Am Portal der Vorhalle stand ein Weib, das Rosen feil hielt. Adam riß eine gelbe Rose aus seinem Korbe, warf der runzligen, abschreckend häß- lichen Hexe einen Fünfziger in die dreckige, ver- krümmte, wie von einem Erdhufe überwachsene Hand und stürzte nach dem Perron.
Es hatte schon zum zweiten Male geläutet. Die Wagenthüren waren schon zugeschlagen, hie und da den Zug entlang gab es hastig-laut plaudernde, unter lebhaftem Gestenspiel sich ausgebende -- oder leicht stockend, beklommen sprechende Gruppen, auf- und niederrennende Schaffner, in der Ferne, gerade unter der großen Uhr, die rothe Mütze des dienst- thuenden Beamten, an den Wagenfenstern da und dort ein Gesicht, gleichgültig oder ernst, weil es vielleicht einen Abschied, einen schmerzlichen Abschied, gilt .. Adam spähte herum, jetzt entdeckte er seine Braut, die sich aus dem Fenster eines Wagens zweiter Klasse lehnte und ihm zuwinkte. Der Wagen stand ziemlich weit vorn, nahe an der Lokomotive.
Ein helles Freudenlächeln huschte über Lydias Gesicht, als sie Adam im letzten Augenblick doch noch vor sich sah. Sie hatte schon alle Hoffnung aufgegeben. Sie war ganz traurig geworden, sein Wegbleiben hatte sie verstimmt, am liebsten wäre sie wieder ausgestiegen. Nun war er doch noch ge- kommen. Das war so gut von ihm. Sie sah ihn zärtlich an, als er vor ihr stand, vor Aufregung kein Wort über die Lippen bringen konnte und ihr nur stumm die Rose reichte.
Am Portal der Vorhalle ſtand ein Weib, das Roſen feil hielt. Adam riß eine gelbe Roſe aus ſeinem Korbe, warf der runzligen, abſchreckend häß- lichen Hexe einen Fünfziger in die dreckige, ver- krümmte, wie von einem Erdhufe überwachſene Hand und ſtürzte nach dem Perron.
Es hatte ſchon zum zweiten Male geläutet. Die Wagenthüren waren ſchon zugeſchlagen, hie und da den Zug entlang gab es haſtig-laut plaudernde, unter lebhaftem Geſtenſpiel ſich ausgebende — oder leicht ſtockend, beklommen ſprechende Gruppen, auf- und niederrennende Schaffner, in der Ferne, gerade unter der großen Uhr, die rothe Mütze des dienſt- thuenden Beamten, an den Wagenfenſtern da und dort ein Geſicht, gleichgültig oder ernſt, weil es vielleicht einen Abſchied, einen ſchmerzlichen Abſchied, gilt .. Adam ſpähte herum, jetzt entdeckte er ſeine Braut, die ſich aus dem Fenſter eines Wagens zweiter Klaſſe lehnte und ihm zuwinkte. Der Wagen ſtand ziemlich weit vorn, nahe an der Lokomotive.
Ein helles Freudenlächeln huſchte über Lydias Geſicht, als ſie Adam im letzten Augenblick doch noch vor ſich ſah. Sie hatte ſchon alle Hoffnung aufgegeben. Sie war ganz traurig geworden, ſein Wegbleiben hatte ſie verſtimmt, am liebſten wäre ſie wieder ausgeſtiegen. Nun war er doch noch ge- kommen. Das war ſo gut von ihm. Sie ſah ihn zärtlich an, als er vor ihr ſtand, vor Aufregung kein Wort über die Lippen bringen konnte und ihr nur ſtumm die Roſe reichte.
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Am Portal der Vorhalle ſtand ein Weib, das
Roſen feil hielt. Adam riß eine gelbe Roſe aus
ſeinem Korbe, warf der runzligen, abſchreckend häß-
lichen Hexe einen Fünfziger in die dreckige, ver-
krümmte, wie von einem Erdhufe überwachſene
Hand und ſtürzte nach dem Perron.
Es hatte ſchon zum zweiten Male geläutet. Die
Wagenthüren waren ſchon zugeſchlagen, hie und da
den Zug entlang gab es haſtig-laut plaudernde,
unter lebhaftem Geſtenſpiel ſich ausgebende — oder
leicht ſtockend, beklommen ſprechende Gruppen, auf-
und niederrennende Schaffner, in der Ferne, gerade
unter der großen Uhr, die rothe Mütze des dienſt-
thuenden Beamten, an den Wagenfenſtern da und
dort ein Geſicht, gleichgültig oder ernſt, weil es
vielleicht einen Abſchied, einen ſchmerzlichen Abſchied,
gilt .. Adam ſpähte herum, jetzt entdeckte er ſeine
Braut, die ſich aus dem Fenſter eines Wagens zweiter
Klaſſe lehnte und ihm zuwinkte. Der Wagen ſtand
ziemlich weit vorn, nahe an der Lokomotive.
Ein helles Freudenlächeln huſchte über Lydias
Geſicht, als ſie Adam im letzten Augenblick doch
noch vor ſich ſah. Sie hatte ſchon alle Hoffnung
aufgegeben. Sie war ganz traurig geworden, ſein
Wegbleiben hatte ſie verſtimmt, am liebſten wäre
ſie wieder ausgeſtiegen. Nun war er doch noch ge-
kommen. Das war ſo gut von ihm. Sie ſah ihn
zärtlich an, als er vor ihr ſtand, vor Aufregung
kein Wort über die Lippen bringen konnte und ihr
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Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 454. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/462>, abgerufen am 16.02.2025.
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