Kunstsammlungen, ihre Geschichte und ihre Bestimmung.
Quellen eine natürliche Vegetation aufsprießt, so um die Mu¬ senquellen ein geistiges Leben von reicher Mannigfaltigkeit, Poesie, bildende Kunst und Wissenschaft. Das sind die äl¬ testen Museen.
Solche Anlagen blieben nicht auf Helikon und Olympos beschränkt; sie verbreiteten sich nach allen Stätten des helle¬ nischen Landes. Man suchte dabei den Charakter der Länd¬ lichkeit festzuhalten, wie es den Quellnymphen entsprach, und legte vor den Städten die Museen an, so vor Athen am Ilissos, und am Kephisos in der Akademie, wo Platon den Musen opferte. Auch in Stageiros war ein Musenhain, wo die Jugend, welcher Aristoteles angehörte, zu höherer Bildung angeleitet wurde. Ja, kein Dienst ist ein solches Kennzeichen des hellenischen Wesens geworden, wie der mit Apollon ver¬ bundene Dienst der Musen. Sie bringen überall zum Guten das Beste, sie werden dadurch auch den Göttern unentbehrlich und für die Hochzeit von Peleus und Thetis war kein edlerer Schmuck zu ersinnen, als daß, von Apollo geführt, die Musen das Brautlied sangen.
Dieser Musendienst folgte den Hellenen, wohin sie gingen, und diente dazu, die nachgeborenen Griechenstädte, die Grün¬ dungen Alexander's und seiner Feldherren, als ebenbürtige Töchter von Hellas zu beglaubigen.
Es hatte sich aber der Begriff des Musendienstes mit der Bildung wesentlich verändert. Die schaffende Kraft war er¬ lahmt und in demselben Grade hatte der Trieb der Forschung sich über alle Gebiete der Natur und des Geisteslebens aus¬ gedehnt. Die aristotelische Philosophie war der Lebensodem dieses Zeitalters und nach dem Maßstabe des Kolossalen, wie ihn die Zeit liebte, wurde in Alexandreia ein Museum ge¬ gründet, eine prachtvolle Staatsanstalt, welche den Gelehrten mitten im Lärme der Weltstadt einen Aufenthalt sicherte, wo sie sorgenfrei und still der Wissenschaft leben konnten. Aber nicht bloß Ruhe und Muße wurde ihnen gewährt, sondern auch das Material der Forschung in großartigster Weise zu¬ sammengebracht, und die Urkunden des Morgenlandes sah
Kunſtſammlungen, ihre Geſchichte und ihre Beſtimmung.
Quellen eine natürliche Vegetation aufſprießt, ſo um die Mu¬ ſenquellen ein geiſtiges Leben von reicher Mannigfaltigkeit, Poeſie, bildende Kunſt und Wiſſenſchaft. Das ſind die äl¬ teſten Muſeen.
Solche Anlagen blieben nicht auf Helikon und Olympos beſchränkt; ſie verbreiteten ſich nach allen Stätten des helle¬ niſchen Landes. Man ſuchte dabei den Charakter der Länd¬ lichkeit feſtzuhalten, wie es den Quellnymphen entſprach, und legte vor den Städten die Muſeen an, ſo vor Athen am Iliſſos, und am Kephiſos in der Akademie, wo Platon den Muſen opferte. Auch in Stageiros war ein Muſenhain, wo die Jugend, welcher Ariſtoteles angehörte, zu höherer Bildung angeleitet wurde. Ja, kein Dienſt iſt ein ſolches Kennzeichen des helleniſchen Weſens geworden, wie der mit Apollon ver¬ bundene Dienſt der Muſen. Sie bringen überall zum Guten das Beſte, ſie werden dadurch auch den Göttern unentbehrlich und für die Hochzeit von Peleus und Thetis war kein edlerer Schmuck zu erſinnen, als daß, von Apollo geführt, die Muſen das Brautlied ſangen.
Dieſer Muſendienſt folgte den Hellenen, wohin ſie gingen, und diente dazu, die nachgeborenen Griechenſtädte, die Grün¬ dungen Alexander's und ſeiner Feldherren, als ebenbürtige Töchter von Hellas zu beglaubigen.
Es hatte ſich aber der Begriff des Muſendienſtes mit der Bildung weſentlich verändert. Die ſchaffende Kraft war er¬ lahmt und in demſelben Grade hatte der Trieb der Forſchung ſich über alle Gebiete der Natur und des Geiſteslebens aus¬ gedehnt. Die ariſtoteliſche Philoſophie war der Lebensodem dieſes Zeitalters und nach dem Maßſtabe des Koloſſalen, wie ihn die Zeit liebte, wurde in Alexandreia ein Muſeum ge¬ gründet, eine prachtvolle Staatsanſtalt, welche den Gelehrten mitten im Lärme der Weltſtadt einen Aufenthalt ſicherte, wo ſie ſorgenfrei und ſtill der Wiſſenſchaft leben konnten. Aber nicht bloß Ruhe und Muße wurde ihnen gewährt, ſondern auch das Material der Forſchung in großartigſter Weiſe zu¬ ſammengebracht, und die Urkunden des Morgenlandes ſah
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Kunſtſammlungen, ihre Geſchichte und ihre Beſtimmung.
Quellen eine natürliche Vegetation aufſprießt, ſo um die Mu¬
ſenquellen ein geiſtiges Leben von reicher Mannigfaltigkeit,
Poeſie, bildende Kunſt und Wiſſenſchaft. Das ſind die äl¬
teſten Muſeen.
Solche Anlagen blieben nicht auf Helikon und Olympos
beſchränkt; ſie verbreiteten ſich nach allen Stätten des helle¬
niſchen Landes. Man ſuchte dabei den Charakter der Länd¬
lichkeit feſtzuhalten, wie es den Quellnymphen entſprach, und
legte vor den Städten die Muſeen an, ſo vor Athen am
Iliſſos, und am Kephiſos in der Akademie, wo Platon den
Muſen opferte. Auch in Stageiros war ein Muſenhain, wo
die Jugend, welcher Ariſtoteles angehörte, zu höherer Bildung
angeleitet wurde. Ja, kein Dienſt iſt ein ſolches Kennzeichen
des helleniſchen Weſens geworden, wie der mit Apollon ver¬
bundene Dienſt der Muſen. Sie bringen überall zum Guten
das Beſte, ſie werden dadurch auch den Göttern unentbehrlich
und für die Hochzeit von Peleus und Thetis war kein edlerer
Schmuck zu erſinnen, als daß, von Apollo geführt, die Muſen
das Brautlied ſangen.
Dieſer Muſendienſt folgte den Hellenen, wohin ſie gingen,
und diente dazu, die nachgeborenen Griechenſtädte, die Grün¬
dungen Alexander's und ſeiner Feldherren, als ebenbürtige
Töchter von Hellas zu beglaubigen.
Es hatte ſich aber der Begriff des Muſendienſtes mit der
Bildung weſentlich verändert. Die ſchaffende Kraft war er¬
lahmt und in demſelben Grade hatte der Trieb der Forſchung
ſich über alle Gebiete der Natur und des Geiſteslebens aus¬
gedehnt. Die ariſtoteliſche Philoſophie war der Lebensodem
dieſes Zeitalters und nach dem Maßſtabe des Koloſſalen, wie
ihn die Zeit liebte, wurde in Alexandreia ein Muſeum ge¬
gründet, eine prachtvolle Staatsanſtalt, welche den Gelehrten
mitten im Lärme der Weltſtadt einen Aufenthalt ſicherte, wo
ſie ſorgenfrei und ſtill der Wiſſenſchaft leben konnten. Aber
nicht bloß Ruhe und Muße wurde ihnen gewährt, ſondern
auch das Material der Forſchung in großartigſter Weiſe zu¬
ſammengebracht, und die Urkunden des Morgenlandes ſah
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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/112>, abgerufen am 22.07.2024.
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