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Cramer, Wilhelm: Der christliche Vater wie er sein und was er thun soll. Nebst einem Anhange von Gebeten für denselben. Dülmen, 1874.

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Ein Vater aus dem Münsterlande.

Im ersten Jahrgange des Missionsblattes (1852)
wurde eine Reihe interessanter Mittheilungen gebracht
unter dem Titel: "Der rothe Bauer." Gegenstand
derselben war ein durch und durch vortrefflicher
Bauersmann im Münsterlande, dem der rothe Rock,
womit er an den hohen Festen des Jahres nach alter
Landessitte in der Stadt und in der Kirche erschien,
bei der jüngeren Generation den Titel "der rothe
Bauer"
eingebracht hatte. Hören wir von dem vielen
Schönen und Guten, was in den oben genannten
Mittheilungen der Sohn desselben, ein Geistlicher,
von seinem vortrefflichen Vater erzählt, hier das, was
über ihn als Vater gesagt wurde.

"Er war ein guter Pädagog (Erzieher), obschon
er nur seinem gesunden Menschenverstande folgte und
niemals in seinem Leben pädagogische Schriften ge-
lesen hatte.
Ich besaß ein sehr aufgeregtes Tempera-
ment, ließ mich von jeder Gemüthsaffektion leiten und
hinreißen. Mein Vater aber verstand es, meiner
Lebhaftigkeit einen Zaum anzulegen und mich durch
verschiedene Verdemüthigungen zu besänftigen. Wenn
ich mit einem Knechte oder einem von meinen drei
Brüdern im Streite lag, so mußte ich zuerst die Hand
der Versöhnung anbieten, wenn ich mich nicht seinem
Unwillen, den ich über Alles fürchtete, aussetzen wollte.
War ich unwillig über irgend etwas und wollte ich
dann weder essen noch reden, so hatten alle Unsrigen
den strengen Befehl, sich darum nichts zu kümmern.
Keiner durfte fragen, was mir fehle; keiner durfte mich

Ein Vater aus dem Münsterlande.

Im ersten Jahrgange des Missionsblattes (1852)
wurde eine Reihe interessanter Mittheilungen gebracht
unter dem Titel: „Der rothe Bauer.“ Gegenstand
derselben war ein durch und durch vortrefflicher
Bauersmann im Münsterlande, dem der rothe Rock,
womit er an den hohen Festen des Jahres nach alter
Landessitte in der Stadt und in der Kirche erschien,
bei der jüngeren Generation den Titel „der rothe
Bauer“
eingebracht hatte. Hören wir von dem vielen
Schönen und Guten, was in den oben genannten
Mittheilungen der Sohn desselben, ein Geistlicher,
von seinem vortrefflichen Vater erzählt, hier das, was
über ihn als Vater gesagt wurde.

„Er war ein guter Pädagog (Erzieher), obschon
er nur seinem gesunden Menschenverstande folgte und
niemals in seinem Leben pädagogische Schriften ge-
lesen hatte.
Ich besaß ein sehr aufgeregtes Tempera-
ment, ließ mich von jeder Gemüthsaffektion leiten und
hinreißen. Mein Vater aber verstand es, meiner
Lebhaftigkeit einen Zaum anzulegen und mich durch
verschiedene Verdemüthigungen zu besänftigen. Wenn
ich mit einem Knechte oder einem von meinen drei
Brüdern im Streite lag, so mußte ich zuerst die Hand
der Versöhnung anbieten, wenn ich mich nicht seinem
Unwillen, den ich über Alles fürchtete, aussetzen wollte.
War ich unwillig über irgend etwas und wollte ich
dann weder essen noch reden, so hatten alle Unsrigen
den strengen Befehl, sich darum nichts zu kümmern.
Keiner durfte fragen, was mir fehle; keiner durfte mich

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[149/0152] Ein Vater aus dem Münsterlande. Im ersten Jahrgange des Missionsblattes (1852) wurde eine Reihe interessanter Mittheilungen gebracht unter dem Titel: „Der rothe Bauer.“ Gegenstand derselben war ein durch und durch vortrefflicher Bauersmann im Münsterlande, dem der rothe Rock, womit er an den hohen Festen des Jahres nach alter Landessitte in der Stadt und in der Kirche erschien, bei der jüngeren Generation den Titel „der rothe Bauer“ eingebracht hatte. Hören wir von dem vielen Schönen und Guten, was in den oben genannten Mittheilungen der Sohn desselben, ein Geistlicher, von seinem vortrefflichen Vater erzählt, hier das, was über ihn als Vater gesagt wurde. „Er war ein guter Pädagog (Erzieher), obschon er nur seinem gesunden Menschenverstande folgte und niemals in seinem Leben pädagogische Schriften ge- lesen hatte. Ich besaß ein sehr aufgeregtes Tempera- ment, ließ mich von jeder Gemüthsaffektion leiten und hinreißen. Mein Vater aber verstand es, meiner Lebhaftigkeit einen Zaum anzulegen und mich durch verschiedene Verdemüthigungen zu besänftigen. Wenn ich mit einem Knechte oder einem von meinen drei Brüdern im Streite lag, so mußte ich zuerst die Hand der Versöhnung anbieten, wenn ich mich nicht seinem Unwillen, den ich über Alles fürchtete, aussetzen wollte. War ich unwillig über irgend etwas und wollte ich dann weder essen noch reden, so hatten alle Unsrigen den strengen Befehl, sich darum nichts zu kümmern. Keiner durfte fragen, was mir fehle; keiner durfte mich

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Zitationshilfe: Cramer, Wilhelm: Der christliche Vater wie er sein und was er thun soll. Nebst einem Anhange von Gebeten für denselben. Dülmen, 1874, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_mutter_1874/152>, abgerufen am 23.11.2024.