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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.

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Die Idee der Unsterblichkeit bei den Alten.
heiterem Gemüthe dem Tode entgegen, ein Held des Glaubens
und der sittlichen Zuversicht zu dem, was er, nach Wahrheit
suchend, als Wahrheit gefunden hatte; auch darin ein echter
Grieche, daß er bei aller Sicherheit seiner Hoffnung doch nur
sehr behutsam und mit größter Zurückhaltung über die Zukunft
der Seele sich äußerte. Seinem Schüler war es vorbehalten,
den Glauben, in welchem Sokrates gestorben war, philosophisch
zu begründen. Es kann der sittlich Handelnde so wenig wie
der philosophisch Denkende ohne eine Ewigkeit auskommen;
es muß also zur Beruhigung des Menschen -- denn in Jedem
wohnt, wie Platon sagt, ein furchtsames Kind, welchem bange
ist um die dunkle Zukunft, als könne in ihr Seele und Be¬
wußtsein verloren gehen --, es muß nicht nur geahnt, gehofft
und geglaubt, sondern auch erkannt, gewußt und gegen alle
Einwendungen festgestellt werden, daß der Mensch sein Ziel
über dieser Welt habe. Platon's Phädon ist gleichsam der
Schlußakkord, in welchem das durch vielerlei Widersprüche hin¬
durch gehende Ringen des hellenischen Geistes nach Unsterblich¬
keit harmonisch ausklingt; hier findet man das volksthümliche
Bewußtsein, Religion und Mysterienlehre so wie das Er¬
gebniß wissenschaftlicher Forschung vereinigt; das Bedürfniß
des Herzens wird als eine Forderung des denkenden Geistes
nachgewiesen; es ist ein Hymnus auf die Unsterblichkeit der
Seele und zugleich ein Meisterwerk dialektischer Kunst, welche
zu dem zurückführt, was in kindlicher Einfalt die Ahnen der
indogermanischen Völker geglaubt und bekannt haben.

Wir gingen vom Unterschiede zwischen Indern und Hel¬
lenen aus. Wir überzeugten uns, wie mächtig auch bei den
Hellenen auf den verschiedensten Stufen ihrer Entwickelung und
in den verschiedensten Kreisen ihres Volkslebens der Unsterb¬
lichkeitsglaube gewesen ist, wie Gott auch ihnen die Ewigkeit
ins Herz gelegt hat und wie sich auch in der Auffassung und
Gestaltung dieser Idee ihr hochbegabter Sinn bewährt hat.
Mancherlei ist uns entgegengetreten, was an die Ueberliefe¬
rungen unserer eigenen Religion erinnern mußte, und gewiß
ist Niemand unter uns, welchem ausgesprochene oder ange¬

Die Idee der Unſterblichkeit bei den Alten.
heiterem Gemüthe dem Tode entgegen, ein Held des Glaubens
und der ſittlichen Zuverſicht zu dem, was er, nach Wahrheit
ſuchend, als Wahrheit gefunden hatte; auch darin ein echter
Grieche, daß er bei aller Sicherheit ſeiner Hoffnung doch nur
ſehr behutſam und mit größter Zurückhaltung über die Zukunft
der Seele ſich äußerte. Seinem Schüler war es vorbehalten,
den Glauben, in welchem Sokrates geſtorben war, philoſophiſch
zu begründen. Es kann der ſittlich Handelnde ſo wenig wie
der philoſophiſch Denkende ohne eine Ewigkeit auskommen;
es muß alſo zur Beruhigung des Menſchen — denn in Jedem
wohnt, wie Platon ſagt, ein furchtſames Kind, welchem bange
iſt um die dunkle Zukunft, als könne in ihr Seele und Be¬
wußtſein verloren gehen —, es muß nicht nur geahnt, gehofft
und geglaubt, ſondern auch erkannt, gewußt und gegen alle
Einwendungen feſtgeſtellt werden, daß der Menſch ſein Ziel
über dieſer Welt habe. Platon's Phädon iſt gleichſam der
Schlußakkord, in welchem das durch vielerlei Widerſprüche hin¬
durch gehende Ringen des helleniſchen Geiſtes nach Unſterblich¬
keit harmoniſch ausklingt; hier findet man das volksthümliche
Bewußtſein, Religion und Myſterienlehre ſo wie das Er¬
gebniß wiſſenſchaftlicher Forſchung vereinigt; das Bedürfniß
des Herzens wird als eine Forderung des denkenden Geiſtes
nachgewieſen; es iſt ein Hymnus auf die Unſterblichkeit der
Seele und zugleich ein Meiſterwerk dialektiſcher Kunſt, welche
zu dem zurückführt, was in kindlicher Einfalt die Ahnen der
indogermaniſchen Völker geglaubt und bekannt haben.

Wir gingen vom Unterſchiede zwiſchen Indern und Hel¬
lenen aus. Wir überzeugten uns, wie mächtig auch bei den
Hellenen auf den verſchiedenſten Stufen ihrer Entwickelung und
in den verſchiedenſten Kreiſen ihres Volkslebens der Unſterb¬
lichkeitsglaube geweſen iſt, wie Gott auch ihnen die Ewigkeit
ins Herz gelegt hat und wie ſich auch in der Auffaſſung und
Geſtaltung dieſer Idee ihr hochbegabter Sinn bewährt hat.
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[234/0250] Die Idee der Unſterblichkeit bei den Alten. heiterem Gemüthe dem Tode entgegen, ein Held des Glaubens und der ſittlichen Zuverſicht zu dem, was er, nach Wahrheit ſuchend, als Wahrheit gefunden hatte; auch darin ein echter Grieche, daß er bei aller Sicherheit ſeiner Hoffnung doch nur ſehr behutſam und mit größter Zurückhaltung über die Zukunft der Seele ſich äußerte. Seinem Schüler war es vorbehalten, den Glauben, in welchem Sokrates geſtorben war, philoſophiſch zu begründen. Es kann der ſittlich Handelnde ſo wenig wie der philoſophiſch Denkende ohne eine Ewigkeit auskommen; es muß alſo zur Beruhigung des Menſchen — denn in Jedem wohnt, wie Platon ſagt, ein furchtſames Kind, welchem bange iſt um die dunkle Zukunft, als könne in ihr Seele und Be¬ wußtſein verloren gehen —, es muß nicht nur geahnt, gehofft und geglaubt, ſondern auch erkannt, gewußt und gegen alle Einwendungen feſtgeſtellt werden, daß der Menſch ſein Ziel über dieſer Welt habe. Platon's Phädon iſt gleichſam der Schlußakkord, in welchem das durch vielerlei Widerſprüche hin¬ durch gehende Ringen des helleniſchen Geiſtes nach Unſterblich¬ keit harmoniſch ausklingt; hier findet man das volksthümliche Bewußtſein, Religion und Myſterienlehre ſo wie das Er¬ gebniß wiſſenſchaftlicher Forſchung vereinigt; das Bedürfniß des Herzens wird als eine Forderung des denkenden Geiſtes nachgewieſen; es iſt ein Hymnus auf die Unſterblichkeit der Seele und zugleich ein Meiſterwerk dialektiſcher Kunſt, welche zu dem zurückführt, was in kindlicher Einfalt die Ahnen der indogermaniſchen Völker geglaubt und bekannt haben. Wir gingen vom Unterſchiede zwiſchen Indern und Hel¬ lenen aus. Wir überzeugten uns, wie mächtig auch bei den Hellenen auf den verſchiedenſten Stufen ihrer Entwickelung und in den verſchiedenſten Kreiſen ihres Volkslebens der Unſterb¬ lichkeitsglaube geweſen iſt, wie Gott auch ihnen die Ewigkeit ins Herz gelegt hat und wie ſich auch in der Auffaſſung und Geſtaltung dieſer Idee ihr hochbegabter Sinn bewährt hat. Mancherlei iſt uns entgegengetreten, was an die Ueberliefe¬ rungen unſerer eigenen Religion erinnern mußte, und gewiß iſt Niemand unter uns, welchem ausgeſprochene oder ange¬

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Zitationshilfe: Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/250>, abgerufen am 27.11.2024.