Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.Der Wettkampf. blutigen Kampfe wurde. Auch Athens Ehrgeiz, so edler Quelleer entsprungen war, ist zur rücksichtslosesten Herrschsucht aus¬ geartet, und so ist die vom Wetteifer entfachte Flamme der Begeisterung ein Feuer geworden, das im Brande des Bürger¬ kriegs die Blüthe der Staaten frühzeitig vernichtet hat. Lauterer und wohlthätiger ist der Wetteifer auf dem Ge¬ Die ganze Poesie der Hellenen ist im Wettkampfe groß Im Wetteifer der Stämme bildete sich die griechische Der Wettkampf. blutigen Kampfe wurde. Auch Athens Ehrgeiz, ſo edler Quelleer entſprungen war, iſt zur rückſichtsloſeſten Herrſchſucht aus¬ geartet, und ſo iſt die vom Wetteifer entfachte Flamme der Begeiſterung ein Feuer geworden, das im Brande des Bürger¬ kriegs die Blüthe der Staaten frühzeitig vernichtet hat. Lauterer und wohlthätiger iſt der Wetteifer auf dem Ge¬ Die ganze Poeſie der Hellenen iſt im Wettkampfe groß Im Wetteifer der Stämme bildete ſich die griechiſche <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0154" n="138"/><fw place="top" type="header">Der Wettkampf.<lb/></fw> blutigen Kampfe wurde. Auch Athens Ehrgeiz, ſo edler Quelle<lb/> er entſprungen war, iſt zur rückſichtsloſeſten Herrſchſucht aus¬<lb/> geartet, und ſo iſt die vom Wetteifer entfachte Flamme der<lb/> Begeiſterung ein Feuer geworden, das im Brande des Bürger¬<lb/> kriegs die Blüthe der Staaten frühzeitig vernichtet hat.</p><lb/> <p>Lauterer und wohlthätiger iſt der Wetteifer auf dem Ge¬<lb/> biete geblieben, auf welchem Alle bereit ſind der Hellenen volle<lb/> Bedeutung anzuerkennen. Denn während ihren Staatsbildun¬<lb/> gen — ſo lehrreich allen Zeiten ihre Betrachtung ſein wird —<lb/> doch keine über den Kreis ihrer Volksgeſchichte hinausreichende<lb/> Gültigkeit zugeſchrieben werden kann, ſind ſie in Kunſt und<lb/> Wiſſenſchaft bis heute die Geſetzgeber geblieben, und dieſe welt¬<lb/> geſchichtliche Stellung verdanken ſie jenem Triebe, der ihnen<lb/> keine Ruhe ließ, bis ſie das Ihrige gethan hatten, um alle<lb/> dem Menſchen verliehenen Kräfte zu entwickeln und dieſelben<lb/> bis zur vollſtändigen Ausbildung durch den Reiz des Wett¬<lb/> eifers in Spannung zu halten.</p><lb/> <p>Die ganze Poeſie der Hellenen iſt im Wettkampfe groß<lb/> gezogen. In den Paläſten der Fürſten, an den Grabhügeln<lb/> der Helden, vor den Tempeln der Götter, auf den vollen<lb/> Märkten der Städte wetteiferten die Rhapſoden. In dieſen<lb/> Kämpfen erſtarkte die epiſche Kunſt zu jener vollen Kraft und<lb/> Sicherheit, in der uns von Anfang an das griechiſche Epos<lb/> entgegentritt. Als Wettgeſang vor dem verſammelten Volke<lb/> blieb die Kunſt auch bei vollendeter Meiſterſchaft durchaus na¬<lb/> tional; ſie konnte nicht erſtarren in ſchulmäßigen Formen, noch<lb/> in Künſtelei und Willkür des Geſchmacks abirren. Sie ſchloß<lb/> ſich den Neigungen und Stimmungen der verſchiedenen Stämme<lb/> an, und während dem Phlegma ackerbauender Aeolier das<lb/> lehrhafte Epos zuſagte, gaben die feuriger bewegten, thaten-<lb/> und wanderluſtigeren Stämme dem Heldenliede Homer's den<lb/> Preis vor Heſiod.</p><lb/> <p>Im Wetteifer der Stämme bildete ſich die griechiſche<lb/> Muſik, ordneten und gründeten ſich die nationalen Weiſen lyri¬<lb/> ſcher Kunſt. Im Namen der Götter wurden die Hymnenſänger<lb/> aufgeboten, und es empfing den Ehrenpreis, wer bei dem Weih¬<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [138/0154]
Der Wettkampf.
blutigen Kampfe wurde. Auch Athens Ehrgeiz, ſo edler Quelle
er entſprungen war, iſt zur rückſichtsloſeſten Herrſchſucht aus¬
geartet, und ſo iſt die vom Wetteifer entfachte Flamme der
Begeiſterung ein Feuer geworden, das im Brande des Bürger¬
kriegs die Blüthe der Staaten frühzeitig vernichtet hat.
Lauterer und wohlthätiger iſt der Wetteifer auf dem Ge¬
biete geblieben, auf welchem Alle bereit ſind der Hellenen volle
Bedeutung anzuerkennen. Denn während ihren Staatsbildun¬
gen — ſo lehrreich allen Zeiten ihre Betrachtung ſein wird —
doch keine über den Kreis ihrer Volksgeſchichte hinausreichende
Gültigkeit zugeſchrieben werden kann, ſind ſie in Kunſt und
Wiſſenſchaft bis heute die Geſetzgeber geblieben, und dieſe welt¬
geſchichtliche Stellung verdanken ſie jenem Triebe, der ihnen
keine Ruhe ließ, bis ſie das Ihrige gethan hatten, um alle
dem Menſchen verliehenen Kräfte zu entwickeln und dieſelben
bis zur vollſtändigen Ausbildung durch den Reiz des Wett¬
eifers in Spannung zu halten.
Die ganze Poeſie der Hellenen iſt im Wettkampfe groß
gezogen. In den Paläſten der Fürſten, an den Grabhügeln
der Helden, vor den Tempeln der Götter, auf den vollen
Märkten der Städte wetteiferten die Rhapſoden. In dieſen
Kämpfen erſtarkte die epiſche Kunſt zu jener vollen Kraft und
Sicherheit, in der uns von Anfang an das griechiſche Epos
entgegentritt. Als Wettgeſang vor dem verſammelten Volke
blieb die Kunſt auch bei vollendeter Meiſterſchaft durchaus na¬
tional; ſie konnte nicht erſtarren in ſchulmäßigen Formen, noch
in Künſtelei und Willkür des Geſchmacks abirren. Sie ſchloß
ſich den Neigungen und Stimmungen der verſchiedenen Stämme
an, und während dem Phlegma ackerbauender Aeolier das
lehrhafte Epos zuſagte, gaben die feuriger bewegten, thaten-
und wanderluſtigeren Stämme dem Heldenliede Homer's den
Preis vor Heſiod.
Im Wetteifer der Stämme bildete ſich die griechiſche
Muſik, ordneten und gründeten ſich die nationalen Weiſen lyri¬
ſcher Kunſt. Im Namen der Götter wurden die Hymnenſänger
aufgeboten, und es empfing den Ehrenpreis, wer bei dem Weih¬
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