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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.

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Der Gruß.

Es ist die freundliche Begrüßung eine Blüthe des mensch¬
lichen Lebens, welche nirgends fehlt, wo es sich gesund und
frei entfaltet. Es ist ein Zeugniß der geistigen Mächte, welche
im Menschenleben wirksam sind, daß wir mit einem einfachen
Gruße, der aus dem Herzen kommt, so viel geben und so
viel empfangen können. Dieses Geben und Empfangen ist
ein Bedürfniß jedes nicht in Selbstsucht erstarrten Menschen;
es ist das geistige Athmen, ohne welches wir uns keine
Menschenbrust und keine menschliche Gemeinschaft in gesundem
Zustande denken können. Wir müßten es als die beklagens¬
wertheste Verarmung ansehen, wenn Einer von dieser Wechsel¬
wirkung ausgeschlossen wäre, wie wir ein Haus beklagen
müßten, in dem die Grüße ausgestorben wären. Ein finsterer
Geist müßte daselbst Wohnung gemacht haben, ein von den
Sorgen um das eigene, enge Wesen ganz belasteter Sinn.

Je freier und froher das Herz ist, um so mehr strebt es
hinaus, mit Andern in Beziehung, in lebendige Fühlung zu
treten.

Wer am frischen Morgen durch das Gefilde geht, kann
nicht stumm an dem vorübergehen, der desselben Weges kommt.
Man fühlt sich auch dem Unbekannten nahe und geleitet ihn
an sein Tagewerk mit freundlichem Zuspruch.

Die Nähe der Stadt spürt man an den verstummenden
Grüßen. Die Menschen werden einander gleichgültig, die
Massen rennen wie die Ameisenzüge in stummer Geschäftigkeit
an einander vorüber, und nur die engsten Beziehungen werden
im Gruße ausgesprochen, entweder die vorübergehenden, die
den Tagesgeschäften angehören, oder die dauernden, welche
in einem gemeinsamen Berufe wurzeln und innerhalb des
wogenden Menschentreibens engere Kreise bilden.

Hier erhält der Gruß eine besondere Bedeutung.

Wir haben schon an den Gemeinden der alten Philosophen
gesehen, wie sie zum Ausdrucke ihrer engeren Gemeinschaft
eigene Grüße eingeführt haben, welche als Erkennungszeichen
dienen sollten. Auch bei Genossen praktischer Berufsthätigkeit
giebt es solche Grüße, welche die Begegnenden einander zurufen,

Der Gruß.

Es iſt die freundliche Begrüßung eine Blüthe des menſch¬
lichen Lebens, welche nirgends fehlt, wo es ſich geſund und
frei entfaltet. Es iſt ein Zeugniß der geiſtigen Mächte, welche
im Menſchenleben wirkſam ſind, daß wir mit einem einfachen
Gruße, der aus dem Herzen kommt, ſo viel geben und ſo
viel empfangen können. Dieſes Geben und Empfangen iſt
ein Bedürfniß jedes nicht in Selbſtſucht erſtarrten Menſchen;
es iſt das geiſtige Athmen, ohne welches wir uns keine
Menſchenbruſt und keine menſchliche Gemeinſchaft in geſundem
Zuſtande denken können. Wir müßten es als die beklagens¬
wertheſte Verarmung anſehen, wenn Einer von dieſer Wechſel¬
wirkung ausgeſchloſſen wäre, wie wir ein Haus beklagen
müßten, in dem die Grüße ausgeſtorben wären. Ein finſterer
Geiſt müßte daſelbſt Wohnung gemacht haben, ein von den
Sorgen um das eigene, enge Weſen ganz belaſteter Sinn.

Je freier und froher das Herz iſt, um ſo mehr ſtrebt es
hinaus, mit Andern in Beziehung, in lebendige Fühlung zu
treten.

Wer am friſchen Morgen durch das Gefilde geht, kann
nicht ſtumm an dem vorübergehen, der deſſelben Weges kommt.
Man fühlt ſich auch dem Unbekannten nahe und geleitet ihn
an ſein Tagewerk mit freundlichem Zuſpruch.

Die Nähe der Stadt ſpürt man an den verſtummenden
Grüßen. Die Menſchen werden einander gleichgültig, die
Maſſen rennen wie die Ameiſenzüge in ſtummer Geſchäftigkeit
an einander vorüber, und nur die engſten Beziehungen werden
im Gruße ausgeſprochen, entweder die vorübergehenden, die
den Tagesgeſchäften angehören, oder die dauernden, welche
in einem gemeinſamen Berufe wurzeln und innerhalb des
wogenden Menſchentreibens engere Kreiſe bilden.

Hier erhält der Gruß eine beſondere Bedeutung.

Wir haben ſchon an den Gemeinden der alten Philoſophen
geſehen, wie ſie zum Ausdrucke ihrer engeren Gemeinſchaft
eigene Grüße eingeführt haben, welche als Erkennungszeichen
dienen ſollten. Auch bei Genoſſen praktiſcher Berufsthätigkeit
giebt es ſolche Grüße, welche die Begegnenden einander zurufen,

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[247/0263] Der Gruß. Es iſt die freundliche Begrüßung eine Blüthe des menſch¬ lichen Lebens, welche nirgends fehlt, wo es ſich geſund und frei entfaltet. Es iſt ein Zeugniß der geiſtigen Mächte, welche im Menſchenleben wirkſam ſind, daß wir mit einem einfachen Gruße, der aus dem Herzen kommt, ſo viel geben und ſo viel empfangen können. Dieſes Geben und Empfangen iſt ein Bedürfniß jedes nicht in Selbſtſucht erſtarrten Menſchen; es iſt das geiſtige Athmen, ohne welches wir uns keine Menſchenbruſt und keine menſchliche Gemeinſchaft in geſundem Zuſtande denken können. Wir müßten es als die beklagens¬ wertheſte Verarmung anſehen, wenn Einer von dieſer Wechſel¬ wirkung ausgeſchloſſen wäre, wie wir ein Haus beklagen müßten, in dem die Grüße ausgeſtorben wären. Ein finſterer Geiſt müßte daſelbſt Wohnung gemacht haben, ein von den Sorgen um das eigene, enge Weſen ganz belaſteter Sinn. Je freier und froher das Herz iſt, um ſo mehr ſtrebt es hinaus, mit Andern in Beziehung, in lebendige Fühlung zu treten. Wer am friſchen Morgen durch das Gefilde geht, kann nicht ſtumm an dem vorübergehen, der deſſelben Weges kommt. Man fühlt ſich auch dem Unbekannten nahe und geleitet ihn an ſein Tagewerk mit freundlichem Zuſpruch. Die Nähe der Stadt ſpürt man an den verſtummenden Grüßen. Die Menſchen werden einander gleichgültig, die Maſſen rennen wie die Ameiſenzüge in ſtummer Geſchäftigkeit an einander vorüber, und nur die engſten Beziehungen werden im Gruße ausgeſprochen, entweder die vorübergehenden, die den Tagesgeſchäften angehören, oder die dauernden, welche in einem gemeinſamen Berufe wurzeln und innerhalb des wogenden Menſchentreibens engere Kreiſe bilden. Hier erhält der Gruß eine beſondere Bedeutung. Wir haben ſchon an den Gemeinden der alten Philoſophen geſehen, wie ſie zum Ausdrucke ihrer engeren Gemeinſchaft eigene Grüße eingeführt haben, welche als Erkennungszeichen dienen ſollten. Auch bei Genoſſen praktiſcher Berufsthätigkeit giebt es ſolche Grüße, welche die Begegnenden einander zurufen,

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Zitationshilfe: Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/263>, abgerufen am 23.11.2024.