So gönne mir die seltne Freude, Tasso, Dir ohne Wort zu sagen, wie ich denke!
Es giebt endlich Momente der Begrüßung, die von so ergreifender Bedeutung sind, daß jedes Wort auf der Lippe erstirbt, weil es zu armselig erscheint. So bei jedem unver¬ hofften, langentbehrten Wiedersehen, bei jedem Abschiede, der uns das Herz bricht. Oder denken Sie Sich eine jener Scenen, welche uns neuerdings durch Bilder mehrfach vergegenwärtigt sind, denken Sie Sich unsern König, wie Er das Lazareth durch¬ wandernd, zu einem Schwerverwundeten an das Lager tritt und ihm die Hand reicht, um ihm im Namen des Vaterlandes den letzten Dank darzubringen. Ist in dem feuchten Blick, in dem Druck der Hand nicht Alles gesagt, was in einen solchen Gruß gelegt werden kann? Ist das tief schmerzliche Verstum¬ men nicht beredter als jede Ansprache?
Alles Tiefste, was eine Menschenseele fassen kann, ist seiner Natur nach unaussprechlich. Jedes Gebet ist ein Gruß, der nicht in Worte aufgeht; alle Religion wurzelt in der Ueberzeugung, daß zwischen dem Sichtbaren und Unsichtbaren, wo keine Worte mehr gewechselt werden, wirksame Lebens¬ beziehungen stattfinden, auf dem Glauben, daß, wie der Volks¬ mund es ausspricht, auch Gott die Menschen grüßt.
Gewiß sind auch die deutschen Grüße in vollem Maße charakteristisch. Es spiegelt sich in ihnen die reiche Mannig¬ faltigkeit des nationalen Lebens nach Stämmen und Gauen, nach Religion und Sitte, so daß es unmöglich ist, in Kürze davon zu reden. Es bezeugt sich in ihnen das tiefe Gemüths¬ leben unseres Volks, aber auch seine Neigung zur Zersplitte¬ rung und, unsere alte Schwäche, die Unselbständigkeit dem Auslande gegenüber. Denn nur daraus erklärt es sich, daß in der täglichen Begrüßung, welche doch vor Allem ein na¬ tionales Gepräge zu haben pflegt, ausländische Formeln sich so fest haben setzen können, daß sie im Volksmunde wieder umgemodelt worden sind, damit sie auf diese Weise einen wär¬ meren Ton und volksthümlicheren Klang erhalten sollten.
Der Gruß.
So gönne mir die ſeltne Freude, Taſſo, Dir ohne Wort zu ſagen, wie ich denke!
Es giebt endlich Momente der Begrüßung, die von ſo ergreifender Bedeutung ſind, daß jedes Wort auf der Lippe erſtirbt, weil es zu armſelig erſcheint. So bei jedem unver¬ hofften, langentbehrten Wiederſehen, bei jedem Abſchiede, der uns das Herz bricht. Oder denken Sie Sich eine jener Scenen, welche uns neuerdings durch Bilder mehrfach vergegenwärtigt ſind, denken Sie Sich unſern König, wie Er das Lazareth durch¬ wandernd, zu einem Schwerverwundeten an das Lager tritt und ihm die Hand reicht, um ihm im Namen des Vaterlandes den letzten Dank darzubringen. Iſt in dem feuchten Blick, in dem Druck der Hand nicht Alles geſagt, was in einen ſolchen Gruß gelegt werden kann? Iſt das tief ſchmerzliche Verſtum¬ men nicht beredter als jede Anſprache?
Alles Tiefſte, was eine Menſchenſeele faſſen kann, iſt ſeiner Natur nach unausſprechlich. Jedes Gebet iſt ein Gruß, der nicht in Worte aufgeht; alle Religion wurzelt in der Ueberzeugung, daß zwiſchen dem Sichtbaren und Unſichtbaren, wo keine Worte mehr gewechſelt werden, wirkſame Lebens¬ beziehungen ſtattfinden, auf dem Glauben, daß, wie der Volks¬ mund es ausſpricht, auch Gott die Menſchen grüßt.
Gewiß ſind auch die deutſchen Grüße in vollem Maße charakteriſtiſch. Es ſpiegelt ſich in ihnen die reiche Mannig¬ faltigkeit des nationalen Lebens nach Stämmen und Gauen, nach Religion und Sitte, ſo daß es unmöglich iſt, in Kürze davon zu reden. Es bezeugt ſich in ihnen das tiefe Gemüths¬ leben unſeres Volks, aber auch ſeine Neigung zur Zerſplitte¬ rung und, unſere alte Schwäche, die Unſelbſtändigkeit dem Auslande gegenüber. Denn nur daraus erklärt es ſich, daß in der täglichen Begrüßung, welche doch vor Allem ein na¬ tionales Gepräge zu haben pflegt, ausländiſche Formeln ſich ſo feſt haben ſetzen können, daß ſie im Volksmunde wieder umgemodelt worden ſind, damit ſie auf dieſe Weiſe einen wär¬ meren Ton und volksthümlicheren Klang erhalten ſollten.
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0262"n="246"/><fwplace="top"type="header">Der Gruß.<lb/></fw><lgtype="poem"><l>So gönne mir die ſeltne Freude, Taſſo,</l><lb/><l>Dir ohne Wort zu ſagen, wie ich denke!</l><lb/></lg><p>Es giebt endlich Momente der Begrüßung, die von ſo<lb/>
ergreifender Bedeutung ſind, daß jedes Wort auf der Lippe<lb/>
erſtirbt, weil es zu armſelig erſcheint. So bei jedem unver¬<lb/>
hofften, langentbehrten Wiederſehen, bei jedem Abſchiede, der<lb/>
uns das Herz bricht. Oder denken Sie Sich eine jener Scenen,<lb/>
welche uns neuerdings durch Bilder mehrfach vergegenwärtigt<lb/>ſind, denken Sie Sich unſern König, wie Er das Lazareth durch¬<lb/>
wandernd, zu einem Schwerverwundeten an das Lager tritt<lb/>
und ihm die Hand reicht, um ihm im Namen des Vaterlandes<lb/>
den letzten Dank darzubringen. Iſt in dem feuchten Blick, in<lb/>
dem Druck der Hand nicht Alles geſagt, was in einen ſolchen<lb/>
Gruß gelegt werden kann? Iſt das tief ſchmerzliche Verſtum¬<lb/>
men nicht beredter als jede Anſprache?</p><lb/><p>Alles Tiefſte, was eine Menſchenſeele faſſen kann, iſt<lb/>ſeiner Natur nach unausſprechlich. Jedes Gebet iſt ein Gruß,<lb/>
der nicht in Worte aufgeht; alle Religion wurzelt in der<lb/>
Ueberzeugung, daß zwiſchen dem Sichtbaren und Unſichtbaren,<lb/>
wo keine Worte mehr gewechſelt werden, wirkſame Lebens¬<lb/>
beziehungen ſtattfinden, auf dem Glauben, daß, wie der Volks¬<lb/>
mund es ausſpricht, auch Gott die Menſchen grüßt.</p><lb/><p>Gewiß ſind auch die deutſchen Grüße in vollem Maße<lb/>
charakteriſtiſch. Es ſpiegelt ſich in ihnen die reiche Mannig¬<lb/>
faltigkeit des nationalen Lebens nach Stämmen und Gauen,<lb/>
nach Religion und Sitte, ſo daß es unmöglich iſt, in Kürze<lb/>
davon zu reden. Es bezeugt ſich in ihnen das tiefe Gemüths¬<lb/>
leben unſeres Volks, aber auch ſeine Neigung zur Zerſplitte¬<lb/>
rung und, unſere alte Schwäche, die Unſelbſtändigkeit dem<lb/>
Auslande gegenüber. Denn nur daraus erklärt es ſich, daß<lb/>
in der täglichen Begrüßung, welche doch vor Allem ein na¬<lb/>
tionales Gepräge zu haben pflegt, ausländiſche Formeln ſich<lb/>ſo feſt haben ſetzen können, daß ſie im Volksmunde wieder<lb/>
umgemodelt worden ſind, damit ſie auf dieſe Weiſe einen wär¬<lb/>
meren Ton und volksthümlicheren Klang erhalten ſollten.<lb/></p></div></body></text></TEI>
[246/0262]
Der Gruß.
So gönne mir die ſeltne Freude, Taſſo,
Dir ohne Wort zu ſagen, wie ich denke!
Es giebt endlich Momente der Begrüßung, die von ſo
ergreifender Bedeutung ſind, daß jedes Wort auf der Lippe
erſtirbt, weil es zu armſelig erſcheint. So bei jedem unver¬
hofften, langentbehrten Wiederſehen, bei jedem Abſchiede, der
uns das Herz bricht. Oder denken Sie Sich eine jener Scenen,
welche uns neuerdings durch Bilder mehrfach vergegenwärtigt
ſind, denken Sie Sich unſern König, wie Er das Lazareth durch¬
wandernd, zu einem Schwerverwundeten an das Lager tritt
und ihm die Hand reicht, um ihm im Namen des Vaterlandes
den letzten Dank darzubringen. Iſt in dem feuchten Blick, in
dem Druck der Hand nicht Alles geſagt, was in einen ſolchen
Gruß gelegt werden kann? Iſt das tief ſchmerzliche Verſtum¬
men nicht beredter als jede Anſprache?
Alles Tiefſte, was eine Menſchenſeele faſſen kann, iſt
ſeiner Natur nach unausſprechlich. Jedes Gebet iſt ein Gruß,
der nicht in Worte aufgeht; alle Religion wurzelt in der
Ueberzeugung, daß zwiſchen dem Sichtbaren und Unſichtbaren,
wo keine Worte mehr gewechſelt werden, wirkſame Lebens¬
beziehungen ſtattfinden, auf dem Glauben, daß, wie der Volks¬
mund es ausſpricht, auch Gott die Menſchen grüßt.
Gewiß ſind auch die deutſchen Grüße in vollem Maße
charakteriſtiſch. Es ſpiegelt ſich in ihnen die reiche Mannig¬
faltigkeit des nationalen Lebens nach Stämmen und Gauen,
nach Religion und Sitte, ſo daß es unmöglich iſt, in Kürze
davon zu reden. Es bezeugt ſich in ihnen das tiefe Gemüths¬
leben unſeres Volks, aber auch ſeine Neigung zur Zerſplitte¬
rung und, unſere alte Schwäche, die Unſelbſtändigkeit dem
Auslande gegenüber. Denn nur daraus erklärt es ſich, daß
in der täglichen Begrüßung, welche doch vor Allem ein na¬
tionales Gepräge zu haben pflegt, ausländiſche Formeln ſich
ſo feſt haben ſetzen können, daß ſie im Volksmunde wieder
umgemodelt worden ſind, damit ſie auf dieſe Weiſe einen wär¬
meren Ton und volksthümlicheren Klang erhalten ſollten.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/262>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.