Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792.LXI. Betrachtung. Gott für, daß dir nicht so etwas wiederfahre. Wahr-scheinlich glaubte er, der Gedanke an Tod und Lei- den bemächtige sich der Seele Jesu nur in schwermü- thigen Stunden, und er suchte ihn zu beruhigen. Sehr weise handelte daher Jesus, daß er seine Schü- ler mit seinem Leiden nur stufenweise bekannt machte. Jn der ersten Zeit that er das blos verblümt; aber je näher sein Ende kam, desto deutlicher ließ er sich darüber heraus, und auf seiner letzten Reise nach Je- rusalem sagte er ihnen alles, was er über diesen Punkt noch zu sagen hatte, ja er bestimmte sogar die klein- sten Umstände, unter welchen sein Leiden und Ster- ben erfolgen würde: sehet, wir gehen hinauf gen Je- rusalem, und es wird alles vollendet werden, das geschrieben ist durch die Propheten von des Men- schen Sohn. Denn er wird überantwortet werden den Heyden, und er wird verspottet und geschmähet und verspeyet werden. Und sie werden ihn geisseln und tödten; und am dritten Tage wird er wieder auferstehen.*) Jhm that es freylich wehe, daß er ihnen so etwas Unangenehmes sagen mußte; er wür- de auch gerne von der ganzen Sache geschwiegen ha- ben, wenn ihnen dieses Stillschweigen nicht schädlich gewesen wäre. Da es aber einmal gesagt seyn muß- te, so that er es mit möglichster Schonung und Lie- be. Er nahm sie daher bey dieser letzten Ankündi- gung von der ihn begleitenden Volksmenge bey Sei- te, *) Luc. 18, 31-33. C c 3
LXI. Betrachtung. Gott für, daß dir nicht ſo etwas wiederfahre. Wahr-ſcheinlich glaubte er, der Gedanke an Tod und Lei- den bemächtige ſich der Seele Jeſu nur in ſchwermü- thigen Stunden, und er ſuchte ihn zu beruhigen. Sehr weiſe handelte daher Jeſus, daß er ſeine Schü- ler mit ſeinem Leiden nur ſtufenweiſe bekannt machte. Jn der erſten Zeit that er das blos verblümt; aber je näher ſein Ende kam, deſto deutlicher ließ er ſich darüber heraus, und auf ſeiner letzten Reiſe nach Je- ruſalem ſagte er ihnen alles, was er über dieſen Punkt noch zu ſagen hatte, ja er beſtimmte ſogar die klein- ſten Umſtände, unter welchen ſein Leiden und Ster- ben erfolgen würde: ſehet, wir gehen hinauf gen Je- ruſalem, und es wird alles vollendet werden, das geſchrieben iſt durch die Propheten von des Men- ſchen Sohn. Denn er wird überantwortet werden den Heyden, und er wird verſpottet und geſchmähet und verſpeyet werden. Und ſie werden ihn geiſſeln und tödten; und am dritten Tage wird er wieder auferſtehen.*) Jhm that es freylich wehe, daß er ihnen ſo etwas Unangenehmes ſagen mußte; er wür- de auch gerne von der ganzen Sache geſchwiegen ha- ben, wenn ihnen dieſes Stillſchweigen nicht ſchädlich geweſen wäre. Da es aber einmal geſagt ſeyn muß- te, ſo that er es mit möglichſter Schonung und Lie- be. Er nahm ſie daher bey dieſer letzten Ankündi- gung von der ihn begleitenden Volksmenge bey Sei- te, *) Luc. 18, 31-33. C c 3
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LXI. Betrachtung.
Gott für, daß dir nicht ſo etwas wiederfahre. Wahr-
ſcheinlich glaubte er, der Gedanke an Tod und Lei-
den bemächtige ſich der Seele Jeſu nur in ſchwermü-
thigen Stunden, und er ſuchte ihn zu beruhigen.
Sehr weiſe handelte daher Jeſus, daß er ſeine Schü-
ler mit ſeinem Leiden nur ſtufenweiſe bekannt machte.
Jn der erſten Zeit that er das blos verblümt; aber
je näher ſein Ende kam, deſto deutlicher ließ er ſich
darüber heraus, und auf ſeiner letzten Reiſe nach Je-
ruſalem ſagte er ihnen alles, was er über dieſen Punkt
noch zu ſagen hatte, ja er beſtimmte ſogar die klein-
ſten Umſtände, unter welchen ſein Leiden und Ster-
ben erfolgen würde: ſehet, wir gehen hinauf gen Je-
ruſalem, und es wird alles vollendet werden, das
geſchrieben iſt durch die Propheten von des Men-
ſchen Sohn. Denn er wird überantwortet werden
den Heyden, und er wird verſpottet und geſchmähet
und verſpeyet werden. Und ſie werden ihn geiſſeln
und tödten; und am dritten Tage wird er wieder
auferſtehen. *) Jhm that es freylich wehe, daß er
ihnen ſo etwas Unangenehmes ſagen mußte; er wür-
de auch gerne von der ganzen Sache geſchwiegen ha-
ben, wenn ihnen dieſes Stillſchweigen nicht ſchädlich
geweſen wäre. Da es aber einmal geſagt ſeyn muß-
te, ſo that er es mit möglichſter Schonung und Lie-
be. Er nahm ſie daher bey dieſer letzten Ankündi-
gung von der ihn begleitenden Volksmenge bey Sei-
te,
*) Luc. 18, 31-33.
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