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Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889].

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Frau Lydia sorglos vor. Sie erhielt einen etwas
mißbilligenden Blick von ihrem Herrn Vetter.

"Sie kommen eben aus Italien, Herr Referen-
dar --?" fragte Herr Quöck seinen Gast, weniger
aus Theilnahme oder objectivem Interesse, als aus dem
Bedürfniß heraus, sich über die peinliche Zwischen-
aktsfrist nach Kräften hinwegzutäuschen. Er hatte
wirklich redlichen Hunger.

"Ja --! Das heißt -- ich bin schon vier
Wochen wieder in Deutschland ... Es war ja
ganz nett jenseits der Alpen -- natürlich! Aber
es gab doch 'n Bissel zu viel -- Schmutz ... Die
Damen verzeihen, allein die Wahrheit über Alles --"

"Bravo, Herr Referendar!" rief Adam ungenirt.
Ihm kam das Geständniß und zumal die Entschul-
digungsphrase Herrn Oettingers überaus drollig vor.

Der platzte dem Bravorufer mit einem ungnädigen
Blicke entgegen, in welchem Blicke allerdings zu-
gleich ein verhaltenes Erschrockensein lag. Frau
Lydia trug ein moquantes Lächeln um die Mund-
winkel. Sie sah Adam an, der erwiderte ihren
Blick. Und Herr Oettinger, welcher dieses Herüber
und Hinüber der Augen bemerkt, schaute wirklich
einen Moment lang rechtschaffen unzufrieden aus.

Der Märzwind schnob die Straße entlang. Das
war ein wüthiges Brausen, als stünde das Herz des
körperlosen Athemgottes in hellen Zornesflammen,
als suchte er etwas Verlorenes, das ihm entwischt
wäre .. und das er durchaus nicht wieder finden
könnte ... durchaus nicht ...

Frau Lydia ſorglos vor. Sie erhielt einen etwas
mißbilligenden Blick von ihrem Herrn Vetter.

„Sie kommen eben aus Italien, Herr Referen-
dar —?“ fragte Herr Quöck ſeinen Gaſt, weniger
aus Theilnahme oder objectivem Intereſſe, als aus dem
Bedürfniß heraus, ſich über die peinliche Zwiſchen-
aktsfriſt nach Kräften hinwegzutäuſchen. Er hatte
wirklich redlichen Hunger.

„Ja —! Das heißt — ich bin ſchon vier
Wochen wieder in Deutſchland ... Es war ja
ganz nett jenſeits der Alpen — natürlich! Aber
es gab doch 'n Biſſel zu viel — Schmutz ... Die
Damen verzeihen, allein die Wahrheit über Alles —“

„Bravo, Herr Referendar!“ rief Adam ungenirt.
Ihm kam das Geſtändniß und zumal die Entſchul-
digungsphraſe Herrn Oettingers überaus drollig vor.

Der platzte dem Bravorufer mit einem ungnädigen
Blicke entgegen, in welchem Blicke allerdings zu-
gleich ein verhaltenes Erſchrockenſein lag. Frau
Lydia trug ein moquantes Lächeln um die Mund-
winkel. Sie ſah Adam an, der erwiderte ihren
Blick. Und Herr Oettinger, welcher dieſes Herüber
und Hinüber der Augen bemerkt, ſchaute wirklich
einen Moment lang rechtſchaffen unzufrieden aus.

Der Märzwind ſchnob die Straße entlang. Das
war ein wüthiges Brauſen, als ſtünde das Herz des
körperloſen Athemgottes in hellen Zornesflammen,
als ſuchte er etwas Verlorenes, das ihm entwiſcht
wäre .. und das er durchaus nicht wieder finden
könnte ... durchaus nicht ...

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[45/0053] Frau Lydia ſorglos vor. Sie erhielt einen etwas mißbilligenden Blick von ihrem Herrn Vetter. „Sie kommen eben aus Italien, Herr Referen- dar —?“ fragte Herr Quöck ſeinen Gaſt, weniger aus Theilnahme oder objectivem Intereſſe, als aus dem Bedürfniß heraus, ſich über die peinliche Zwiſchen- aktsfriſt nach Kräften hinwegzutäuſchen. Er hatte wirklich redlichen Hunger. „Ja —! Das heißt — ich bin ſchon vier Wochen wieder in Deutſchland ... Es war ja ganz nett jenſeits der Alpen — natürlich! Aber es gab doch 'n Biſſel zu viel — Schmutz ... Die Damen verzeihen, allein die Wahrheit über Alles —“ „Bravo, Herr Referendar!“ rief Adam ungenirt. Ihm kam das Geſtändniß und zumal die Entſchul- digungsphraſe Herrn Oettingers überaus drollig vor. Der platzte dem Bravorufer mit einem ungnädigen Blicke entgegen, in welchem Blicke allerdings zu- gleich ein verhaltenes Erſchrockenſein lag. Frau Lydia trug ein moquantes Lächeln um die Mund- winkel. Sie ſah Adam an, der erwiderte ihren Blick. Und Herr Oettinger, welcher dieſes Herüber und Hinüber der Augen bemerkt, ſchaute wirklich einen Moment lang rechtſchaffen unzufrieden aus. Der Märzwind ſchnob die Straße entlang. Das war ein wüthiges Brauſen, als ſtünde das Herz des körperloſen Athemgottes in hellen Zornesflammen, als ſuchte er etwas Verlorenes, das ihm entwiſcht wäre .. und das er durchaus nicht wieder finden könnte ... durchaus nicht ...

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Zitationshilfe: Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/53>, abgerufen am 29.11.2024.