um sich bei ihrer mühevollen, gefährlichen und vereinsamenden Arbeit durch das Gefühl treuer Genossenschaft zu stärken.
Ein solches Symbol haben wir nicht, die wir in diesen Räumen zusammen wirken, schon deshalb nicht, weil wir uns um keinen Preis nach Art eines Ordens von der großen Lebensgemeinschaft unseres Volks absondern möchten.
Das Bedürfniß fester Gemeinschaft kann aber nirgends lebendiger sein als bei uns, sowohl was die Forschung betrifft als auch die Lehre, und bei einem Berufe, der auf lauter per¬ sönlichen Beziehungen beruht und auf einem stetigen Geben und Empfangen, da ist der Geist der Offenheit, der Herzlichkeit und des gegenseitigen Vertrauens, wie er in Gruß und Gegen¬ gruß sich offenbart, ein besonders unentbehrlicher; es ist der gute Hausgeist, welcher in diesen Räumen waltet.
Wir haben das Glück, mitten in der vollen Bewegung der Gegenwart und doch abseiten vom lauten Markte der Welt un¬ serem Berufe leben zu können, und was die anderen Menschen, wenn sie bei ihrem Jagen nach Besitz und Ehre sich einander im Wege stehen, zu entzweien geeignet ist, hat für unsere Ge¬ meinschaft keine Gefahr.
Die Erkenntniß ist ein Gut, das nicht bestimmt ist, Sonder¬ besitz zu sein, ein gemeinsames Gut wie das Licht, an dem die Menschen sich freuen, ohne daß Einer dem Andern im Wege steht -- und doch ist das Feld der Wissenschaft ein Feld des Streits, und zwar nicht nur jenes edlen Streits, in welchem die Kräfte wachsen und die Wahrheit zu Tage ge¬ fördert wird, sondern auch des unedlen Streits, in welchem der Geist verläugnet wird, welchen wir als den einer friedlichen Genossenschaft pflegen sollen.
Das zeigt sich besonders auf dem Gebiete, wo nicht nach mathematischer Methode von einer Stufe der Erkenntniß zur anderen fortgeschritten werden kann, sondern wo es sich um philosophische oder historische Erkenntniß handelt, um Gegen¬ stände, welche mit den Tagesfragen in Verbindung stehen, um Ueberzeugungen, welche jedem Denkenden wichtig sind, um Forschungen, wo die Wahrheit nicht mit der Richtigkeit der
Der Gruß.
um ſich bei ihrer mühevollen, gefährlichen und vereinſamenden Arbeit durch das Gefühl treuer Genoſſenſchaft zu ſtärken.
Ein ſolches Symbol haben wir nicht, die wir in dieſen Räumen zuſammen wirken, ſchon deshalb nicht, weil wir uns um keinen Preis nach Art eines Ordens von der großen Lebensgemeinſchaft unſeres Volks abſondern möchten.
Das Bedürfniß feſter Gemeinſchaft kann aber nirgends lebendiger ſein als bei uns, ſowohl was die Forſchung betrifft als auch die Lehre, und bei einem Berufe, der auf lauter per¬ ſönlichen Beziehungen beruht und auf einem ſtetigen Geben und Empfangen, da iſt der Geiſt der Offenheit, der Herzlichkeit und des gegenſeitigen Vertrauens, wie er in Gruß und Gegen¬ gruß ſich offenbart, ein beſonders unentbehrlicher; es iſt der gute Hausgeiſt, welcher in dieſen Räumen waltet.
Wir haben das Glück, mitten in der vollen Bewegung der Gegenwart und doch abſeiten vom lauten Markte der Welt un¬ ſerem Berufe leben zu können, und was die anderen Menſchen, wenn ſie bei ihrem Jagen nach Beſitz und Ehre ſich einander im Wege ſtehen, zu entzweien geeignet iſt, hat für unſere Ge¬ meinſchaft keine Gefahr.
Die Erkenntniß iſt ein Gut, das nicht beſtimmt iſt, Sonder¬ beſitz zu ſein, ein gemeinſames Gut wie das Licht, an dem die Menſchen ſich freuen, ohne daß Einer dem Andern im Wege ſteht — und doch iſt das Feld der Wiſſenſchaft ein Feld des Streits, und zwar nicht nur jenes edlen Streits, in welchem die Kräfte wachſen und die Wahrheit zu Tage ge¬ fördert wird, ſondern auch des unedlen Streits, in welchem der Geiſt verläugnet wird, welchen wir als den einer friedlichen Genoſſenſchaft pflegen ſollen.
Das zeigt ſich beſonders auf dem Gebiete, wo nicht nach mathematiſcher Methode von einer Stufe der Erkenntniß zur anderen fortgeſchritten werden kann, ſondern wo es ſich um philoſophiſche oder hiſtoriſche Erkenntniß handelt, um Gegen¬ ſtände, welche mit den Tagesfragen in Verbindung ſtehen, um Ueberzeugungen, welche jedem Denkenden wichtig ſind, um Forſchungen, wo die Wahrheit nicht mit der Richtigkeit der
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Der Gruß.
um ſich bei ihrer mühevollen, gefährlichen und vereinſamenden
Arbeit durch das Gefühl treuer Genoſſenſchaft zu ſtärken.
Ein ſolches Symbol haben wir nicht, die wir in dieſen
Räumen zuſammen wirken, ſchon deshalb nicht, weil wir uns
um keinen Preis nach Art eines Ordens von der großen
Lebensgemeinſchaft unſeres Volks abſondern möchten.
Das Bedürfniß feſter Gemeinſchaft kann aber nirgends
lebendiger ſein als bei uns, ſowohl was die Forſchung betrifft
als auch die Lehre, und bei einem Berufe, der auf lauter per¬
ſönlichen Beziehungen beruht und auf einem ſtetigen Geben und
Empfangen, da iſt der Geiſt der Offenheit, der Herzlichkeit
und des gegenſeitigen Vertrauens, wie er in Gruß und Gegen¬
gruß ſich offenbart, ein beſonders unentbehrlicher; es iſt der
gute Hausgeiſt, welcher in dieſen Räumen waltet.
Wir haben das Glück, mitten in der vollen Bewegung der
Gegenwart und doch abſeiten vom lauten Markte der Welt un¬
ſerem Berufe leben zu können, und was die anderen Menſchen,
wenn ſie bei ihrem Jagen nach Beſitz und Ehre ſich einander
im Wege ſtehen, zu entzweien geeignet iſt, hat für unſere Ge¬
meinſchaft keine Gefahr.
Die Erkenntniß iſt ein Gut, das nicht beſtimmt iſt, Sonder¬
beſitz zu ſein, ein gemeinſames Gut wie das Licht, an dem
die Menſchen ſich freuen, ohne daß Einer dem Andern im
Wege ſteht — und doch iſt das Feld der Wiſſenſchaft ein Feld
des Streits, und zwar nicht nur jenes edlen Streits, in
welchem die Kräfte wachſen und die Wahrheit zu Tage ge¬
fördert wird, ſondern auch des unedlen Streits, in welchem
der Geiſt verläugnet wird, welchen wir als den einer friedlichen
Genoſſenſchaft pflegen ſollen.
Das zeigt ſich beſonders auf dem Gebiete, wo nicht nach
mathematiſcher Methode von einer Stufe der Erkenntniß zur
anderen fortgeſchritten werden kann, ſondern wo es ſich um
philoſophiſche oder hiſtoriſche Erkenntniß handelt, um Gegen¬
ſtände, welche mit den Tagesfragen in Verbindung ſtehen, um
Ueberzeugungen, welche jedem Denkenden wichtig ſind, um
Forſchungen, wo die Wahrheit nicht mit der Richtigkeit der
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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/264>, abgerufen am 22.07.2024.
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