Reiz und Anmuth verleiht, sind die Beziehungen zu anderen Menschen, die anregenden und belebenden Wechselwirkungen, in denen wir stehen. Jede wohlthuende Anregung unseres Gemüths empfinden wir wohl wie einen Gruß und nennen sie so, auch wenn kein Grüßender da ist.
So erscheint es uns wie ein Gruß aus dem Vaterlande, wenn auf weiter Meeresöde die heimische Flagge am Horizonte auftaucht oder in fremder Seestadt plötzlich ein Lied der Hei¬ math unser Ohr berührt. Das sind Symbole einer geistigen Gemeinschaft, es sind geistige Berührungen, welche auf einmal ganze Reihen von Empfindungen wach rufen.
Alle wahren Grüße sind Gedanken der Liebe. Für das materielle Leben werthlos, keimen sie absichtslos aus der Tiefe des erregten Gemüths und geben Zeugniß von dem Schatze treuer Zuneigung, welchen wir als unsern eigensten und edelsten Besitz ansehen dürfen; sie vergegenwärtigen uns den unsichtbaren Kreis derer, mit denen wir einmal in eine wahre Lebensgemeinschaft eingetreten sind.
Mit jedem Gruße wird die Schranke der Selbstsucht, welche sich immer so leicht wieder um das Menschenherz schließt, durchbrochen; jeder wahre Gruß wird wie jedes gute Wort unmittelbar aus einer freien Bewegung des Innern geboren.
Die Bewegung ist aber nicht an das Wort gebunden. Grüße ohne Worte sind oft die wirksamsten und innerlichsten. Das Auge des Menschen ist ehrlicher als die Lippe und ein offener Blick, ein Druck der Hand täuscht uns seltener als freundliche Rede.
Mitten im Gedränge des Lebens kann die Freundeshand, welche wir in der unsrigen fühlen, uns von der Nähe eines zuverlässigen Beistandes lebendig überzeugen und uns mit neuem Muthe beseelen. Es giebt Momente, wo man das ausführende Wort scheu vermeidet, aus Furcht das Zartgefühl zu verletzen, wenn man gerne eine warme Zustimmung be¬ zeugen möchte. Da ist eine symbolische Handlung, ein stummes Zeichen willkommen, wie der Kranz, von dem Goethe die edle Fürstin sagen läßt:
Der Gruß.
Reiz und Anmuth verleiht, ſind die Beziehungen zu anderen Menſchen, die anregenden und belebenden Wechſelwirkungen, in denen wir ſtehen. Jede wohlthuende Anregung unſeres Gemüths empfinden wir wohl wie einen Gruß und nennen ſie ſo, auch wenn kein Grüßender da iſt.
So erſcheint es uns wie ein Gruß aus dem Vaterlande, wenn auf weiter Meeresöde die heimiſche Flagge am Horizonte auftaucht oder in fremder Seeſtadt plötzlich ein Lied der Hei¬ math unſer Ohr berührt. Das ſind Symbole einer geiſtigen Gemeinſchaft, es ſind geiſtige Berührungen, welche auf einmal ganze Reihen von Empfindungen wach rufen.
Alle wahren Grüße ſind Gedanken der Liebe. Für das materielle Leben werthlos, keimen ſie abſichtslos aus der Tiefe des erregten Gemüths und geben Zeugniß von dem Schatze treuer Zuneigung, welchen wir als unſern eigenſten und edelſten Beſitz anſehen dürfen; ſie vergegenwärtigen uns den unſichtbaren Kreis derer, mit denen wir einmal in eine wahre Lebensgemeinſchaft eingetreten ſind.
Mit jedem Gruße wird die Schranke der Selbſtſucht, welche ſich immer ſo leicht wieder um das Menſchenherz ſchließt, durchbrochen; jeder wahre Gruß wird wie jedes gute Wort unmittelbar aus einer freien Bewegung des Innern geboren.
Die Bewegung iſt aber nicht an das Wort gebunden. Grüße ohne Worte ſind oft die wirkſamſten und innerlichſten. Das Auge des Menſchen iſt ehrlicher als die Lippe und ein offener Blick, ein Druck der Hand täuſcht uns ſeltener als freundliche Rede.
Mitten im Gedränge des Lebens kann die Freundeshand, welche wir in der unſrigen fühlen, uns von der Nähe eines zuverläſſigen Beiſtandes lebendig überzeugen und uns mit neuem Muthe beſeelen. Es giebt Momente, wo man das ausführende Wort ſcheu vermeidet, aus Furcht das Zartgefühl zu verletzen, wenn man gerne eine warme Zuſtimmung be¬ zeugen möchte. Da iſt eine ſymboliſche Handlung, ein ſtummes Zeichen willkommen, wie der Kranz, von dem Goethe die edle Fürſtin ſagen läßt:
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Der Gruß.
Reiz und Anmuth verleiht, ſind die Beziehungen zu anderen
Menſchen, die anregenden und belebenden Wechſelwirkungen,
in denen wir ſtehen. Jede wohlthuende Anregung unſeres
Gemüths empfinden wir wohl wie einen Gruß und nennen
ſie ſo, auch wenn kein Grüßender da iſt.
So erſcheint es uns wie ein Gruß aus dem Vaterlande,
wenn auf weiter Meeresöde die heimiſche Flagge am Horizonte
auftaucht oder in fremder Seeſtadt plötzlich ein Lied der Hei¬
math unſer Ohr berührt. Das ſind Symbole einer geiſtigen
Gemeinſchaft, es ſind geiſtige Berührungen, welche auf einmal
ganze Reihen von Empfindungen wach rufen.
Alle wahren Grüße ſind Gedanken der Liebe. Für das
materielle Leben werthlos, keimen ſie abſichtslos aus der
Tiefe des erregten Gemüths und geben Zeugniß von dem
Schatze treuer Zuneigung, welchen wir als unſern eigenſten
und edelſten Beſitz anſehen dürfen; ſie vergegenwärtigen uns
den unſichtbaren Kreis derer, mit denen wir einmal in eine
wahre Lebensgemeinſchaft eingetreten ſind.
Mit jedem Gruße wird die Schranke der Selbſtſucht, welche
ſich immer ſo leicht wieder um das Menſchenherz ſchließt,
durchbrochen; jeder wahre Gruß wird wie jedes gute Wort
unmittelbar aus einer freien Bewegung des Innern geboren.
Die Bewegung iſt aber nicht an das Wort gebunden.
Grüße ohne Worte ſind oft die wirkſamſten und innerlichſten.
Das Auge des Menſchen iſt ehrlicher als die Lippe und ein
offener Blick, ein Druck der Hand täuſcht uns ſeltener als
freundliche Rede.
Mitten im Gedränge des Lebens kann die Freundeshand,
welche wir in der unſrigen fühlen, uns von der Nähe eines
zuverläſſigen Beiſtandes lebendig überzeugen und uns mit
neuem Muthe beſeelen. Es giebt Momente, wo man das
ausführende Wort ſcheu vermeidet, aus Furcht das Zartgefühl
zu verletzen, wenn man gerne eine warme Zuſtimmung be¬
zeugen möchte. Da iſt eine ſymboliſche Handlung, ein ſtummes
Zeichen willkommen, wie der Kranz, von dem Goethe die edle
Fürſtin ſagen läßt:
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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 245. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/261>, abgerufen am 22.07.2024.
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