Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Cramer, Johann Andreas: Andachten in Betrachtungen, Gebeten und Liedern über Gott, seine Eigenschaften und Werke. Erster Theil. Schleßwig, 1764.

Bild:
<< vorherige Seite

Götter ins Unendliche. Fast alle edlern und
unedlern Geschöpfe, unzählbare Wesen der Er-
dichtung, und sogar ihre Laster wurden zum
Range der Gottheit erhoben. Jhre Götter wa-
ren also nach ihren Begriffen Wesen von sehr ver-
schiednen Eigenschaften und Kräften. Kein ein-
ziger hatte die unendliche Kraft, alles, was ist, zu
erschaffen, zu regieren, und in seiner Fortdauer
zu erhalten. Die Vorstellung, daß die erste
nothwendige Ursache aller Dinge eine unendliche
Erkenntniß, Weisheit, Macht, Güte und Herr-
schaft besitzen müsse, war verlohren, und weil sie
die Macht höherer Wesen nach ihren eignen Kräf-
ten maßen, so kam es ihnen nicht einmal in den
Sinn, daß Ein Gott mächtig und groß genug
wäre, das ganze Weltgebäude zu erschaffen und
zu regieren. Sie bildeten sich ein, eine einzige
Gottheit hätte genug zu thun, bloß die Sonne
in ihrem Laufe zu erhalten, oder den Winden zu
gebieten, oder die Erde mit den Reichthümern
der Erndte zu erfüllen. Sie hielten sich für got-
tesfürchtig genug, wenn sie die mannichfaltigen
Wunder Einer unendlichen Kraft verschiednen
Wesen zuschrieben, die sich vereinigt hätten, sie
hervorzubringen; wenn sie einem jeden davon ei-
nen Gottesdienst bestimmten, der ihnen der
Wohlthat gemäß zu seyn schiene, welche sie von

ihm

Götter ins Unendliche. Faſt alle edlern und
unedlern Geſchöpfe, unzählbare Weſen der Er-
dichtung, und ſogar ihre Laſter wurden zum
Range der Gottheit erhoben. Jhre Götter wa-
ren alſo nach ihren Begriffen Weſen von ſehr ver-
ſchiednen Eigenſchaften und Kräften. Kein ein-
ziger hatte die unendliche Kraft, alles, was iſt, zu
erſchaffen, zu regieren, und in ſeiner Fortdauer
zu erhalten. Die Vorſtellung, daß die erſte
nothwendige Urſache aller Dinge eine unendliche
Erkenntniß, Weisheit, Macht, Güte und Herr-
ſchaft beſitzen müſſe, war verlohren, und weil ſie
die Macht höherer Weſen nach ihren eignen Kräf-
ten maßen, ſo kam es ihnen nicht einmal in den
Sinn, daß Ein Gott mächtig und groß genug
wäre, das ganze Weltgebäude zu erſchaffen und
zu regieren. Sie bildeten ſich ein, eine einzige
Gottheit hätte genug zu thun, bloß die Sonne
in ihrem Laufe zu erhalten, oder den Winden zu
gebieten, oder die Erde mit den Reichthümern
der Erndte zu erfüllen. Sie hielten ſich für got-
tesfürchtig genug, wenn ſie die mannichfaltigen
Wunder Einer unendlichen Kraft verſchiednen
Weſen zuſchrieben, die ſich vereinigt hätten, ſie
hervorzubringen; wenn ſie einem jeden davon ei-
nen Gottesdienſt beſtimmten, der ihnen der
Wohlthat gemäß zu ſeyn ſchiene, welche ſie von

ihm
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0363" n="349"/>
Götter ins Unendliche. Fa&#x017F;t alle edlern und<lb/>
unedlern Ge&#x017F;chöpfe, unzählbare We&#x017F;en der Er-<lb/>
dichtung, und &#x017F;ogar ihre La&#x017F;ter wurden zum<lb/>
Range der Gottheit erhoben. Jhre Götter wa-<lb/>
ren al&#x017F;o nach ihren Begriffen We&#x017F;en von &#x017F;ehr ver-<lb/>
&#x017F;chiednen Eigen&#x017F;chaften und Kräften. Kein ein-<lb/>
ziger hatte die unendliche Kraft, alles, was i&#x017F;t, zu<lb/>
er&#x017F;chaffen, zu regieren, und in &#x017F;einer Fortdauer<lb/>
zu erhalten. Die Vor&#x017F;tellung, daß die er&#x017F;te<lb/>
nothwendige Ur&#x017F;ache aller Dinge eine unendliche<lb/>
Erkenntniß, Weisheit, Macht, Güte und Herr-<lb/>
&#x017F;chaft be&#x017F;itzen mü&#x017F;&#x017F;e, war verlohren, und weil &#x017F;ie<lb/>
die Macht höherer We&#x017F;en nach ihren eignen Kräf-<lb/>
ten maßen, &#x017F;o kam es ihnen nicht einmal in den<lb/>
Sinn, daß Ein Gott mächtig und groß genug<lb/>
wäre, das ganze Weltgebäude zu er&#x017F;chaffen und<lb/>
zu regieren. Sie bildeten &#x017F;ich ein, eine einzige<lb/>
Gottheit hätte genug zu thun, bloß die Sonne<lb/>
in ihrem Laufe zu erhalten, oder den Winden zu<lb/>
gebieten, oder die Erde mit den Reichthümern<lb/>
der Erndte zu erfüllen. Sie hielten &#x017F;ich für got-<lb/>
tesfürchtig genug, wenn &#x017F;ie die mannichfaltigen<lb/>
Wunder Einer unendlichen Kraft ver&#x017F;chiednen<lb/>
We&#x017F;en zu&#x017F;chrieben, die &#x017F;ich vereinigt hätten, &#x017F;ie<lb/>
hervorzubringen; wenn &#x017F;ie einem jeden davon ei-<lb/>
nen Gottesdien&#x017F;t be&#x017F;timmten, der ihnen der<lb/>
Wohlthat gemäß zu &#x017F;eyn &#x017F;chiene, welche &#x017F;ie von<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ihm</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[349/0363] Götter ins Unendliche. Faſt alle edlern und unedlern Geſchöpfe, unzählbare Weſen der Er- dichtung, und ſogar ihre Laſter wurden zum Range der Gottheit erhoben. Jhre Götter wa- ren alſo nach ihren Begriffen Weſen von ſehr ver- ſchiednen Eigenſchaften und Kräften. Kein ein- ziger hatte die unendliche Kraft, alles, was iſt, zu erſchaffen, zu regieren, und in ſeiner Fortdauer zu erhalten. Die Vorſtellung, daß die erſte nothwendige Urſache aller Dinge eine unendliche Erkenntniß, Weisheit, Macht, Güte und Herr- ſchaft beſitzen müſſe, war verlohren, und weil ſie die Macht höherer Weſen nach ihren eignen Kräf- ten maßen, ſo kam es ihnen nicht einmal in den Sinn, daß Ein Gott mächtig und groß genug wäre, das ganze Weltgebäude zu erſchaffen und zu regieren. Sie bildeten ſich ein, eine einzige Gottheit hätte genug zu thun, bloß die Sonne in ihrem Laufe zu erhalten, oder den Winden zu gebieten, oder die Erde mit den Reichthümern der Erndte zu erfüllen. Sie hielten ſich für got- tesfürchtig genug, wenn ſie die mannichfaltigen Wunder Einer unendlichen Kraft verſchiednen Weſen zuſchrieben, die ſich vereinigt hätten, ſie hervorzubringen; wenn ſie einem jeden davon ei- nen Gottesdienſt beſtimmten, der ihnen der Wohlthat gemäß zu ſeyn ſchiene, welche ſie von ihm

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_andachten01_1764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_andachten01_1764/363
Zitationshilfe: Cramer, Johann Andreas: Andachten in Betrachtungen, Gebeten und Liedern über Gott, seine Eigenschaften und Werke. Erster Theil. Schleßwig, 1764, S. 349. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_andachten01_1764/363>, abgerufen am 26.06.2024.