Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792.XLVII. Betrachtung. und Verdiensten weit nachstehen, selbst diese darfst dunicht verachten, ihnen nicht unfreundlich begegnen. Denn wenn du dich wegen deiner größern Vorzüge auf eine stolze Art über sie erhebst; wenn du sie we- gen ihrer Mängel verachtest, und bey jeder Gelegen- heit zu ihrer Kränkung es dir merken lässest, daß sie das nicht sind, was du bist, so bist du nicht demüthig, son- dern aufgeblasen und hart; du bist eben so wenig ein ächter Christ, als derjenige ein wahrer gründlicher Ge- lehrter seyn kann, der auf seine Wissenschaft stolz ist, und sich damit brüstet. Je mehr du also vor andern vor- aus hast, desto mehr mußt du dich durch Dienstfertigkeit, Gelindigkeit und menschenfreundliche Handlungen zu ihnen herablassen; desto mehr mußt du zeigen, daß dich deine Vorzüge nicht übermüthig machen, sondern daß du jeden Menschen zu schätzen gelernt hast, daß du gesinnt bist, wie Jesus Christus gesinnt war. Keinen Bruder zu verachten, Sey mir ewig theure Pflicht! Die sich vorzudrängen trachten, Die sich aufblähn, die gehorchen Dem Gesetz der Demuth nicht. So wie Christus, allen dienen, Jn der Stille thätig, gern Auch dem niedrigsten aus ihnen: Das ist Gnade vor dem Herrn. Acht-
XLVII. Betrachtung. und Verdienſten weit nachſtehen, ſelbſt dieſe darfſt dunicht verachten, ihnen nicht unfreundlich begegnen. Denn wenn du dich wegen deiner größern Vorzüge auf eine ſtolze Art über ſie erhebſt; wenn du ſie we- gen ihrer Mängel verachteſt, und bey jeder Gelegen- heit zu ihrer Kränkung es dir merken läſſeſt, daß ſie das nicht ſind, was du biſt, ſo biſt du nicht demüthig, ſon- dern aufgeblaſen und hart; du biſt eben ſo wenig ein ächter Chriſt, als derjenige ein wahrer gründlicher Ge- lehrter ſeyn kann, der auf ſeine Wiſſenſchaft ſtolz iſt, und ſich damit brüſtet. Je mehr du alſo vor andern vor- aus haſt, deſto mehr mußt du dich durch Dienſtfertigkeit, Gelindigkeit und menſchenfreundliche Handlungen zu ihnen herablaſſen; deſto mehr mußt du zeigen, daß dich deine Vorzüge nicht übermüthig machen, ſondern daß du jeden Menſchen zu ſchätzen gelernt haſt, daß du geſinnt biſt, wie Jeſus Chriſtus geſinnt war. Keinen Bruder zu verachten, Sey mir ewig theure Pflicht! Die ſich vorzudrängen trachten, Die ſich aufblähn, die gehorchen Dem Geſetz der Demuth nicht. So wie Chriſtus, allen dienen, Jn der Stille thätig, gern Auch dem niedrigſten aus ihnen: Das iſt Gnade vor dem Herrn. Acht-
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XLVII. Betrachtung.
und Verdienſten weit nachſtehen, ſelbſt dieſe darfſt du
nicht verachten, ihnen nicht unfreundlich begegnen.
Denn wenn du dich wegen deiner größern Vorzüge
auf eine ſtolze Art über ſie erhebſt; wenn du ſie we-
gen ihrer Mängel verachteſt, und bey jeder Gelegen-
heit zu ihrer Kränkung es dir merken läſſeſt, daß ſie das
nicht ſind, was du biſt, ſo biſt du nicht demüthig, ſon-
dern aufgeblaſen und hart; du biſt eben ſo wenig ein
ächter Chriſt, als derjenige ein wahrer gründlicher Ge-
lehrter ſeyn kann, der auf ſeine Wiſſenſchaft ſtolz iſt,
und ſich damit brüſtet. Je mehr du alſo vor andern vor-
aus haſt, deſto mehr mußt du dich durch Dienſtfertigkeit,
Gelindigkeit und menſchenfreundliche Handlungen zu
ihnen herablaſſen; deſto mehr mußt du zeigen, daß
dich deine Vorzüge nicht übermüthig machen, ſondern
daß du jeden Menſchen zu ſchätzen gelernt haſt, daß
du geſinnt biſt, wie Jeſus Chriſtus geſinnt war.
Keinen Bruder zu verachten,
Sey mir ewig theure Pflicht!
Die ſich vorzudrängen trachten,
Die ſich aufblähn, die gehorchen
Dem Geſetz der Demuth nicht.
So wie Chriſtus, allen dienen,
Jn der Stille thätig, gern
Auch dem niedrigſten aus ihnen:
Das iſt Gnade vor dem Herrn.
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