er lebt hier, um sich in eine unsichtbare Reichsordnung einzu¬ bürgern, und gegen die Pflichten und Rechte dieses Bürger¬ thums erblaßt die Bedeutung der irdischen Ordnungen, also auch der Pflichten, die man für sie hat, und der Tugenden, welche sie fordern, also auch der Freundschaft.
So wie daher in der christlichen Welt Richtungen ein¬ treten, welche sich dem Standpunkte griechischer Humanität mit Vorliebe zuwenden, wird auch sofort die Freundschaft wieder in ihre alten Rechte eingesetzt. Man denke an den Freund¬ schaftscultus zur Zeit Petrarka's; es war die Romantik des Humanismus, welche sich als eine geistreiche Umgangsform erhielt, aber keine ethische Bedeutung gewann. Es waren aufgewärmte Empfindungen, denen die innere Wahrheit fehlte; man studirte sich die alten Tugenden ein und liebte sich nach Cicero's Lälius.
Die antike Freundschaft hat sich nie als Treibhauspflanze ziehen lassen. Sie war zu sehr mit dem ganzen Leben der Alten verwachsen, namentlich mit dem öffentlichen Leben. Dies war die stärkende Luft, welche die Freundschaft gesund erhielt und männlich. Daher ist ihr nichts unähnlicher, als jene weichliche Gefühlsschwelgerei moderner Dichterkreise, welche gerade dem öffentlichen Leben am fernsten standen.
Viel ernster und bedeutender für die Geschichte der antiken Freundschaftsidee war die Richtung, welche im englischen Deismus ihren Ausdruck fand. Hier führte die Bewunderung des Alterthums und seiner großen Charaktere zu einer prüfen¬ den Vergleichung der christlichen Lehre und der alten Ethik; aus dem Vergleiche wurde ein offener Angriff auf das Christen¬ thum, und namentlich wurde demselben die Vernachlässigung der Freundschaft zum Vorwurfe gemacht. Sie werde als ein Uebriges behandelt und ein Unwesentliches; sie werde vielleicht gar für schädlich geachtet, indem sie den Einzelnen in seinem Heilseifer aufhalte und zerstreue. Wenn aber Jeder nur für sein Seelenheil ängstlich besorgt sei, so sei das nichts als ein verfeinerter Egoismus, ein lohnsüchtiges Streben. Shaftsbury vermißt die Selbständigkeit der einzelnen Tugenden, die sich
Die Freundſchaft im Alterthume.
er lebt hier, um ſich in eine unſichtbare Reichsordnung einzu¬ bürgern, und gegen die Pflichten und Rechte dieſes Bürger¬ thums erblaßt die Bedeutung der irdiſchen Ordnungen, alſo auch der Pflichten, die man für ſie hat, und der Tugenden, welche ſie fordern, alſo auch der Freundſchaft.
So wie daher in der chriſtlichen Welt Richtungen ein¬ treten, welche ſich dem Standpunkte griechiſcher Humanität mit Vorliebe zuwenden, wird auch ſofort die Freundſchaft wieder in ihre alten Rechte eingeſetzt. Man denke an den Freund¬ ſchaftscultus zur Zeit Petrarka’s; es war die Romantik des Humanismus, welche ſich als eine geiſtreiche Umgangsform erhielt, aber keine ethiſche Bedeutung gewann. Es waren aufgewärmte Empfindungen, denen die innere Wahrheit fehlte; man ſtudirte ſich die alten Tugenden ein und liebte ſich nach Cicero's Lälius.
Die antike Freundſchaft hat ſich nie als Treibhauspflanze ziehen laſſen. Sie war zu ſehr mit dem ganzen Leben der Alten verwachſen, namentlich mit dem öffentlichen Leben. Dies war die ſtärkende Luft, welche die Freundſchaft geſund erhielt und männlich. Daher iſt ihr nichts unähnlicher, als jene weichliche Gefühlsſchwelgerei moderner Dichterkreiſe, welche gerade dem öffentlichen Leben am fernſten ſtanden.
Viel ernſter und bedeutender für die Geſchichte der antiken Freundſchaftsidee war die Richtung, welche im engliſchen Deismus ihren Ausdruck fand. Hier führte die Bewunderung des Alterthums und ſeiner großen Charaktere zu einer prüfen¬ den Vergleichung der chriſtlichen Lehre und der alten Ethik; aus dem Vergleiche wurde ein offener Angriff auf das Chriſten¬ thum, und namentlich wurde demſelben die Vernachläſſigung der Freundſchaft zum Vorwurfe gemacht. Sie werde als ein Uebriges behandelt und ein Unweſentliches; ſie werde vielleicht gar für ſchädlich geachtet, indem ſie den Einzelnen in ſeinem Heilseifer aufhalte und zerſtreue. Wenn aber Jeder nur für ſein Seelenheil ängſtlich beſorgt ſei, ſo ſei das nichts als ein verfeinerter Egoismus, ein lohnſüchtiges Streben. Shaftsbury vermißt die Selbſtändigkeit der einzelnen Tugenden, die ſich
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Die Freundſchaft im Alterthume.
er lebt hier, um ſich in eine unſichtbare Reichsordnung einzu¬
bürgern, und gegen die Pflichten und Rechte dieſes Bürger¬
thums erblaßt die Bedeutung der irdiſchen Ordnungen, alſo
auch der Pflichten, die man für ſie hat, und der Tugenden,
welche ſie fordern, alſo auch der Freundſchaft.
So wie daher in der chriſtlichen Welt Richtungen ein¬
treten, welche ſich dem Standpunkte griechiſcher Humanität mit
Vorliebe zuwenden, wird auch ſofort die Freundſchaft wieder
in ihre alten Rechte eingeſetzt. Man denke an den Freund¬
ſchaftscultus zur Zeit Petrarka’s; es war die Romantik des
Humanismus, welche ſich als eine geiſtreiche Umgangsform
erhielt, aber keine ethiſche Bedeutung gewann. Es waren
aufgewärmte Empfindungen, denen die innere Wahrheit fehlte;
man ſtudirte ſich die alten Tugenden ein und liebte ſich nach
Cicero's Lälius.
Die antike Freundſchaft hat ſich nie als Treibhauspflanze
ziehen laſſen. Sie war zu ſehr mit dem ganzen Leben der
Alten verwachſen, namentlich mit dem öffentlichen Leben. Dies
war die ſtärkende Luft, welche die Freundſchaft geſund erhielt
und männlich. Daher iſt ihr nichts unähnlicher, als jene
weichliche Gefühlsſchwelgerei moderner Dichterkreiſe, welche
gerade dem öffentlichen Leben am fernſten ſtanden.
Viel ernſter und bedeutender für die Geſchichte der antiken
Freundſchaftsidee war die Richtung, welche im engliſchen
Deismus ihren Ausdruck fand. Hier führte die Bewunderung
des Alterthums und ſeiner großen Charaktere zu einer prüfen¬
den Vergleichung der chriſtlichen Lehre und der alten Ethik;
aus dem Vergleiche wurde ein offener Angriff auf das Chriſten¬
thum, und namentlich wurde demſelben die Vernachläſſigung
der Freundſchaft zum Vorwurfe gemacht. Sie werde als ein
Uebriges behandelt und ein Unweſentliches; ſie werde vielleicht
gar für ſchädlich geachtet, indem ſie den Einzelnen in ſeinem
Heilseifer aufhalte und zerſtreue. Wenn aber Jeder nur für
ſein Seelenheil ängſtlich beſorgt ſei, ſo ſei das nichts als ein
verfeinerter Egoismus, ein lohnſüchtiges Streben. Shaftsbury
vermißt die Selbſtändigkeit der einzelnen Tugenden, die ſich
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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/215>, abgerufen am 22.07.2024.
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