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Cramer, Wilhelm: Der christliche Vater wie er sein und was er thun soll. Nebst einem Anhange von Gebeten für denselben. Dülmen, 1874.

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nutzen, daß sie mir mit Anzeigen droheten, wenn ich
im Fleiß nachließe oder sonst einen Fehler beging.
Alle andern Strafen waren mir in Vergleich mit
dieser Drohung gar nicht empfindlich. Auch nach
dem Tode meines Vaters hielt mich diese Ehrfurcht
oft aufrecht in Gefahren zur Sünde, indem ich be-
dachte, daß mein Vater im Himmel um mein Be-
tragen wisse.

Des Vaters liebste Erholung war das Spiel mit
uns Kindern in den Mittags- und Abendstunden.
Nürnberger Spielsachen waren uns unbekannt, aber
wir hatten so gut unser hölzernes Pferd, unsern
Wagen, unser Schaukelkissen, unsern Bogen, unsern
Schmetterlingsfänger, als die Stadtkinder. In der
Anfertigung und Gebrauchs-Anweisung dieser Dinge
bestand für ihn eine süße Erholung. An allen Sonn-
tag-Nachmittagen, wenn das Wetter günstig war,
gingen wir mit ihm und der Mutter spazieren durch
den Busch und die Kornfelder. Das nannten wir
Rundgehen. Wie unser mit rothem Halsband ge-
ziertes Küchenhündchen schwebten wir leichten Schrit-
tes hin und wieder, während unsere Eltern bedacht-
sam uns folgten und ihre Freude daran hatten,
unsere tausend Fragen zu beantworten. Dann wur-
den wir aufmerksam gemacht, nicht bloß auf Blumen
und Vögel zu achten, sondern auch Gottes Güte und
Liebe in den wogenden Saaten zu betrachten. Vater,
fragte ich einst beim Spaziergange, warum läßt der
liebe Gott doch den Halm so dünn, daß er kaum die
schwere Aehre tragen kann? Er antwortete: Siehst
du da nicht das Vögelchen? Siehe nur, es will
aus der Aehre Körner picken, aber wenn es sich an
dem Halme halten will, geht dieser nach unten und

nutzen, daß sie mir mit Anzeigen droheten, wenn ich
im Fleiß nachließe oder sonst einen Fehler beging.
Alle andern Strafen waren mir in Vergleich mit
dieser Drohung gar nicht empfindlich. Auch nach
dem Tode meines Vaters hielt mich diese Ehrfurcht
oft aufrecht in Gefahren zur Sünde, indem ich be-
dachte, daß mein Vater im Himmel um mein Be-
tragen wisse.

Des Vaters liebste Erholung war das Spiel mit
uns Kindern in den Mittags- und Abendstunden.
Nürnberger Spielsachen waren uns unbekannt, aber
wir hatten so gut unser hölzernes Pferd, unsern
Wagen, unser Schaukelkissen, unsern Bogen, unsern
Schmetterlingsfänger, als die Stadtkinder. In der
Anfertigung und Gebrauchs-Anweisung dieser Dinge
bestand für ihn eine süße Erholung. An allen Sonn-
tag-Nachmittagen, wenn das Wetter günstig war,
gingen wir mit ihm und der Mutter spazieren durch
den Busch und die Kornfelder. Das nannten wir
Rundgehen. Wie unser mit rothem Halsband ge-
ziertes Küchenhündchen schwebten wir leichten Schrit-
tes hin und wieder, während unsere Eltern bedacht-
sam uns folgten und ihre Freude daran hatten,
unsere tausend Fragen zu beantworten. Dann wur-
den wir aufmerksam gemacht, nicht bloß auf Blumen
und Vögel zu achten, sondern auch Gottes Güte und
Liebe in den wogenden Saaten zu betrachten. Vater,
fragte ich einst beim Spaziergange, warum läßt der
liebe Gott doch den Halm so dünn, daß er kaum die
schwere Aehre tragen kann? Er antwortete: Siehst
du da nicht das Vögelchen? Siehe nur, es will
aus der Aehre Körner picken, aber wenn es sich an
dem Halme halten will, geht dieser nach unten und

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[155/0158] nutzen, daß sie mir mit Anzeigen droheten, wenn ich im Fleiß nachließe oder sonst einen Fehler beging. Alle andern Strafen waren mir in Vergleich mit dieser Drohung gar nicht empfindlich. Auch nach dem Tode meines Vaters hielt mich diese Ehrfurcht oft aufrecht in Gefahren zur Sünde, indem ich be- dachte, daß mein Vater im Himmel um mein Be- tragen wisse. Des Vaters liebste Erholung war das Spiel mit uns Kindern in den Mittags- und Abendstunden. Nürnberger Spielsachen waren uns unbekannt, aber wir hatten so gut unser hölzernes Pferd, unsern Wagen, unser Schaukelkissen, unsern Bogen, unsern Schmetterlingsfänger, als die Stadtkinder. In der Anfertigung und Gebrauchs-Anweisung dieser Dinge bestand für ihn eine süße Erholung. An allen Sonn- tag-Nachmittagen, wenn das Wetter günstig war, gingen wir mit ihm und der Mutter spazieren durch den Busch und die Kornfelder. Das nannten wir Rundgehen. Wie unser mit rothem Halsband ge- ziertes Küchenhündchen schwebten wir leichten Schrit- tes hin und wieder, während unsere Eltern bedacht- sam uns folgten und ihre Freude daran hatten, unsere tausend Fragen zu beantworten. Dann wur- den wir aufmerksam gemacht, nicht bloß auf Blumen und Vögel zu achten, sondern auch Gottes Güte und Liebe in den wogenden Saaten zu betrachten. Vater, fragte ich einst beim Spaziergange, warum läßt der liebe Gott doch den Halm so dünn, daß er kaum die schwere Aehre tragen kann? Er antwortete: Siehst du da nicht das Vögelchen? Siehe nur, es will aus der Aehre Körner picken, aber wenn es sich an dem Halme halten will, geht dieser nach unten und

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Zitationshilfe: Cramer, Wilhelm: Der christliche Vater wie er sein und was er thun soll. Nebst einem Anhange von Gebeten für denselben. Dülmen, 1874, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_mutter_1874/158>, abgerufen am 18.04.2024.