Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Cramer, Johann Andreas: Andachten in Betrachtungen, Gebeten und Liedern über Gott, seine Eigenschaften und Werke. Erster Theil. Schleßwig, 1764.

Bild:
<< vorherige Seite

nen Körper zu mannichfaltigen Wirkungen und
Verrichtungen braucht, die ihm angenehm oder
verdrießlich, nützlich oder schädlich sind.

Aber wie genau ist nicht die Gemeinschaft
und Vereinigung zwischen meinem Geiste und
meinem Leibe! Meine Seele kann, wenigstens in
diesem Leben, dieses edlen Werkzeuges nicht ent-
behren, wenn sie die Wirkungen, zu denen sie
bestimmt ist, erzeugen soll. Es muß auch, ehe
sie ihre mannichfaltigen Verrichtungen anfangen;
ehe sie dasselbe zu ihren Geschäfften brauchen kann,
nach allen seinen Theilen seine gehörige Stärke
und Vollkommenheit haben. Die Augen, die
Ohren, die Werkzeuge des Geruches, des Ge-
schmacks und des Gefühls müssen nebst allen Ner-
ven ausgebildet und im Stande seyn, der Seele
die Dienste zu leisten, die sie von ihnen erwartet,
oder sie kann auch weder mit ihrem Verstande
noch mit ihrem Willen diejenigen Gedanken und
Handlungen, die unter dieser Bedingung durch
ihre Kraft möglich sind, hervorbringen und er-
zeugen. Ein Bildhauer sey ein noch so großer
und geschickter Künstler; wenn der Meisel, mit
dem er arbeiten soll, zu weich ist, oder keine
Schärfe hat, so wird ihm jede Bildsäule mißra-
then, die er verfertigen will. Man wird sich in

kei-

nen Körper zu mannichfaltigen Wirkungen und
Verrichtungen braucht, die ihm angenehm oder
verdrießlich, nützlich oder ſchädlich ſind.

Aber wie genau iſt nicht die Gemeinſchaft
und Vereinigung zwiſchen meinem Geiſte und
meinem Leibe! Meine Seele kann, wenigſtens in
dieſem Leben, dieſes edlen Werkzeuges nicht ent-
behren, wenn ſie die Wirkungen, zu denen ſie
beſtimmt iſt, erzeugen ſoll. Es muß auch, ehe
ſie ihre mannichfaltigen Verrichtungen anfangen;
ehe ſie daſſelbe zu ihren Geſchäfften brauchen kann,
nach allen ſeinen Theilen ſeine gehörige Stärke
und Vollkommenheit haben. Die Augen, die
Ohren, die Werkzeuge des Geruches, des Ge-
ſchmacks und des Gefühls müſſen nebſt allen Ner-
ven ausgebildet und im Stande ſeyn, der Seele
die Dienſte zu leiſten, die ſie von ihnen erwartet,
oder ſie kann auch weder mit ihrem Verſtande
noch mit ihrem Willen diejenigen Gedanken und
Handlungen, die unter dieſer Bedingung durch
ihre Kraft möglich ſind, hervorbringen und er-
zeugen. Ein Bildhauer ſey ein noch ſo großer
und geſchickter Künſtler; wenn der Meiſel, mit
dem er arbeiten ſoll, zu weich iſt, oder keine
Schärfe hat, ſo wird ihm jede Bildſäule mißra-
then, die er verfertigen will. Man wird ſich in

kei-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0312" n="298"/>
nen Körper zu mannichfaltigen Wirkungen und<lb/>
Verrichtungen braucht, die ihm angenehm oder<lb/>
verdrießlich, nützlich oder &#x017F;chädlich &#x017F;ind.</p><lb/>
        <p>Aber wie genau i&#x017F;t nicht die Gemein&#x017F;chaft<lb/>
und Vereinigung zwi&#x017F;chen meinem Gei&#x017F;te und<lb/>
meinem Leibe! Meine Seele kann, wenig&#x017F;tens in<lb/>
die&#x017F;em Leben, die&#x017F;es edlen Werkzeuges nicht ent-<lb/>
behren, wenn &#x017F;ie die Wirkungen, zu denen &#x017F;ie<lb/>
be&#x017F;timmt i&#x017F;t, erzeugen &#x017F;oll. Es muß auch, ehe<lb/>
&#x017F;ie ihre mannichfaltigen Verrichtungen anfangen;<lb/>
ehe &#x017F;ie da&#x017F;&#x017F;elbe zu ihren Ge&#x017F;chäfften brauchen kann,<lb/>
nach allen &#x017F;einen Theilen &#x017F;eine gehörige Stärke<lb/>
und Vollkommenheit haben. Die Augen, die<lb/>
Ohren, die Werkzeuge des Geruches, des Ge-<lb/>
&#x017F;chmacks und des Gefühls mü&#x017F;&#x017F;en neb&#x017F;t allen Ner-<lb/>
ven ausgebildet und im Stande &#x017F;eyn, der Seele<lb/>
die Dien&#x017F;te zu lei&#x017F;ten, die &#x017F;ie von ihnen erwartet,<lb/>
oder &#x017F;ie kann auch weder mit ihrem Ver&#x017F;tande<lb/>
noch mit ihrem Willen diejenigen Gedanken und<lb/>
Handlungen, die unter die&#x017F;er Bedingung durch<lb/>
ihre Kraft möglich &#x017F;ind, hervorbringen und er-<lb/>
zeugen. Ein Bildhauer &#x017F;ey ein noch &#x017F;o großer<lb/>
und ge&#x017F;chickter Kün&#x017F;tler; wenn der Mei&#x017F;el, mit<lb/>
dem er arbeiten &#x017F;oll, zu weich i&#x017F;t, oder keine<lb/>
Schärfe hat, &#x017F;o wird ihm jede Bild&#x017F;äule mißra-<lb/>
then, die er verfertigen will. Man wird &#x017F;ich in<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">kei-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[298/0312] nen Körper zu mannichfaltigen Wirkungen und Verrichtungen braucht, die ihm angenehm oder verdrießlich, nützlich oder ſchädlich ſind. Aber wie genau iſt nicht die Gemeinſchaft und Vereinigung zwiſchen meinem Geiſte und meinem Leibe! Meine Seele kann, wenigſtens in dieſem Leben, dieſes edlen Werkzeuges nicht ent- behren, wenn ſie die Wirkungen, zu denen ſie beſtimmt iſt, erzeugen ſoll. Es muß auch, ehe ſie ihre mannichfaltigen Verrichtungen anfangen; ehe ſie daſſelbe zu ihren Geſchäfften brauchen kann, nach allen ſeinen Theilen ſeine gehörige Stärke und Vollkommenheit haben. Die Augen, die Ohren, die Werkzeuge des Geruches, des Ge- ſchmacks und des Gefühls müſſen nebſt allen Ner- ven ausgebildet und im Stande ſeyn, der Seele die Dienſte zu leiſten, die ſie von ihnen erwartet, oder ſie kann auch weder mit ihrem Verſtande noch mit ihrem Willen diejenigen Gedanken und Handlungen, die unter dieſer Bedingung durch ihre Kraft möglich ſind, hervorbringen und er- zeugen. Ein Bildhauer ſey ein noch ſo großer und geſchickter Künſtler; wenn der Meiſel, mit dem er arbeiten ſoll, zu weich iſt, oder keine Schärfe hat, ſo wird ihm jede Bildſäule mißra- then, die er verfertigen will. Man wird ſich in kei-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_andachten01_1764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_andachten01_1764/312
Zitationshilfe: Cramer, Johann Andreas: Andachten in Betrachtungen, Gebeten und Liedern über Gott, seine Eigenschaften und Werke. Erster Theil. Schleßwig, 1764, S. 298. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_andachten01_1764/312>, abgerufen am 26.06.2024.