Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.Der Gruß. nicht erwarten; hier ist Gott der Gruß, Jehova der Segen¬spender. Aber auch der Inhalt des Grußes ist ein anderer, und Der Friedensbegriff hängt mit dem Gottesbegriffe eng Es taucht aber schon ein anderer Begriff auf, der ver¬ Damit ist das semitische Volk kraft der ihm eigenthüm¬ Sollen wir aber den menschlichen Gruß nur vom geschicht¬ Was unser Leben reich und bedeutend macht, was ihm Der Gruß. nicht erwarten; hier iſt Gott der Gruß, Jehova der Segen¬ſpender. Aber auch der Inhalt des Grußes iſt ein anderer, und Der Friedensbegriff hängt mit dem Gottesbegriffe eng Es taucht aber ſchon ein anderer Begriff auf, der ver¬ Damit iſt das ſemitiſche Volk kraft der ihm eigenthüm¬ Sollen wir aber den menſchlichen Gruß nur vom geſchicht¬ Was unſer Leben reich und bedeutend macht, was ihm <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0260" n="244"/><fw place="top" type="header">Der Gruß.<lb/></fw>nicht erwarten; hier iſt Gott der Gruß, Jehova der Segen¬<lb/> ſpender.</p><lb/> <p>Aber auch der Inhalt des Grußes iſt ein anderer, und<lb/> es tritt uns hier zuerſt der Spruch entgegen, der ſeitdem<lb/> nicht wieder verklungen iſt: »Friede ſei mit Dir und Deinem<lb/> Hauſe!«</p><lb/> <p>Der Friedensbegriff hängt mit dem Gottesbegriffe eng<lb/> zuſammen. Das Volk Gottes wohnt auf heiligem Boden und<lb/> genießt den Tempelfrieden; Keiner darf ihm ſchaden. Inſofern<lb/> iſt der Friede nichts Anderes als volle Sicherheit und Ge¬<lb/> borgenheit, ungeſtörtes und wohlverbürgtes Wohlergehen.</p><lb/> <p>Es taucht aber ſchon ein anderer Begriff auf, der ver¬<lb/> borgene Keim eines geiſtigen Sinnes, welcher über den äuße¬<lb/> ren Glücksſtand hinausgeht, der Begriff eines inneren Glücks,<lb/> welches mit dem ſittlichen Wohlverhalten verwachſen iſt.<lb/> »Großen Frieden,« heißt es, »haben, die das Geſetz Gottes lieb<lb/> haben.«</p><lb/> <p>Damit iſt das ſemitiſche Volk kraft der ihm eigenthüm¬<lb/> lichen Tiefe des Gefühls und Empfänglichkeit für religiöſe<lb/> Ideen über Römer und Griechen hinausgegangen. Es hat<lb/> das Glück, welches allen menſchlichen Grüßen und Wünſchen<lb/> zu Grunde liegt, auf ſeine Quelle zurückgeführt, die Freude<lb/> des Lebens, die Kraft des Wirkens auf das normale Ver¬<lb/> hältniß der Seele zur Gottheit und die daraus entſpringende,<lb/> von allen Aeußerlichkeiten unabhängige, innere Zufriedenheit.<lb/> Dieſen Inhalt hat das Neue Teſtament aufgenommen, ent¬<lb/> faltet und verklärt; und ſo iſt der Gruß geworden, welcher<lb/> ſeitdem durch die Chriſtenheit tönt, der uns Allen theure Friede¬<lb/> gruß, in welchem das tiefſte Bedürfniß und das höchſte Gut<lb/> der Menſchenſeele erſt offenbar geworden iſt. So können wir<lb/> auch hieran erkennen, wie die wichtigſten Entwickelungsſtufen<lb/> der Menſchengeſchichte im Grüßen ſich ausgeprägt haben.</p><lb/> <p>Sollen wir aber den menſchlichen Gruß nur vom geſchicht¬<lb/> lichen Standpunkte betrachten und nicht auch erwägen, was<lb/> er für unſer Leben iſt?</p><lb/> <p>Was unſer Leben reich und bedeutend macht, was ihm<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [244/0260]
Der Gruß.
nicht erwarten; hier iſt Gott der Gruß, Jehova der Segen¬
ſpender.
Aber auch der Inhalt des Grußes iſt ein anderer, und
es tritt uns hier zuerſt der Spruch entgegen, der ſeitdem
nicht wieder verklungen iſt: »Friede ſei mit Dir und Deinem
Hauſe!«
Der Friedensbegriff hängt mit dem Gottesbegriffe eng
zuſammen. Das Volk Gottes wohnt auf heiligem Boden und
genießt den Tempelfrieden; Keiner darf ihm ſchaden. Inſofern
iſt der Friede nichts Anderes als volle Sicherheit und Ge¬
borgenheit, ungeſtörtes und wohlverbürgtes Wohlergehen.
Es taucht aber ſchon ein anderer Begriff auf, der ver¬
borgene Keim eines geiſtigen Sinnes, welcher über den äuße¬
ren Glücksſtand hinausgeht, der Begriff eines inneren Glücks,
welches mit dem ſittlichen Wohlverhalten verwachſen iſt.
»Großen Frieden,« heißt es, »haben, die das Geſetz Gottes lieb
haben.«
Damit iſt das ſemitiſche Volk kraft der ihm eigenthüm¬
lichen Tiefe des Gefühls und Empfänglichkeit für religiöſe
Ideen über Römer und Griechen hinausgegangen. Es hat
das Glück, welches allen menſchlichen Grüßen und Wünſchen
zu Grunde liegt, auf ſeine Quelle zurückgeführt, die Freude
des Lebens, die Kraft des Wirkens auf das normale Ver¬
hältniß der Seele zur Gottheit und die daraus entſpringende,
von allen Aeußerlichkeiten unabhängige, innere Zufriedenheit.
Dieſen Inhalt hat das Neue Teſtament aufgenommen, ent¬
faltet und verklärt; und ſo iſt der Gruß geworden, welcher
ſeitdem durch die Chriſtenheit tönt, der uns Allen theure Friede¬
gruß, in welchem das tiefſte Bedürfniß und das höchſte Gut
der Menſchenſeele erſt offenbar geworden iſt. So können wir
auch hieran erkennen, wie die wichtigſten Entwickelungsſtufen
der Menſchengeſchichte im Grüßen ſich ausgeprägt haben.
Sollen wir aber den menſchlichen Gruß nur vom geſchicht¬
lichen Standpunkte betrachten und nicht auch erwägen, was
er für unſer Leben iſt?
Was unſer Leben reich und bedeutend macht, was ihm
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