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Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792.

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XX. Betrachtung.
würde ich mich versündigen; wie sehr würde ich einen
solchen Unglücklichen kränken, wenn ich ihn zu einem
Verbrecher machen wollte, da er vielleicht ganz un-
schuldig leidet, und im Stillen fromm vor Gott wan-
delt. Sehe ich also jemanden unter der Last seines
widrigen Schicksals niedergedrückt, so will ich ihm
mein theilnehmendes Mitleiden nicht versagen; ich
will ihm seinen Gnadenstand nicht absprechen; ich
will ihm nicht noch mehr Kummer durch den harten
Ausspruch machen: er kann kein Freund Gottes,
kein wahrer Christ seyn,
weil ihm solche empfind-
liche Leiden begegnen. Ferne sey es von mir, zu glau-
ben, daß ein Ort oder ein Land vorzüglich von ruch-
losen Menschen bewohnt werde, weil es etwa die
Verheerungen eines Krieges, oder einer Ueberschwem-
mung, oder eines Hagelwetters vor andern erfährt.
Denn solche Uebel und allgemeine Landplagen müs-
sen nach der ganzen Einrichtung dieser Erde erfolgen;
das kann durchaus nicht anders seyn, und wenn sie
eintreten, so muß der Unschuldige mit dem Schuldi-
gen leiden, oder Gott müßte die Gesetze der Natur
alle Augenblicke aufheben und unaufhörliche Wun-
der thun. Jch will vielmehr bey dem Anblick solcher
Unglücksfälle an meine Fehler und an meinen sittli-
chen Zustand denken; und da werde ich bald finden,
wie sehr ich Gottes verschonende Güte zu preisen Ur-
sach habe, da ich oft durch meine Vergehungen mir

sein

XX. Betrachtung.
würde ich mich verſündigen; wie ſehr würde ich einen
ſolchen Unglücklichen kränken, wenn ich ihn zu einem
Verbrecher machen wollte, da er vielleicht ganz un-
ſchuldig leidet, und im Stillen fromm vor Gott wan-
delt. Sehe ich alſo jemanden unter der Laſt ſeines
widrigen Schickſals niedergedrückt, ſo will ich ihm
mein theilnehmendes Mitleiden nicht verſagen; ich
will ihm ſeinen Gnadenſtand nicht abſprechen; ich
will ihm nicht noch mehr Kummer durch den harten
Ausſpruch machen: er kann kein Freund Gottes,
kein wahrer Chriſt ſeyn,
weil ihm ſolche empfind-
liche Leiden begegnen. Ferne ſey es von mir, zu glau-
ben, daß ein Ort oder ein Land vorzüglich von ruch-
loſen Menſchen bewohnt werde, weil es etwa die
Verheerungen eines Krieges, oder einer Ueberſchwem-
mung, oder eines Hagelwetters vor andern erfährt.
Denn ſolche Uebel und allgemeine Landplagen müſ-
ſen nach der ganzen Einrichtung dieſer Erde erfolgen;
das kann durchaus nicht anders ſeyn, und wenn ſie
eintreten, ſo muß der Unſchuldige mit dem Schuldi-
gen leiden, oder Gott müßte die Geſetze der Natur
alle Augenblicke aufheben und unaufhörliche Wun-
der thun. Jch will vielmehr bey dem Anblick ſolcher
Unglücksfälle an meine Fehler und an meinen ſittli-
chen Zuſtand denken; und da werde ich bald finden,
wie ſehr ich Gottes verſchonende Güte zu preiſen Ur-
ſach habe, da ich oft durch meine Vergehungen mir

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[127/0153] XX. Betrachtung. würde ich mich verſündigen; wie ſehr würde ich einen ſolchen Unglücklichen kränken, wenn ich ihn zu einem Verbrecher machen wollte, da er vielleicht ganz un- ſchuldig leidet, und im Stillen fromm vor Gott wan- delt. Sehe ich alſo jemanden unter der Laſt ſeines widrigen Schickſals niedergedrückt, ſo will ich ihm mein theilnehmendes Mitleiden nicht verſagen; ich will ihm ſeinen Gnadenſtand nicht abſprechen; ich will ihm nicht noch mehr Kummer durch den harten Ausſpruch machen: er kann kein Freund Gottes, kein wahrer Chriſt ſeyn, weil ihm ſolche empfind- liche Leiden begegnen. Ferne ſey es von mir, zu glau- ben, daß ein Ort oder ein Land vorzüglich von ruch- loſen Menſchen bewohnt werde, weil es etwa die Verheerungen eines Krieges, oder einer Ueberſchwem- mung, oder eines Hagelwetters vor andern erfährt. Denn ſolche Uebel und allgemeine Landplagen müſ- ſen nach der ganzen Einrichtung dieſer Erde erfolgen; das kann durchaus nicht anders ſeyn, und wenn ſie eintreten, ſo muß der Unſchuldige mit dem Schuldi- gen leiden, oder Gott müßte die Geſetze der Natur alle Augenblicke aufheben und unaufhörliche Wun- der thun. Jch will vielmehr bey dem Anblick ſolcher Unglücksfälle an meine Fehler und an meinen ſittli- chen Zuſtand denken; und da werde ich bald finden, wie ſehr ich Gottes verſchonende Güte zu preiſen Ur- ſach habe, da ich oft durch meine Vergehungen mir ſein

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Zitationshilfe: Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_nachahmung_1792/153>, abgerufen am 22.11.2024.