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Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889].

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ging sie mechanisch weiter. Ihm ist's ja doch nicht
Ernst, meinte sie im Stillen und wurde sehr traurig.
Sie dachte noch an dies und das, was sie von
Adams langer Erklärung behalten hatte. Manches
glaubte sie zu verstehen, aber auch so Vieles nicht.
Er war ein merkwürdiger Mensch, so ganz anders,
als die Anderen, mit denen sie sonst verkehren
mußte. Er behandelte sie eigentlich recht wegwerfend,
man konnte nie klug aus ihm werden, er war heute
so und morgen so. Manchmal mußte sie ihn be-
wundern, wenn sie ihn auch nicht verstand, sie fühlte,
daß etwas Neues und Großes aus ihm spräche, sie
fühlte, wie er innerlich hoch über ihr stand. Oefter
stieß sie das gerade wieder von ihm ab, sie sehnte
sich nach Ihresgleichen, sie war dann froh, auch ein-
mal mit einem einfacheren, oberflächlicheren Menschen
verkehren zu dürfen -- und doch trieb es sie immer
wieder zu ihm hin, seine Räthselhaftigkeit, seine Un-
berechenbarkeit, seine Blasirtheit reizten sie, sie fühlte
sich oft nicht wohl in seiner Nähe -- und doch war
sie leidenschaftlich gern mit ihm zusammen, er hatte
eine merkwürdige Macht über sie, eine Gewalt, der
sie sich manchmal zu entziehen suchte und wohl auch
mit schwerer Mühe einmal entzog -- und der sie
doch immer wieder verfiel. Emmy sah sehr beklom-
men der Zukunft entgegen. --

Adam hatte seine Uhr befragt, es war wirklich
höchste Zeit. Er trabte nach dem nächsten Droschken-
halteplatz, warf sich in das erste beste klapprige Unge-
thüm und rasselte davon. --


ging ſie mechaniſch weiter. Ihm iſt's ja doch nicht
Ernſt, meinte ſie im Stillen und wurde ſehr traurig.
Sie dachte noch an dies und das, was ſie von
Adams langer Erklärung behalten hatte. Manches
glaubte ſie zu verſtehen, aber auch ſo Vieles nicht.
Er war ein merkwürdiger Menſch, ſo ganz anders,
als die Anderen, mit denen ſie ſonſt verkehren
mußte. Er behandelte ſie eigentlich recht wegwerfend,
man konnte nie klug aus ihm werden, er war heute
ſo und morgen ſo. Manchmal mußte ſie ihn be-
wundern, wenn ſie ihn auch nicht verſtand, ſie fühlte,
daß etwas Neues und Großes aus ihm ſpräche, ſie
fühlte, wie er innerlich hoch über ihr ſtand. Oefter
ſtieß ſie das gerade wieder von ihm ab, ſie ſehnte
ſich nach Ihresgleichen, ſie war dann froh, auch ein-
mal mit einem einfacheren, oberflächlicheren Menſchen
verkehren zu dürfen — und doch trieb es ſie immer
wieder zu ihm hin, ſeine Räthſelhaftigkeit, ſeine Un-
berechenbarkeit, ſeine Blaſirtheit reizten ſie, ſie fühlte
ſich oft nicht wohl in ſeiner Nähe — und doch war
ſie leidenſchaftlich gern mit ihm zuſammen, er hatte
eine merkwürdige Macht über ſie, eine Gewalt, der
ſie ſich manchmal zu entziehen ſuchte und wohl auch
mit ſchwerer Mühe einmal entzog — und der ſie
doch immer wieder verfiel. Emmy ſah ſehr beklom-
men der Zukunft entgegen. —

Adam hatte ſeine Uhr befragt, es war wirklich
höchſte Zeit. Er trabte nach dem nächſten Droſchken-
halteplatz, warf ſich in das erſte beſte klapprige Unge-
thüm und raſſelte davon. —

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[453/0461] ging ſie mechaniſch weiter. Ihm iſt's ja doch nicht Ernſt, meinte ſie im Stillen und wurde ſehr traurig. Sie dachte noch an dies und das, was ſie von Adams langer Erklärung behalten hatte. Manches glaubte ſie zu verſtehen, aber auch ſo Vieles nicht. Er war ein merkwürdiger Menſch, ſo ganz anders, als die Anderen, mit denen ſie ſonſt verkehren mußte. Er behandelte ſie eigentlich recht wegwerfend, man konnte nie klug aus ihm werden, er war heute ſo und morgen ſo. Manchmal mußte ſie ihn be- wundern, wenn ſie ihn auch nicht verſtand, ſie fühlte, daß etwas Neues und Großes aus ihm ſpräche, ſie fühlte, wie er innerlich hoch über ihr ſtand. Oefter ſtieß ſie das gerade wieder von ihm ab, ſie ſehnte ſich nach Ihresgleichen, ſie war dann froh, auch ein- mal mit einem einfacheren, oberflächlicheren Menſchen verkehren zu dürfen — und doch trieb es ſie immer wieder zu ihm hin, ſeine Räthſelhaftigkeit, ſeine Un- berechenbarkeit, ſeine Blaſirtheit reizten ſie, ſie fühlte ſich oft nicht wohl in ſeiner Nähe — und doch war ſie leidenſchaftlich gern mit ihm zuſammen, er hatte eine merkwürdige Macht über ſie, eine Gewalt, der ſie ſich manchmal zu entziehen ſuchte und wohl auch mit ſchwerer Mühe einmal entzog — und der ſie doch immer wieder verfiel. Emmy ſah ſehr beklom- men der Zukunft entgegen. — Adam hatte ſeine Uhr befragt, es war wirklich höchſte Zeit. Er trabte nach dem nächſten Droſchken- halteplatz, warf ſich in das erſte beſte klapprige Unge- thüm und raſſelte davon. —

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Zitationshilfe: Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 453. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/461>, abgerufen am 27.04.2024.