Adam musterte den Ankömmling mit scharfen Blicken. Er bemerkte, wie dessen Augen sich sehr intim mit dem Erfassen von Frau Lydias mensch- licher Ausgedrücktheit beschäftigten. Die streifte ihn mit einem kurzen Blicke, wandte sich sodann wieder Adam zu und kehrte nochmals zum Gesicht Herrn Oettingers zurück. Adam konnte sich eines verkapp- ten Lächelns nicht enthalten. Aha! Sie vergleicht! constatirte er stillvergnügt. Wie doch die Weiber sofort an das Aeußere, an die zufällige Erscheinung anknüpfen! Plötzlich verspürte er den Blick Lydias anhaltend auf sich. Er reagirte naiv-brüsk auf diese augenscheinliche Zurechtweisung. Die Beiden verstan- den sich. Und Adam mußte sich mit einer heiteren Befriedigung einräumen, daß Frau Lange seine Ge- danken durchschaut hatte.
Herr Referendar Oettinger besaß im Ganzen sehr nichtssagende, sehr nichtsthuende Züge. Ein matt- rothes, ziemlich volles, prahlerisch gesundes Gesicht. Das Haar mit zudringlicher, beleidigender Sauber- keit in der Mitte gescheitelt. Ein süßliches Gesell- schaftslächeln um den unschönen, langweilig breiten Mund. In Kleidung und Haltung natürlich tadel- los, natürlich "patent." Ein discreter Moschusduft quoll von ihm aus durch den Raum.
"Fräulein Irmer bleibt aber wirklich etwas lange --" urtheilte Herr Quöck, der ziemlich hungrig sein mochte.
"Warten wir doch noch 'ne Sekunde! Wir werden doch nicht 'gleich verhungern --" schlug
Adam muſterte den Ankömmling mit ſcharfen Blicken. Er bemerkte, wie deſſen Augen ſich ſehr intim mit dem Erfaſſen von Frau Lydias menſch- licher Ausgedrücktheit beſchäftigten. Die ſtreifte ihn mit einem kurzen Blicke, wandte ſich ſodann wieder Adam zu und kehrte nochmals zum Geſicht Herrn Oettingers zurück. Adam konnte ſich eines verkapp- ten Lächelns nicht enthalten. Aha! Sie vergleicht! conſtatirte er ſtillvergnügt. Wie doch die Weiber ſofort an das Aeußere, an die zufällige Erſcheinung anknüpfen! Plötzlich verſpürte er den Blick Lydias anhaltend auf ſich. Er reagirte naiv-brüsk auf dieſe augenſcheinliche Zurechtweiſung. Die Beiden verſtan- den ſich. Und Adam mußte ſich mit einer heiteren Befriedigung einräumen, daß Frau Lange ſeine Ge- danken durchſchaut hatte.
Herr Referendar Oettinger beſaß im Ganzen ſehr nichtsſagende, ſehr nichtsthuende Züge. Ein matt- rothes, ziemlich volles, prahleriſch geſundes Geſicht. Das Haar mit zudringlicher, beleidigender Sauber- keit in der Mitte geſcheitelt. Ein ſüßliches Geſell- ſchaftslächeln um den unſchönen, langweilig breiten Mund. In Kleidung und Haltung natürlich tadel- los, natürlich „patent.“ Ein discreter Moſchusduft quoll von ihm aus durch den Raum.
„Fräulein Irmer bleibt aber wirklich etwas lange —“ urtheilte Herr Quöck, der ziemlich hungrig ſein mochte.
„Warten wir doch noch 'ne Sekunde! Wir werden doch nicht 'gleich verhungern —“ ſchlug
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Adam muſterte den Ankömmling mit ſcharfen
Blicken. Er bemerkte, wie deſſen Augen ſich ſehr
intim mit dem Erfaſſen von Frau Lydias menſch-
licher Ausgedrücktheit beſchäftigten. Die ſtreifte ihn
mit einem kurzen Blicke, wandte ſich ſodann wieder
Adam zu und kehrte nochmals zum Geſicht Herrn
Oettingers zurück. Adam konnte ſich eines verkapp-
ten Lächelns nicht enthalten. Aha! Sie vergleicht!
conſtatirte er ſtillvergnügt. Wie doch die Weiber
ſofort an das Aeußere, an die zufällige Erſcheinung
anknüpfen! Plötzlich verſpürte er den Blick Lydias
anhaltend auf ſich. Er reagirte naiv-brüsk auf dieſe
augenſcheinliche Zurechtweiſung. Die Beiden verſtan-
den ſich. Und Adam mußte ſich mit einer heiteren
Befriedigung einräumen, daß Frau Lange ſeine Ge-
danken durchſchaut hatte.
Herr Referendar Oettinger beſaß im Ganzen
ſehr nichtsſagende, ſehr nichtsthuende Züge. Ein matt-
rothes, ziemlich volles, prahleriſch geſundes Geſicht.
Das Haar mit zudringlicher, beleidigender Sauber-
keit in der Mitte geſcheitelt. Ein ſüßliches Geſell-
ſchaftslächeln um den unſchönen, langweilig breiten
Mund. In Kleidung und Haltung natürlich tadel-
los, natürlich „patent.“ Ein discreter Moſchusduft
quoll von ihm aus durch den Raum.
„Fräulein Irmer bleibt aber wirklich etwas
lange —“ urtheilte Herr Quöck, der ziemlich hungrig
ſein mochte.
„Warten wir doch noch 'ne Sekunde! Wir
werden doch nicht 'gleich verhungern —“ ſchlug
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Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/52>, abgerufen am 29.11.2024.
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