtes Gut anſehen ſollten. Denn das Gedeihen
der Wiſſenſchaft und die Ehre des Gelehrtenſtandes beruht
darauf, daß Alle, welche ernſthaft die Wahrheit ſuchen, nach
gegenſeitiger Verſtändigung ſtreben, und daß wir uns unaus¬
geſetzt einander neidlos fördern, ergänzen und berathen. Das
iſt der Gruß und Gegengruß auf dem Gebiete der Wiſſenſchaft,
die brüderliche Genoſſenſchaft, die wechſelſeitige Handreichung
bei dem gemeinſamen Tagewerke.
Das Gefühl der Gemeinſamkeit neu zu beleben, iſt die
rechte Bedeutung eines Tages wie des heutigen; dies Gefühl
iſt das Feierkleid, in welchem wir vor unſerem Könige er¬
ſcheinen und Ihm den gemeinſamen Feſtgruß darbringen.
Mit Stolz und Freude empfinden wir heute, wie ver¬
ſchieden Sein Thron iſt von jenen Fürſtenſitzen des Morgen¬
landes, welchen ein freier Athener ſich nicht glaubte nähern zu
dürfen. Der preußiſche Thron iſt um ſo feſter gegründet, je
ferner ihm jeder falſche Cultus, jede entehrende Selbſterniedri¬
gung geblieben iſt, je mehr die für Griechen und Römer un¬
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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/265>, abgerufen am 18.06.2024.
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