einst wie Aeste eines starken Baums in der Luft der Freiheit und Gemeinsamkeit gestaltet hätten. Er will die Tugenden wieder frei machen von der Lehre; er zürnt dem Christenthume, das uns für großmüthige Freundschaft keinen Antrieb gebe und keine Muster aufstelle.
Schroffer ist der Gegensatz zwischen der alten und neuen Welt im Gebiete des Sittlichen nicht ausgesprochen worden. Ist er aber begründet? Sollte die christliche Welt in der That verkürzt und verarmt sein, gerade an den höchsten Lebens¬ gütern, die in dem Boden der Liebe wurzeln? Ist doch das Christenthum selbst begründet worden in einem Jüngerkreise, welcher mit seinem Haupte zusammen das verklärte Bild der Freundschaft ist und gleichsam die Erfüllung alles dessen, was jemals durch Freundesbündnisse erstrebt worden ist, um Staat und Gesellschaft zu erneuern! Und fällt denn wirklich die Freundesliebe mit dem Feindeshasse? Haben nicht schon die Alten die höhere Wahrheit erkannt und Platon es offen aus¬ gesprochen, daß es mit der Tugend unverträglich sei, Anderen Böses zu wünschen? Die Religion der Liebe kann unmöglich die Freundschaft aufheben, sie giebt jedem menschlichen Bunde erst die rechte Weihe; sie giebt uns auch erst die rechten Waffen, um Alles zu beseitigen, was die Freundschaft trübt und verletzt.
Merkwürdig ist, daß es ein Philologe war und zwar kein Geringerer als Richard Bentley, welcher das Evangelium, gegen die Angriffe der Deisten vertheidigte und selbst Geist¬ liche darauf hinweisen mußte, daß der griechische Freundschafts¬ begriff im Neuen Testamente erweitert und verklärt werde; aus der Philia werde die "Philadelphia", die Bruderliebe, und die "Agape" -- das war das neue Wort für die christ¬ liche Liebe, welche nun an Stelle der Philia die Welt er¬ füllen und beseelen sollte. Die Tugenden der Alten, und namentlich die Freundschaft, waren die Lichtstreifen, welche der aufgehenden Sonne vorleuchteten. Die einzelnen Strahlen verschwinden, wenn die volle Sonne hinter den Bergen hervor¬ getreten ist. Aber sind sie darum weniger vorhanden, weil
Die Freundſchaft im Alterthume.
einſt wie Aeſte eines ſtarken Baums in der Luft der Freiheit und Gemeinſamkeit geſtaltet hätten. Er will die Tugenden wieder frei machen von der Lehre; er zürnt dem Chriſtenthume, das uns für großmüthige Freundſchaft keinen Antrieb gebe und keine Muſter aufſtelle.
Schroffer iſt der Gegenſatz zwiſchen der alten und neuen Welt im Gebiete des Sittlichen nicht ausgeſprochen worden. Iſt er aber begründet? Sollte die chriſtliche Welt in der That verkürzt und verarmt ſein, gerade an den höchſten Lebens¬ gütern, die in dem Boden der Liebe wurzeln? Iſt doch das Chriſtenthum ſelbſt begründet worden in einem Jüngerkreiſe, welcher mit ſeinem Haupte zuſammen das verklärte Bild der Freundſchaft iſt und gleichſam die Erfüllung alles deſſen, was jemals durch Freundesbündniſſe erſtrebt worden iſt, um Staat und Geſellſchaft zu erneuern! Und fällt denn wirklich die Freundesliebe mit dem Feindeshaſſe? Haben nicht ſchon die Alten die höhere Wahrheit erkannt und Platon es offen aus¬ geſprochen, daß es mit der Tugend unverträglich ſei, Anderen Böſes zu wünſchen? Die Religion der Liebe kann unmöglich die Freundſchaft aufheben, ſie giebt jedem menſchlichen Bunde erſt die rechte Weihe; ſie giebt uns auch erſt die rechten Waffen, um Alles zu beſeitigen, was die Freundſchaft trübt und verletzt.
Merkwürdig iſt, daß es ein Philologe war und zwar kein Geringerer als Richard Bentley, welcher das Evangelium, gegen die Angriffe der Deiſten vertheidigte und ſelbſt Geiſt¬ liche darauf hinweiſen mußte, daß der griechiſche Freundſchafts¬ begriff im Neuen Teſtamente erweitert und verklärt werde; aus der Philia werde die »Philadelphia«, die Bruderliebe, und die »Agape« — das war das neue Wort für die chriſt¬ liche Liebe, welche nun an Stelle der Philia die Welt er¬ füllen und beſeelen ſollte. Die Tugenden der Alten, und namentlich die Freundſchaft, waren die Lichtſtreifen, welche der aufgehenden Sonne vorleuchteten. Die einzelnen Strahlen verſchwinden, wenn die volle Sonne hinter den Bergen hervor¬ getreten iſt. Aber ſind ſie darum weniger vorhanden, weil
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Die Freundſchaft im Alterthume.
einſt wie Aeſte eines ſtarken Baums in der Luft der Freiheit
und Gemeinſamkeit geſtaltet hätten. Er will die Tugenden
wieder frei machen von der Lehre; er zürnt dem Chriſtenthume,
das uns für großmüthige Freundſchaft keinen Antrieb gebe
und keine Muſter aufſtelle.
Schroffer iſt der Gegenſatz zwiſchen der alten und neuen
Welt im Gebiete des Sittlichen nicht ausgeſprochen worden.
Iſt er aber begründet? Sollte die chriſtliche Welt in der
That verkürzt und verarmt ſein, gerade an den höchſten Lebens¬
gütern, die in dem Boden der Liebe wurzeln? Iſt doch das
Chriſtenthum ſelbſt begründet worden in einem Jüngerkreiſe,
welcher mit ſeinem Haupte zuſammen das verklärte Bild der
Freundſchaft iſt und gleichſam die Erfüllung alles deſſen, was
jemals durch Freundesbündniſſe erſtrebt worden iſt, um Staat
und Geſellſchaft zu erneuern! Und fällt denn wirklich die
Freundesliebe mit dem Feindeshaſſe? Haben nicht ſchon die
Alten die höhere Wahrheit erkannt und Platon es offen aus¬
geſprochen, daß es mit der Tugend unverträglich ſei, Anderen
Böſes zu wünſchen? Die Religion der Liebe kann unmöglich
die Freundſchaft aufheben, ſie giebt jedem menſchlichen Bunde
erſt die rechte Weihe; ſie giebt uns auch erſt die rechten
Waffen, um Alles zu beſeitigen, was die Freundſchaft trübt und
verletzt.
Merkwürdig iſt, daß es ein Philologe war und zwar kein
Geringerer als Richard Bentley, welcher das Evangelium,
gegen die Angriffe der Deiſten vertheidigte und ſelbſt Geiſt¬
liche darauf hinweiſen mußte, daß der griechiſche Freundſchafts¬
begriff im Neuen Teſtamente erweitert und verklärt werde;
aus der Philia werde die »Philadelphia«, die Bruderliebe,
und die »Agape« — das war das neue Wort für die chriſt¬
liche Liebe, welche nun an Stelle der Philia die Welt er¬
füllen und beſeelen ſollte. Die Tugenden der Alten, und
namentlich die Freundſchaft, waren die Lichtſtreifen, welche der
aufgehenden Sonne vorleuchteten. Die einzelnen Strahlen
verſchwinden, wenn die volle Sonne hinter den Bergen hervor¬
getreten iſt. Aber ſind ſie darum weniger vorhanden, weil
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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/216>, abgerufen am 22.07.2024.
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