Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Cramer, Johann Andreas: Andachten in Betrachtungen, Gebeten und Liedern über Gott, seine Eigenschaften und Werke. Erster Theil. Schleßwig, 1764.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>

Augenblicke mit solchen Wirkungen ihrer Kraft,
ohne sich einmal der Regeln und Gesetze bewußt
zu seyn, nach welcher sie erfolgen, ob ich gleich
auch durch Aufmerksamkeit und Nachdenken diese
Regeln und Gesetze, wo nicht alle, doch zum
Theil entdecken und einsehen kann.

Um aller dieser Kräfte willen bin ich ein
verständiges Wesen. Jch habe Verstand,
weil ich durch die innre und äußere Empfindung
Gedanken erzeugen, sie von einander unterschei-
den, trennen, und mit einander verknüpfen,
ihre Verhältnisse gegen einander beobachten, und
ihren Zusammenhang mit einander einsehen, und
erkennen kann, was Wahrheit, und was Jrr-
thum ist. Jede Kraft kömmt der andern zu
Hülfe, und wenn auch eine vor der andern zu ge-
wissen Zeiten stärker wirkt, als die andre, so ist
doch niemals eine ganz müßig. Mit welcher Leb-
haftigkeit, Stärke und Geschwindigkeit wirken
sie nicht! Und welche mannichfaltige Wirkungen
sind nicht durch sie möglich!

Unterdeß ist der Verstand mit seinen man-
nichfaltigen Wirkungen nicht die einzige Kraft
meiner Seele! Jch habe von meinem Schöpfer
auch den Willen empfangen, dieses herrliche

Ver-
T 3

Augenblicke mit ſolchen Wirkungen ihrer Kraft,
ohne ſich einmal der Regeln und Geſetze bewußt
zu ſeyn, nach welcher ſie erfolgen, ob ich gleich
auch durch Aufmerkſamkeit und Nachdenken dieſe
Regeln und Geſetze, wo nicht alle, doch zum
Theil entdecken und einſehen kann.

Um aller dieſer Kräfte willen bin ich ein
verſtändiges Weſen. Jch habe Verſtand,
weil ich durch die innre und äußere Empfindung
Gedanken erzeugen, ſie von einander unterſchei-
den, trennen, und mit einander verknüpfen,
ihre Verhältniſſe gegen einander beobachten, und
ihren Zuſammenhang mit einander einſehen, und
erkennen kann, was Wahrheit, und was Jrr-
thum iſt. Jede Kraft kömmt der andern zu
Hülfe, und wenn auch eine vor der andern zu ge-
wiſſen Zeiten ſtärker wirkt, als die andre, ſo iſt
doch niemals eine ganz müßig. Mit welcher Leb-
haftigkeit, Stärke und Geſchwindigkeit wirken
ſie nicht! Und welche mannichfaltige Wirkungen
ſind nicht durch ſie möglich!

Unterdeß iſt der Verſtand mit ſeinen man-
nichfaltigen Wirkungen nicht die einzige Kraft
meiner Seele! Jch habe von meinem Schöpfer
auch den Willen empfangen, dieſes herrliche

Ver-
T 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0307" n="293"/>
Augenblicke mit &#x017F;olchen Wirkungen ihrer Kraft,<lb/>
ohne &#x017F;ich einmal der Regeln und Ge&#x017F;etze bewußt<lb/>
zu &#x017F;eyn, nach welcher &#x017F;ie erfolgen, ob ich gleich<lb/>
auch durch Aufmerk&#x017F;amkeit und Nachdenken die&#x017F;e<lb/>
Regeln und Ge&#x017F;etze, wo nicht alle, doch zum<lb/>
Theil entdecken und ein&#x017F;ehen kann.</p><lb/>
        <p>Um aller die&#x017F;er Kräfte willen bin ich ein<lb/>
ver&#x017F;tändiges We&#x017F;en. Jch habe Ver&#x017F;tand,<lb/>
weil ich durch die innre und äußere Empfindung<lb/>
Gedanken erzeugen, &#x017F;ie von einander unter&#x017F;chei-<lb/>
den, trennen, und mit einander verknüpfen,<lb/>
ihre Verhältni&#x017F;&#x017F;e gegen einander beobachten, und<lb/>
ihren Zu&#x017F;ammenhang mit einander ein&#x017F;ehen, und<lb/>
erkennen kann, was Wahrheit, und was Jrr-<lb/>
thum i&#x017F;t. Jede Kraft kömmt der andern zu<lb/>
Hülfe, und wenn auch eine vor der andern zu ge-<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en Zeiten &#x017F;tärker wirkt, als die andre, &#x017F;o i&#x017F;t<lb/>
doch niemals eine ganz müßig. Mit welcher Leb-<lb/>
haftigkeit, Stärke und Ge&#x017F;chwindigkeit wirken<lb/>
&#x017F;ie nicht! Und welche mannichfaltige Wirkungen<lb/>
&#x017F;ind nicht durch &#x017F;ie möglich!</p><lb/>
        <p>Unterdeß i&#x017F;t der Ver&#x017F;tand mit &#x017F;einen man-<lb/>
nichfaltigen Wirkungen nicht die einzige Kraft<lb/>
meiner Seele! Jch habe von meinem Schöpfer<lb/>
auch den Willen empfangen, die&#x017F;es herrliche<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">T 3</fw><fw place="bottom" type="catch">Ver-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[293/0307] Augenblicke mit ſolchen Wirkungen ihrer Kraft, ohne ſich einmal der Regeln und Geſetze bewußt zu ſeyn, nach welcher ſie erfolgen, ob ich gleich auch durch Aufmerkſamkeit und Nachdenken dieſe Regeln und Geſetze, wo nicht alle, doch zum Theil entdecken und einſehen kann. Um aller dieſer Kräfte willen bin ich ein verſtändiges Weſen. Jch habe Verſtand, weil ich durch die innre und äußere Empfindung Gedanken erzeugen, ſie von einander unterſchei- den, trennen, und mit einander verknüpfen, ihre Verhältniſſe gegen einander beobachten, und ihren Zuſammenhang mit einander einſehen, und erkennen kann, was Wahrheit, und was Jrr- thum iſt. Jede Kraft kömmt der andern zu Hülfe, und wenn auch eine vor der andern zu ge- wiſſen Zeiten ſtärker wirkt, als die andre, ſo iſt doch niemals eine ganz müßig. Mit welcher Leb- haftigkeit, Stärke und Geſchwindigkeit wirken ſie nicht! Und welche mannichfaltige Wirkungen ſind nicht durch ſie möglich! Unterdeß iſt der Verſtand mit ſeinen man- nichfaltigen Wirkungen nicht die einzige Kraft meiner Seele! Jch habe von meinem Schöpfer auch den Willen empfangen, dieſes herrliche Ver- T 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_andachten01_1764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_andachten01_1764/307
Zitationshilfe: Cramer, Johann Andreas: Andachten in Betrachtungen, Gebeten und Liedern über Gott, seine Eigenschaften und Werke. Erster Theil. Schleßwig, 1764, S. 293. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_andachten01_1764/307>, abgerufen am 23.11.2024.