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Cramer, Johann Andreas: Andachten in Betrachtungen, Gebeten und Liedern über Gott, seine Eigenschaften und Werke. Erster Theil. Schleßwig, 1764.

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edle und gottgefällige Neigung zur Frömmigkeit,
Rechtschaffenheit und Tugend schuldig bin?
O das sey ewig meine Freude, daß ich mich zu
Gott halte! Wenn ich nur ihn habe, so frage
ich nichts nach Himmel und Erde. Wenn mir
gleich Leib und Seele verschmachteten, so ist er
doch meines Herzens Trost und mein Theil!

Jch darf mich selbst lieben; aber als ein
Wesen, das nicht von sich selbst ist, sondern sein
Daseyn, alle seine Fähigkeiten und Kräfte von
Gott, seinem ewigen Schöpfer und Wohlthäter
empfangen hat, und nur durch seine Güte und
Barmherzigkeit glückseelig werden kann. Was
erfreut meine Sinne, was giebt meinem Ver-
stande und Herzen Freude, das ich nicht ihm al-
lein schuldig bin? Wenn er mir bloß mein Da-
seyn ließe, mir aber alle seine andern Wohltha-
ten nähme, wie dürftig, wie arm und elend
würde ich nicht seyn? Wenn er alle seine Ge-
schenke, alle Vorzüge, die ich ihm zu danken ha-
be, zurückfoderte: Was könnte mir an mir selbst
gefallen; was besäße ich, worüber ich mich
freuen könnte? Jch darf mich selbst lieben; das
ist, ich darf wünschen, vollkommner und glück-
licher zu werden; ich darf, ich soll mich bestre-
ben, dieses feurige Verlangen meiner Seele zu

be-
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edle und gottgefällige Neigung zur Frömmigkeit,
Rechtſchaffenheit und Tugend ſchuldig bin?
O das ſey ewig meine Freude, daß ich mich zu
Gott halte! Wenn ich nur ihn habe, ſo frage
ich nichts nach Himmel und Erde. Wenn mir
gleich Leib und Seele verſchmachteten, ſo iſt er
doch meines Herzens Troſt und mein Theil!

Jch darf mich ſelbſt lieben; aber als ein
Weſen, das nicht von ſich ſelbſt iſt, ſondern ſein
Daſeyn, alle ſeine Fähigkeiten und Kräfte von
Gott, ſeinem ewigen Schöpfer und Wohlthäter
empfangen hat, und nur durch ſeine Güte und
Barmherzigkeit glückſeelig werden kann. Was
erfreut meine Sinne, was giebt meinem Ver-
ſtande und Herzen Freude, das ich nicht ihm al-
lein ſchuldig bin? Wenn er mir bloß mein Da-
ſeyn ließe, mir aber alle ſeine andern Wohltha-
ten nähme, wie dürftig, wie arm und elend
würde ich nicht ſeyn? Wenn er alle ſeine Ge-
ſchenke, alle Vorzüge, die ich ihm zu danken ha-
be, zurückfoderte: Was könnte mir an mir ſelbſt
gefallen; was beſäße ich, worüber ich mich
freuen könnte? Jch darf mich ſelbſt lieben; das
iſt, ich darf wünſchen, vollkommner und glück-
licher zu werden; ich darf, ich ſoll mich beſtre-
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be-
A a 5
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[377/0391] edle und gottgefällige Neigung zur Frömmigkeit, Rechtſchaffenheit und Tugend ſchuldig bin? O das ſey ewig meine Freude, daß ich mich zu Gott halte! Wenn ich nur ihn habe, ſo frage ich nichts nach Himmel und Erde. Wenn mir gleich Leib und Seele verſchmachteten, ſo iſt er doch meines Herzens Troſt und mein Theil! Jch darf mich ſelbſt lieben; aber als ein Weſen, das nicht von ſich ſelbſt iſt, ſondern ſein Daſeyn, alle ſeine Fähigkeiten und Kräfte von Gott, ſeinem ewigen Schöpfer und Wohlthäter empfangen hat, und nur durch ſeine Güte und Barmherzigkeit glückſeelig werden kann. Was erfreut meine Sinne, was giebt meinem Ver- ſtande und Herzen Freude, das ich nicht ihm al- lein ſchuldig bin? Wenn er mir bloß mein Da- ſeyn ließe, mir aber alle ſeine andern Wohltha- ten nähme, wie dürftig, wie arm und elend würde ich nicht ſeyn? Wenn er alle ſeine Ge- ſchenke, alle Vorzüge, die ich ihm zu danken ha- be, zurückfoderte: Was könnte mir an mir ſelbſt gefallen; was beſäße ich, worüber ich mich freuen könnte? Jch darf mich ſelbſt lieben; das iſt, ich darf wünſchen, vollkommner und glück- licher zu werden; ich darf, ich ſoll mich beſtre- ben, dieſes feurige Verlangen meiner Seele zu be- A a 5

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Zitationshilfe: Cramer, Johann Andreas: Andachten in Betrachtungen, Gebeten und Liedern über Gott, seine Eigenschaften und Werke. Erster Theil. Schleßwig, 1764, S. 377. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_andachten01_1764/391>, abgerufen am 22.11.2024.